Fehlerhäufigkeit im Gesundheitswesen hat sich seit 20 Jahren nicht verringert   

erstellt am
29. 09. 08

Hauptursache für Skepsis gegenüber den nationalen Gesundheitssystemen – Patientensicherheit steht im Mittelpunkt des "European Health Forum Gastein 2008"
Gastein (mbdialog) - Ungenügende bzw. fehlende Fortschritte bei der Vermeidung von Fehlern bei der medizinischen Behandlung in Spitälern und bei niedergelassenen Ärzten sind zu einem der wichtigsten Qualitätsprobleme der nationalen Gesundheitssysteme geworden. "Patientensicherheit ist die Grundlage für ein qualitativ hochwertiges Gesundheitssystem", schrieb die Europäische Kommission den Mitgliedsstaaten, denen sie in dieser Hinsicht bedeutende Versäumnisse attestiert, jüngst ins Stammbuch. Experten orten bei der systematischen Bekämpfung von Fehlern im medizinischen Alltag großes Potenzial zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung. Aus diesem Grund ist "Patientensicherheit" heuer auch ein Leitthema des "European Health Forum Gastein" (EHFG). Bei der 11. Auflage der wichtigsten europäischen gesundheitspolitischen Fachveranstaltung widmen sich gleich mehrere Foren und Workshops den Möglichkeiten, diesem brennenden Problem von verschiedenen Seiten zu Leibe zu rücken.

"Die Verantwortlichen nehmen die Dimension des Problems einfach nicht ernst genug", klagt EHFG-Präsident Günther Leiner. "Politik, Wissenschaft, Ärzte und nicht zuletzt auch die Gesundheitsbehörden konzentrieren sich viel zu sehr auf schlagzeilenträchtige Leistungen der Spitzenmedizin, statt die medizinischen ‚Hausaufgaben' zu erledigen." Dabei lägen die Verbesserungspotenziale nicht primär bei der Vermeidung klassischer "Kunstfehler", sondern in den Bereichen Hygiene, Beschleunigung der Abläufe in Akutfällen, Diagnosesicherheit, Abbau von Wartezeiten und ähnlichem. "So schön es ist, wenn eine neue Transplantationstechnik für noch ein Organ ein Menschenleben rettet, so wenig dürfen wir deswegen übersehen, dass mit weit geringerem Einsatz von Geld und medizinischer Kompetenz zehn anderen Patienten geholfen werden könnte, die Opfer vermeidbarer und oft sehr banaler Fehler werden", so Leiner.

Viele Maßnahmen zur gezielten Verbesserung der Patientensicherheit wären dabei sogar ohne finanziellen Mehraufwand möglich. Oft könnten mit einfachen Veränderung von Prozessen und Abläufen, bzw. Sicherstellung einer effektiven Kommunikation zwischen allen Akteuren ausreichen, um beachtliche Verbesserungen zu erzielen. "Hier brauchen wir zuallererst einmal nicht mehr Geld, sondern eine andere Einstellung zu diesem Problemfeld", führt Leiner aus.

Leiners Kritik ist durch diverse Studien wissenschaftlich bestens untermauert. So zeigen mehrere Arbeiten, dass rund zehn Prozent aller Spitalspatienten in irgendeiner Form von medizinischen Fehlern betroffen sind. Seit den Achtzigern gibt es praktisch keinen Trend zum Besseren. Die in diesem Bereich bisher ausführlichste US-Studie "To Err is Human" (1999) geht von 44.000 bis 98.000 Todesopfern als Folge von Fehlern in der medizinischen Behandlung aus - mehr als die Opfer von Verkehrsunfällen, Aids oder Brustkrebs. Laut Angaben der Europäischen Kommission ist bei durchschnitlich 10% der Krankenhauseinweisungen von Behandlungsfehlern auszugehen. Auch das EHFG wird die Thematik in diesem Jahr aufgreifen und die Ergebnisse und Entwicklungen der vergangenen Jahre im Bereich der medizinischen Behandlungsfehler präsentieren.

Den Patienten ist das Problem offensichtlich fast besser bewusst als den Verantwortlichen. Laut Eurobarometer betrachten 78 Prozent aller EU-Bürger mangelnde Patientensicherheit als gravierendes Problem der jeweiligen nationalen Gesundheitssysteme. Experten erhoffen von der neuen EU-Richtlinie zu Patientenrechten wesentliche Fortschritte. Auch die zunehmenden Möglichkeiten, Gesundheitsdienstleistungen im Ausland in Anspruch zu nehmen, erhöhen den Druck, Qualitätsstandards in den Mitgliedsstaaten entsprechend zu verbessern.

"Die Hauptursache für die völlig unbefriedigenden Fortschritte auf dem Gebiet der Patientensicherheit liegt darin, dass sich offenbar niemand wirklich dafür verantwortlich fühlt", erklärt Leiner. "Das ist durchaus erklärbar, denn tatsächlich sind nur dann nachhaltige Erfolge möglich, wenn Ärzte, Spitalsverantwortliche, Wissenschaftler und Gesundheitspolitiker das Problem gemeinsam angehen." Dem European Health Forum, das mit seinem disziplinenübergreifenden Ansatz alle Gruppen an einen Tisch bringt, kommt daher eine Schlüsselrolle bei der Weiterentwicklung wirksamer Strategien und insbesondere deren Umsetzung zur Verbesserung der Patientensicherheit in der EU zu.

Veranstaltungen zum Thema Patientensicherheit beim EHFG 2008

Qualität und Sicherheit (Forum 6):
Eines der zentralen Foren des EHFG 2008 beleuchtet umfassend die aktuelle Situation und neue Initiativen im Bereich der Qualitätssicherung und -verbesserung im Gesundheitswesen der EU-Staaten. Entscheidende Impulse für höhere Qualitätsstandards könnten von Maßnahmen auf EU-Ebene ausgehen.

In zahlreichen weiteren Veranstaltungen spielen Fragen der Patientensicherheit eine wichtige Rolle:
Innovationen in der koordinierten Versorgung (Forum 5)
Möglichkeiten zur Qualitätsverbesserung durch verstärkten Einsatz innovativer Lösungen aus dem Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie und daraus folgender besserer Abstimmung von Behandlungsprozessen.

Verbesserung der Patientensicherheit am Beispiel Thromboseprophylaxe (Workshop) Venenthrombosen fordern jährlich eine halbe Million Todesopfer in europäischen Spitälern und verursachen bei vielen anderen Patienten bleibende Schäden. Mit entsprechender Organisation und bei Einhaltung hoher Qualitätsstandards könnte ein wesentlicher Teil der Fälle vermieden werden.

Antibiotikaresistente Keime (EU Präsidentschaftsworkshop )
Die Verletzung von Sicherheitsstandards begünstigt in hohem Maß die Entwicklung antibiotikaresistenter Keime, die wiederum einen bedeutenden Risikofaktor für Spitalspatienten darstellen - Präsentation von Maßnahmen zur Bekämpfung des Problems.

EU-Richtlinienentwurf zu Patientenrechten in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung (Workshop)
Patientensicherheit und Patientenrechte sind zentrale Bereiche bei der Erarbeitung eines Regelwerks für die Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen in anderen EU-Staaten (grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung). Diese Richtlinie hat zum Ziel Patienten bei der Wahrnehmung der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung zu unterstützen, die Sicherheit und Qualität dabei zu garantieren und bessere Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gesundheitssystemen zu fördern.
 
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