Zauber der Ferne   

erstellt am
28. 11. 08

Imaginäre Reisen im 19. Jahrhundert von 4. Dezember 2008 bis 29. März 2009
Wien (wienmuseum) - Die Ferne rückt in greifbare Nähe Die große, weite Welt hat die Menschen seit jeher fasziniert. Doch erst mit dem Kolonialismus, den Expeditionen, dem beginnenden Tourismus und der neuen Reiseliteratur rückte die Ferne plötzlich in greifbare Nähe. Reisen blieb allerdings noch lange Zeit eine elitäre Angelegenheit. Wer sich keine "echten" Reisen leisten konnte, für den gab es im 19. Jahrhundert als Alternative eine Vielzahl an Reiseillusionen - kostengünstig, ungefährlich und ohne großen Zeitaufwand.

Wie in London und Paris kam es in Wien zu einem Boom von Panoramen, Guckkästen, "optischen Zimmerreisen" und Bühnentricks. Im Dunklen einer Laterna Magica-Vorstellung vergaß man die Außenwelt und erlebte umso intensiver "Die Nordpolfahrt Franklin`s" und das "Innere Afrikas", das Kaiserpanorama bot bei wöchentlich wechselndem Programm erstmals dreidimensionales Schauvergnügen.


"Kupfer-Indianer" und "Japaneser Preiskämpfer"
Wichtigstes "Reisebüro" war der Prater: In Präuschers Panopticum - einem Wachsfigurenkabinett - begegnete man einem "Kupfer-Indianer aus den Rocki-Bergen" und einem "Japaneser Preiskämpfer". Neben dem Riesenrad stand eine gigantische "American Scenic Railway", ja selbst den Mond und den Meeresgrund konnte man bereisen.

Ersatzwelten wie "Venedig in Wien" lockten Menschenmassen an, ebenso wie exotische Tierschauen, "Buffalo Bills Wild West"-Show oder afrikanische Stammesgruppen, die vom Publikum begafft und zum Stadtgespräch wurden. Vieles ähnelte heutigen Themenparks und virtuellen Freizeitwelten. Erstmals steht das Thema "Imaginäre Reisen" im Zentrum einer Ausstellung. Zu sehen sind Guckkästen mit den dazu gehörenden Stadtansichten, eine Laterna Magica für Nebelbildprojektionen, Kosmoramen, Dioramen und der Nachbau eines Kaiserpanoramas mit 25 Stereoskopen. Dazu kommen Plakate, Bühnenbildmodelle und Ausschnitte aus frühen Reisefilmen: Eine bunte Revue der Schaulust, die Welt aus der Perspektive des 19. Jahrhunderts.


Entdeckungsreisen und Tourismus
Zwischen 1776 und 1913 unternahmen österreichische Kriegsschiffe mehr als hundert Missions- und Forschungsreisen nach Übersee. Die daraus gewonnenen Kenntnisse brachten einer breiteren Öffentlichkeit erstmals ferne Kontinente näher. Laufend wurden Funde nach Wien geschickt, im "Brasilianum" in der Johannesgasse stellte man 150.000 Objekte von der österreichischen Brasilien- Expedition aus. Die spektakuläre Nordpol-Expedition von Julius Payer und Karl Weyprecht (1872- 1874) sorgte dafür, daß die Faszination für das "ewige Eis" über Jahrzehnte präsent blieb. Eine berühmte Praterunternehmung nannte sich "Expedition zum Nordpol", die Urania lud zu einem wissenschaftlichen Vortrag mit dem Titel "Der Kampf um den Nordpol". Verkehrstechnische Innovationen (Eisenbahn, Dampfschiff etc.) ermöglichten auch Privatpersonen, Fernreisen zu unternehmen. Mit dem zaghaften Beginn des Tourismus kam es zu einer Flut an Reiseliteratur - Tagebücher, Reiseberichte, aber auch Abenteuerromane. 1835 veröffentlichte Karl Baedeker den ersten deutschsprachigen Reiseführer, in den Köpfen der Menschen entstanden neuartige "mental maps".


Europa in einem Kasten
Bereits ab Mitte des 18. Jahrhunderts reisten Schausteller mit Guckkästen von Stadt zu Stadt und zeigten kolorierte Ansichten fremder Länder und Städte. Als "Optische Zimmerreise", "Zimmer- Panorama", "Malerische Reise" oder "Europorama" wurden in Mitteleuropa ab 1820 Schaustellungen bezeichnet, die aus mehreren, nebeneinander aufgestellten Guckkästen bestanden

1801 sorgte der Ire Robert Barker mit seinem Panorama von London erstmals in Wien für Furore. Das 360°-Rundum-Erlebnis bewarb er folgender Maßen: "De r unbefangene Zuschauer wird nicht allein bey seinem Eintritte durch die Reinheit und Eleganz angenehm überrascht, sondern kommt sogar nach einigen Minuten in Versuchung, zu glauben, daß es nicht Gemählde, sondern Wirklichkeit sey." Noch spektakulärer war das "Moving Panorama", bei dem ein langer Leinwandstreifen abgerollt wurde, und die Zuschauer so das Gefühl hatten, eine Landschaft ziehe vorüber. Der optische Trick wurde zum Beispiel im Theater in der Josefstadt äußerst erfolgreich eingesetzt. Eine Weiterentwicklung war auch das Diorama, das Tages- und Nachtzeiten mit Lichteffekten imitierte, besonders beliebt waren dabei romantische und melancholische Stimmungslandschaften bei Sonnenauf- bzw. Untergang.

