Schönborn: "Wirtschaft muss dem Menschen dienen und nicht umgekehrt"   

erstellt am
10. 04. 09

Wiener Erzbischof nahm in "News"-Interview zur Wirtschaftskrise und den "Turbulenzen" in der katholischen Kirche Stellung
Wien (pew) - Kardinal Christoph Schönborn hat angesichts der Wirtschaftskrise zur Besinnung auf Grundtugenden wie Gerechtigkeit und Mäßigung und zur Bereitschaft zum Miteinander aufgerufen. Politiker, Manager, aber auch alle Bürger sollten sich von "illusionären Gedankengebäuden" verabschieden, die von den Begrenzungen des Menschen und seiner Umwelt absehen wollen, so Schönborn in einem Interview mit dem Wochenmagazin "News". Die Wirtschaft müsse dem Menschen dienen und nicht umgekehrt, mahnte der Wiener Erzbischof. Für den Aufbau einer menschengerechten Wirtschaft und Gesellschaft gebe es drei entscheidende Prinzipien: Personalität (der Respekt vor jedem einzelnen Menschen), Solidarität, Subsidiarität (es muss nicht alles zentral gelenkt werden).

Die aktuelle Wirtschaftskrise veranschauliche drei zentrale "Fehler im System", über die alle Verantwortungsträger nachdenken sollten. Schönborn: "Es kann kein ständiges unbeschränktes Wachstum geben; die Entwicklung eines von der Realwirtschaft weitgehend abgekoppelten Finanzsystems hat sich als Irrweg erwiesen; Gewinnmaximierung um jeden Preis führt früher oder später ins Desaster". Mit Recht könne man die Frage stellen, was der Durchschnittsösterreicher dafür kann. Es werde daher eine der zentralen Aufgaben der Politik sein, die Folgen der Krise für möglichst breite Bevölkerungsschichten abzufedern. Dabei dürfe nicht vergessen werden, dass es schon in Zeiten der Hochkonjunktur eine große Gruppe von Menschen gegeben habe, die akut oder latent von Armut betroffen sind: kinderreiche Familien, Alleinerzieherinnen, alte Menschen mit kleinen Pensionen, Langzeitarbeitslose, Migranten.

Lehren aus der Krise, so der Kardinal: Die Hoffnung auf Spekulationsgewinne ist oft eine sehr trügerische, im Rückblick erinnert vieles an Pyramidenspiele; ohne Arbeit gibt es keinen dauerhaften Wohlstand; wem es gut geht, der hat auch die Verpflichtung zum Teilen.

Es sei zu befürchten, dass die "Versuchung des 'Mehr-Haben-Wollens'" "nicht nur auf 'die da oben' beschränkt ist", erinnerte der Kardinal im "News"-Interview. Aber natürlich seien die Auswirkungen dramatischer, "wenn es um Beträge mit vielen Nullen geht". Er habe zwar Verständnis dafür, dass "jemand der gut arbeitet und hohe Verantwortung trägt, seinen Lohn wert ist". Manche Gratifikationssysteme - auch für nicht erfolgreiche Manager – seien aber "mit Gerechtigkeit schwer zu vereinbaren", so Schönborn.

Im "News"-Interview nahm der Wiener Erzbischof auch zu den jüngsten "Turbulenzen" in der katholischen Kirche Stellung. Auch in der Kirche würden Fehler gemacht, das habe der Papst etwa in der Frage der Lefebvrianer selbst eingeräumt. Aber man könne sich "nicht einfach 'abputzen' und sagen: die 'Römer' oder sonst wer ist schuld, man muss in erster Linie an die eigene Brust klopfen". Dass auch die römische Kurie nur aus Menschen besteht, "die manchmal allzu menschlich sind", habe sich in den letzten Monaten freilich deutlich erwiesen.

Zum "Fall Wagner" hätten die österreichischen Diözesanbischöfe "alles gesagt, was zu sagen", betonte der Kardinal: "Das Wichtigste ist, dass bei jeder Bischofsernennung die 'römische Vorgangsweise' korrekt eingehalten wird". Diese Vorgangsweise sei keine "absolute Garantie", aber sie habe sich bewährt.

Im Hinblick auf die Situation in der Diözese Linz sagte der Wiener Erzbischof, Diözesanbischof Ludwig Schwarz habe von sich aus "jene Schritte eingeleitet, die notwendig sind". Im Fall von Pfarrer Friedl sei ein kirchenrechtliches Verwaltungsverfahren im Gang, dessen Ergebnis er nicht vorgreifen wolle. Ein diözesaner Gesprächsvorgang sei in Vorbereitung, der Vertreter aller relevanten Gruppen einbeziehen soll. Gerüchte um eine Ablösung von Bischof Schwarz bezeichnete der Kardinal wörtlich als "klerikale Kaffeesudleserei": "Alle sollen Bischof Schwarz in Ruhe arbeiten lassen".

Er habe "Respekt vor allen, die sich um den Weg der Kirche Sorge machen", stellte Schönborn auf die Frage nach seiner Sicht von Bewegungen wie der "Laieninitiative" fest. Die katholische Kirche in Österreich werde aber "sicher keinen Weg einschlagen, der in irgendeiner Weise von der Gemeinschaft der Weltkirche wegführt".

"Mitsorgende Gemeinde" statt "versorgte Pfarre"
Der Wiener Erzbischof verteidigte die priesterliche Lebensform des Zölibats. Die katholische Kirche des lateinischen Ritus habe eine 1.500-jährige positive Erfahrung mit dem Zölibat. Ein Papst Johannes XXIII., ein Kardinal König seien klassische Repräsentanten des zölibatären Priestertums gewesen. In manchen Weltteilen, z.B. im westlichen Europa, gebe es heute große Probleme mit dem Priesternachwuchs, räumte Kardinal Schönborn ein: "Aber wären diese Probleme wirklich kleiner, gäbe es keine Zölibatsverpflichtung?" "Die Geschichte, dass fast jeder dritte Priester ohnehin eine Beziehung hat", halte er für eine "der so typischen 'urban legends'". Wörtlich stellte der Wiener Erzbischof fest: "Ich meine, die Priester meiner Diözese ziemlich gut zu kennen. Sie bemühen sich redlich, in ihrer Lebensführung dem zu entsprechen, was sie vor ihrer Weihe gelobt haben".

Dieser Lebensform ein Leben lang treu zu bleiben, sei nicht leicht, sagte der Wiener Erzbischof. Auch die lebenslange eheliche Treue sei mit manchen Opfern verbunden. Aber Treue sei "ein hoher Wert". Zudem gebe es in der Gesellschaft viele Menschen, die durch ihre Lebensumstände genötigt sind, ohne Partnerschaft, ohne sexuelle Beziehung zu leben: "Sind sie deswegen krank, unglaubwürdig, nicht normal?"

Die katholische Kirche brauche Priester, unterstrich Schönborn. Ebenso klar sei aber, dass die Kirche "den Übergang von der versorgten Pfarre zur mitsorgenden Gemeinde" schaffen müsse. In der Erzdiözese Wien werde seit Jahren an der Verwirklichung dieses Konzepts gearbeitet.
     
Informationen: http://stephanscom.at    
     
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