Hieronymus Löschenkohl: Sensationen aus dem alten Wien   

erstellt am
09. 04. 09

50-Jahr-Jubiläum Wien Museum Karlsplatz
Wien (wienmuseum) - Das Wien Museum Karlsplatz, der erste und lange Zeit einzige Museumsneubau der Zweiten Republik (Architekt: Oswald Haerdtl), wurde im April 1959 – vor genau 50 Jahren – mit der Ausstellung „Hieronymus Löschenkohl“ eröffnet. Zum Jubiläum steht Löschenkohl neuerlich im Mittelpunkt einer Schau. Als umtriebiger Bilderproduzent brachte er die „News“ seiner Zeit unters Volk, er hatte beste Kontakte zum Kaiserhaus und einen untrüglichen Geschäftssinn. Hieronymus Löschenkohl (1753 - 1807) begann 1780 als Graveur in Wien und nützte die Gunst der Stunde, als Joseph II. die Zensur abschaffte und damit erstmals so etwas wie „Pressefreiheit“ ermöglichte. Zunächst verkaufte er Silhouetten von berühmten Zeitgenossen, etwa von Komponisten wie Mozart oder Haydn: In ihrer Prägnanz sind diese Schattenrisse mit heutigen Logos vergleichbar.

Außerdem reüssierte Löschenkohl mit bunt kolorierten Stichen, die von Revolutionen und Kriegen, von adeligen Festen und sonstigem Spektakel „berichteten“. Bei Bedarf versah er sie mit einem kurzen Text, nicht selten ironisch und gewürzt mit einer Portion Patriotismus, vor allem, wenn es um die Gegner Österreichs ging. Löschenkohl tauchte „überall“ – selbst bei Hof! – auf und hielt Ereignisse aus nächster Nähe fest: anschaulich bis drastisch, ganz in der Art eines frühen Bildreporters. Aktualität ging vor Qualität, weshalb seine Bilder von manchen Zeitgenossen als minderwertig kritisiert wurden. Bis heute prägen sie jedoch unser Bild des 18. Jahrhunderts und werden häufig in Büchern über diese Zeit verwendet.

Schneller als die Konkurrenz
In atemberaubender Geschwindigkeit erschloss Löschenkohl immer neue Geschäftsfelder und überrollte damit seine Konkurrenz: Er produzierte Kalender und führte die Glückwunschkarte in Wien

ein, verkaufte bedruckte Tapeten, Knöpfe und Fächer, verlegte Gesellschaftsspiele und sorgte dafür, dass seine „Erfindungen“ – in vielen Fällen kopierte Löschenkohl einfach die Ideen anderer – zum Stadtgespräch wurden. Vor seinem Verkaufsgewölbe am Kohlmarkt, einem europaweit bekannten Umschlagplatz für Kupferstiche und Musikalien, bildeten sich regelmäßig Menschentrauben, um die neusten Bilder zu bestaunen. Die Ausstellung rekonstruiert in markanten Teilen die erste Sonderausstellung aus dem Jahr 1959, im Vordergrund steht diesmal jedoch weniger der „Künstler“ Löschenkohl, sondern seine Bedeutung als Unternehmer in der Branche der Kupferstecher. Im Fokus stehen außerdem die Sammlerpersönlichkeiten Max von Portheim und August Heymann, ohne die der einzigartige Löschenkohl-Bestand des Wien Museums nicht denkbar wäre. Deren opulente Sammlungen wurden 1937 von der Stadt angekauft.

Erfolg auf der Luxusmeile Kohlmarkt
Als Löschenkohl 1781 28-jährig vom deutschen Elberfeld nach Wien kam, eröffnete er sein Geschäft am Hohen Markt, schon bald aber positionierte er sich am „hot spot“ der Stadt, dem Kohlmarkt, damals schon eine Luxusmeile. Hier hatte auch die Firma Artaria und Comp., die gerade mit fein gestochenen Wien-Veduten auf den Markt kommt, ihren Sitz. Die Konkurrenz um die Gunst des Wiener Publikums war eröffnet.

Löschenkohls Gewerbe florierte, sein „Gewölbe“ am Kohlmarkt wurde zur visuellen Informationsstelle in der Stadt. Im Zeitalter der nicht illustrierten Presse waren seine Kupferstiche Sensationen. Die Motive wandelte er leicht ab und verkaufte sie als Einzelblätter, auf Fächern, als Dosenbilder, auf Spielkarten. Immer wieder zeigte er sich erfinderisch und entwickelte Produkte im Bereich der populären Druckgrafik wie etwa Glückwunschkarten zum Neujahrstag. Außerdem profitierte er geschickt von der Einfuhrsperre auf ausländische Produkte – einiges kopierte er, anderes wandelte er ab und legte es neu auf. Geistiges Eigentum war noch nicht geschützt, auch Löschenkohl fand Nachahmer.

Das „Who is Who?“ der Wiener Gesellschaft
Die Silhouette war im späten 18. Jahrhundert eine beliebte Technik der Abbildung der Wirklichkeit, charakteristisch ist der Gegensatz von schwarz und weiß, es gibt allerdings auch färbige Silhouetten. Die realitätsnahen Abbilder waren im Zeitalter vor der Fotografie eine relativ günstige Möglichkeit, Personen zu porträtieren und ihr Antlitz für die Nachwelt zu erhalten. Aus dem unveränderlichen Äußeren des Gesichts, so die populäre Annahme, die sich auf die Schriften des Schweizer Philosophen und Schriftstellers Johann Caspar Lavater bezog, könne man auf Charaktereigenschaften und Talente schließen.

