Neue Ansätze für die Behandlung der Multiplen Sklerose   

erstellt am
30. 04. 09

Münster (idw) - Multiple Sklerose ist eine chronische, entzündliche Erkrankung des Gehirns - und für die Betroffenen eine tragische Diagnose. Denn die Ursache dieser Autoimmunerkrankung ist noch immer unbekannt, weshalb die Medizin nur die Symptome bekämpfen kann. Bei der Erforschung der Multiplen Sklerose (MS) ist ein internationales Wissenschaftlerteam jetzt einen großen Schritt weitergekommen: Die Gruppe entschlüsselte den Mechanismus, der die zerstörerisch auf das Nervensystem einwirkenden Leukozyten in das Gehirn lockt. Daraus ergeben sich neue Ansätze für die Behandlung von MS-Patienten. Die Ergebnisse der Forschergruppe sind veröffentlicht in der aktuellen Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift "Nature Medicine".

"Die Leukozyten, auch bekannt als Weiße Blutkörperchen, stellen eine Art Gesundheitspolizei des Körpers dar. Sie zirkulieren ständig im Blutstrom unseres Körpers und patrouillieren durch die Gefäße aller Organe", erläutert Prof. Lydia M. Sorokin. Wo immer eine lokale Entzündung auftrete, wanderten die nur etwa zehn Tausendstel Millimeter großen Zellen an diesen Ort, um dort die Entzündungsreaktion voranzutreiben, so die Biochemikerin, die am Institut für Physiologische Chemie und Pathobiochemie der Universität Münster forscht und als Hauptautorin des Artikels genannt wird.

Woher aber "weiß" der einzelne Leukozyt, wo er die Blutbahn verlassen muss? Denn der Weg in die entzündeten Gewebebereiche führt zwangsläufig durch die Gefäßwand - und die ist nicht an jeder Stelle passierbar. Diese Frage stand im Mittelpunkt der Studie, denn sie ist von entscheidender Bedeutung bei der Multiplen Sklerose. Bei dieser Krankheit werden unterschiedliche Leukozyten in das Hirn gelockt, wo sie beispielsweise in der Form von T-Lymphozyten gegen Proteine des zentralen Nervensystems vorgehen, diese beschädigen und dadurch das Nervensystem mehr und mehr zerstören.

Leukozyten treiben passiv mit dem Blutstrom, kommunizieren aber ständig mit der Blutgefäßwand, um abzufragen, ob dort relevante Signale gezeigt werden. Ist das der Fall, durch-wandern sie zunächst die Endothelzellschicht und stoßen dann auf die nächste Barriere, die Basalmembran. "Die kann man mit der Isolierung eines Elektrokabels vergleichen; sie umhüllt und verschließt das Gefäß", so Sorokin. Um diese Hürde auf ihrem Weg zu den Entzündungsherden zu überwinden, suchen die Leukozyten nach einer geeigneten Stelle in der Basalmembran, die durch eine bestimmte Mischung von Proteinen gekennzeichnet ist.

Die Hirnregion stellt hierbei einen Sonderfall dar: Da das menschliche Gehirn ohne eine sorgfältige Abschottung gegen Moleküle aus dem restlichen Körper nicht funktionsfähig wäre, schirmen die dortigen Blutgefäße es besonders gut ab. Nur in bestimmten Fällen dürfen die Substanzen und Zellen, die mit dem Blutstrom herangeschwemmt werden, die "Absperrung" passieren, die in diesem Bereich zudem aus mehr Schichten besteht. Erst Erkrankungen machen diese so genannte "Blut- Hirn-Schranke" durchlässig - so die Multiple Sklerose. "Das heißt: Wenn wir verstehen, wie und wo genau die Leukozyten die Barriere durchdringen, können wir sie aussperren und so die zerstörerischen Prozesse vermeiden, die der Infiltration folgen. Die Abwehrkräfte der MS-Patienten blieben dann erhalten", beschreibt Professorin Sorokin das Ziel der Studie.

Die jetzt in "Nature Medicine" publizierte Forschungsarbeit belegt, dass sich T-Lymphozyten an einem bestimmten Proteintyp in der Basalmembran, den Lamininen, orientieren. Anhand von Mäusen mit einer Experimentellen Autoimmun-Enzephalomyelitis (EAE) konnte Sorokins Gruppe nachweisen, dass sie genau dort das Blutgefäß im Gehirn verlassen, wo das Laminin alpha-4 in der Gefäßwand steckt. Tiere, deren Gefäße hauptsächlich ein anderes Laminin, die alpha-5-Variante, in ihrer Basalmembran tragen, zeigen hingegen eine schlechte Durch-lässigkeit. Die EAE ließ sich bei ihnen nur schwer auslösen, und auch dann kam es nur zu einer sehr milden Form der Erkrankung mit einer erheblich geringeren Zahl von T-Lymphozyten im Gehirngewebe.

Ähnliche Ergebnisse erzielten die Wissenschaftler mit Mäusen, bei denen der Rezeptor, also die "Antenne", zur Erkennung des Laminin alpha 4 an den T-Lymphozyten fehlt oder bei denen das Zusammenspiel zwischen dem Rezeptor und dem Laminin durch spezielle Hemmstoffe blockiert wurde. Aufgrund dieser Experimente steht nun fest, dass die T-Lymphozyten spezifische Rezeptoren und Mechanismen nutzen, um die Basalmembran der Gefäße abzutasten, bevor sie in das Gehirn einzudringen. "Andere Leukozyten reagieren nicht in dieser Form. Damit haben wir nun einen Ansatzpunkt, um das Fortschreiten der Multiplen Sklerose durch Sperrung des Zustroms von T-Lymphozyten zielgenau zu blockieren", freut sich Lydia Sorokin.

Außer ihrem Institut wirkten sieben weitere Einrichtungen aus Deutschland, Schweden und Frankreich an der Studie mit, die sich über insgesamt fünf Jahre erstreckte. Gleich vier der beteiligten Institutionen kommen aus Münster: neben dem Institut für Physiologische Chemie auch noch das Max-Planck-Institut für Molekulare Biomedizin, das Leibniz-Institut für Arterioskleroseforschung sowie die Hautklinik des Universitätsklinikums Münster. Unterstützt wurden die Forscher von den ebenfalls dort ansässigen Sonderforschungsbereichen SFB 293 und SFB 492 sowie dem Interdisziplinären Zentrum für Klinische Forschung der Medizinischen Fakultät Münster.

Literaturangabe: Chuan Wu, Fredrik Ivars, Per Anderson, Rupert Hallmann, Dietmar Vestweber, Per Nilsson, Horst Robenek, Karl Tryggvason, Jian Song, Eva Korpos, Karin Loser, Stefan Beissert, Elisabeth Georges-Labouesse, Lydia M. Sorokin: Endothelial basement membrane laminin a5 selectively inhibits T lymphocyte extravasation into the brain. In: Nature Medicine. DOI: 10.1038/nm.1957
     
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