Nebelbilder und Kaiserpanorama
Zum Publikumsrenner entwickelten sich die populärwissenschaftlichen Laterna Magica-Vorträge, die der Deutsche Paul Hoffmann zu Themen wie "Die Nordpolexpeditionen von 1845 bis 1855" oder "das Nilthal vor 4000 Jahren und Jetzt" hielt. Als Besonderheit galten "Nebelbilder", bei denen zusammengehörige Sujets übereinander geblendet werden, um eine Geschichte zu erzählen (z.B. "Ein Schiff bei gutem Wetter, das Wetter wird stürmisch und das Schiff scheitert an einer Klippe, nachdem es wiederholt geblitzt hat, der Himmel klärt sich auf, die Mannschaft wird gerettet, im Hintergrunde erblickt man das Wrack, und ein Regenbogen wird am Horizonte sichtbar"). Mit der Fotografie entstanden unzählige Reisebilderserien, die man bevorzugt mit dem Stereoskop genoss: Zwei knapp nebeneinander aufgenommene Bilder werden dabei durch zwei Linsen betrachtet, wodurch ein dreidimensionales Bild entsteht. Das Stereoskop gehörte bald in jeden gutbürgerlichen Haushalt, als Großvariante präsentierte sich das Kaiserpanorama (ab 1885 in Wien), bei dem mehrere Besucher gleichzeitig Bilder anschauen konnten. Der Durchlauf einer Serie von 50 Bildern dauerte zwischen 20 und 30 Minuten, mit jeder neuen Serie (exotische Landschaften, Burgen und Schlösser, Kunst aus berühmten Museen etc.) wurde ein Programmzettel aufgelegt.


Urlaubsflair in der Leopoldstadt
Eine neue Dimension von imaginären Reisen eröffneten die Vorläufer heutiger Themenparks, die im Prater die Publikumsmassen anlockten. Die Weltausstellung von 1873 war als Weltreise konzipiert, rund um den Industriepalast standen Gebäude aus den verschiedensten Weltgegenden, darunter ein japanischer Tempel, ein türkisches Badehaus und ein Wigwam, in dem Cocktails serviert wurden. Knapp zwei Jahrzehnte später schrieb der Theaterdirektor Gabor Steiner mit seinem riesigen Vergnügungspark "Venedig in Wien" Kulturgeschichte: Auf 50.000 Quadratmetern konnte man venezianische Palazzi-Nachbauten begehen oder sich in Gondeln durch die Kanäle schaukeln lassen. 1913 sorgte dann die "Österreichische Adria-Ausstellung" für Urlaubsflair in der Leopoldstadt. Ein venezianischer Prätorenpalast, ein vierzig Meter hoher Campanile, die engen Gassen von Alt-Abbazia und der als Restaurant genutzte Lloyddampfer "Wien" ließen den Alltag vergessen und sollten zugleich die kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen zur Adria-Küste fördern. Weitere Praterattraktionen: "Buffalo Bill´s Wild West"-Show, bei der 20.000 Zuschauer Büffeljagden, Überfälle auf Postkutschen und Lassowerfen miterleben durften, exotische Tier- und Menschenschauen (etwa das "Aschanti-Dorf" von 1896/97) und die zahlreichen Grottenbahnen und Wasserkarussells. Um die Illusion einer Reise noch zu verstärken, konnte man gleich im Prater Postkarten "an die Daheimgebliebenen" verschicken, zum Beispiel mit "Grüßen vom Meeresgrund".

Die Ausstellung erinnert weiters an die opulenten Gschnas-Feste im Künstlerhaus, die pädagogisch motivierten Lichtbildvorträge in der Urania ("Tropenzauber") sowie die frühen Reisefilme, die ein neues Zeitalter einläuteten. Zur Ausstellung, die von Ursula Storch kuratiert wurde, erscheint ein reich bebilderter Katalog im Verlag Bibliothek der Provinz, mit Beiträgen von Marion Krammer, Siegfried Mattl, Jochen Kornelius Schütze, Werner Michael Schwarz und Ursula Storch.

Spielstation für Kinder im Atrium
Auch in der heurigen Herbst/Winter-Saison bietet das Wien Museum im Atrium Kindern ein passendes Programm. Bei der Spielstation "KinderZimmerReise" dreht sich alles ums Thema Reisen: Urlaub planen, Urlaubsgarderobe zusammensuchen (oder anprobieren) und Koffer packen, Verkehrsmittel wählen, wieder heimkommen etc. Für Kinder von 2 bis 6 Jahren, bei freiem Eintritt!


Laterna Magica-Vorstellungen und wechselndes Kaiserpanorama-Programm
Beim Rahmenprogramm sei auf zwei "Schmankerln" besonders hingewiesen: Das Österreichische Filmmuseum zeigt in Kooperation mit dem Wien Museum am 9. und 10. Jänner 2009 eine spektakuläre Laterna Magica-Performance: David Francis und Joss Marsh präsentieren fantastische Geographien, koloniale Reisen und metaphysische Ausfahrten - unter Verwendung einer Original- Laterne und seltener Glasbilder aus der Zeit. In Kooperation mit dem Filmarchiv Austria wechselt das Programm des in der Ausstellung nachgebauten Kaiserpanoramas in regelmäßigen Abständen: Die Reise geht von Japan über den Orient und Südafrika bis nach New York.
     
Informationen: http://www.wienmuseum.at    
     
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