Löschenkohls erster Geschäftszweig in Wien war die Kunst des Schattenrisses. Er machte damit dem hier ansässigen französischen Silhouettenschneider Francois Gonord Konkurrenz, der die Porträts auch in Armbänder, Ringe und Broschen schnitt. Löschenkohl und Gonord schufen mit ihren Silhouetten ein „Who is who“ der Wiener Gesellschaft des 18. Jahrhunderts: Adelige, Künstler und berühmt gewordene Bürgerliche ließen sich porträtieren, in jedem Haus „von Distinktion“ fanden sich die schwarz-weißen Bildchen.

Löschenkohls Bild des 18. Jahrhunderts
Herrschaftsdarstellungen, Auslandsberichtserstattung, karikaturistische Darstellungen: Schon Löschenkohls Zeitgenossen diskutieren die „Echtheit“ seiner Bildinhalte. Vieles erinnert an den

heutigen „Sensationsjournalismus“, seine Bilder waren Gebrauchsware, sie erzeugten Vertrautheit und gaukelten Teilnahme vor. Löschenkohl lieferte zudem als „Hofberichterstatter“ Bilder von Ereignissen im Hause Habsburg: Hochzeiten, Taufen, Todesfälle. Mit seinen Kommentaren zur Innen- und Außenpolitik war er ein Handlanger der Regierung Josephs II. Nach dessen Tod verlagerte Löschenkohl sein Angebot zunehmend auf scheinbar unpolitische Themen.

Wem machte Löschenkohl Konkurrenz? Warum bekämpften ihn seine Zeitgenossen so heftig? Wer sammelte die Löschenkohl`sche Zeitgeschichte in Bildern? Um solche Fragen geht es in der Ausstellung ebenso wie um Verbreitung und Rezeption seines Schaffens. Seine Massenmedien haben zu seiner Lebenszeit vermutlich zumindest im Bereich der Habsburgermonarchie Verbreitung gefunden. Bis heute birgt Löschenkohl Akualität: Immer wieder werden einzelne Arbeiten in Ausstellungen und Publikationen, die sich mit der Zeit des aufgeklärten Absolutismus beschäftigen, gezeigt bzw. reproduziert. Seine Bilder, so eine These der Ausstellung, prägen bis heute unser Wissen und unsere Wahrnehmung der Josephinischen Epoche.

Die Löschenkohl-Ausstellung 1959
Am 23. April 1959 eröffnete das Historische Museum der Stadt Wien als erster (und lange Zeit einziger) Museumsbau der Zweiten Republik, die Städtischen Sammlungen übersiedelten vom Rathaus auf den Karlsplatz. Die Schau über Hieronymus Löschenkohl (1753-1807) war die erste Sonderausstellung, ein gerade in Konjunktur kommendes neues Museumsformat. Die Entscheidung für ein Thema aus der Spätaufklärung stand für den emphatischen Willen zu Aufbruch und Neubeginn.

Das neue Gebäude, entworfen von Oswald Haerdtl, signalisierte Transparenz und Zugänglichkeit, der damalige Museumsdirektor Franz Glück verstand das Museum als Volksbildungsstätte und vertraute auf die sinnliche Kraft der Objekte. Ästhetische Qualität war daher Leitmotiv der Auswahl an gezeigten Werken. Das große Verdienst der Ausstellung von 1959 war die erste umfassende Präsentation von Löschenkohls Oeuvre. Dass nun 50 Jahre danach markante Teile der Schau des Jahres 1959 rekonstruiert wurden, ist nicht nur eine Hommage an „damals“, sondern thematisiert auch generell die tiefgreifende Veränderung musealer Präsentationen.

Das Programm zum Jubiläum
Zum 50-Jahr-Jubiläum bietet das Wien Museum weitere attraktive Programmpunkte: Unter dem Motto Sonntag mit Freunden führen 50 Wiener Persönlichkeiten durchs Museum (noch bis 10. Mai) – jeden Sonntag, bei freiem Eintritt (Programm siehe Folder). Am 25./26. April feiert das Museum Geburtstag mit Open House, Musik, Vintage-Mode-Schau, Sonderführungen, Katalogbazar, Kinderprogramm etc. Aus Anlass des Jubiläums bitten wir die Wiener Bevölkerung um Geschenke für unsere Sammlung zum Thema „Wien vor 50 Jahren“, diese Schenkungen werden am Jubiläumswochenende (25. April, 14 bis 17 Uhr) übergeben (Details siehe Folder). Ab 14. Mai wird die Ausstellung „Fifty/Fifty. Kunst im Dialog mit den 50er Jahren“ gezeigt. Zu sehen sind – im ganzen Haus verteilt und auch auf dem Dach! – Kunstwerke und Interventionen von österreichischen wie internationalen KünstlerInnen, u.a. von Monica Bonvicini, Andreas Fogarasi, Roman Ondák, Gerwald Rockenschaub, Hans Schabus, Margherita Spillutini, Sofie Thorsen und Heimo Zobernig.

Ausstellungsdauer:
24. April bis 16. August 2009


Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag und Feiertag, 9.00 bis 18.00 Uhr Pressefotos
     
Informationen: http://www.wienmuseum.at    
     
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