C I N E C U B A N O   

erstellt am
21. 08. 09

50 JAHRE FILM UND REVOLUTION – 27. August – 21. Oktober 2009 im METRO-KINO
Wien (filmmarchiv) - Zum 50. Jahrestag der kubanischen Revolution und zum 50-jährigen Bestehen eines ihrer erfolgreichsten Kinder, des Filminstituts ICAIC, stellt das FILMARCHIV AUSTRIA das Filmschaffen der Zuckerinsel in einer umfassenden Retrospektive vor. 40 Filmbeispiele, die im Zeitraum eines halben Jahrhunderts entstanden sind, beleuchten das Leben auf Kuba im Laufe der letzten 200 Jahre. Die in den Anfangsjahren stark von Italiens Neoveristen geprägten Filmemacher des ICAIC haben in dieser Zeit trotz eines quantitativ bescheidenen Jahresoutputs deutliche Spuren im Weltkino hinterlassen. Ihre Produktionen zählten vor allem in den 1960er- und 70er-Jahren wegen ihres innovativen und experimentierfreudigen Charakters zu den erfolgreichsten Vertretern des lateinamerikanischen Kinos auf internationalen Festivals.

CINE CUBANO – Kubas Geschichte im Spiegel nationaler Filmproduktion
Das Konzept der Filmauswahl legt den Schwerpunkt auf die Darstellung von Kubas Geschichte von der Epoche der Sklaverei bis zur Gegenwart. 36 Spielfilme, vier Dokumentationen und vier Kurzfilme sollen Menschenschicksale vor dem Hintergrund historischer Ereignisse nachzeichnen und so den Verlauf von Kubas Geschichte in lose chronologischer Abfolge illustrieren.

Die Schau versammelt erstmals in dieser geballten Dichte alle in Europa bekannt gewordenen Klassiker des kubanischen Kinos, darunter neun der zwölf Spielfilme des Meisterregisseurs Tomás Gutiérrez Alea, dessen Hauptwerk LA ÚLTIMA CENA / DAS LETZTE ABENDMAHL (1976)

als Einstieg in das historisch angelegte Konzept dient. Diese gleichnishafte Passionsgeschichte aus der Epoche der Sklaverei fungiert als Schlüssel zum tieferen Verständnis und Verlauf von Kubas Geschichte. Doch in den meisten seiner Werke beschäftigte sich Alea mit der Gegenwart, wobei er die Chronik laufender Ereignisse oft mit den Mitteln der Satire überhöhte wie in dem berühmten LA MUERTE DE UN BURÓCRATA (1966), oder in LAS DOCE SILLAS (1962), LOS SOBREVIVIENTES (1978) und GUANTANAMERA, seinem künstlerischen Testament von 1995. Als Regisseur der ersten Stunde begleitete er die Revolution durch alle Perioden bis zur Krise der 1990er-Jahre und plädierte in dem Melodram FRESA Y CHOCOLATE (1993) auch für Toleranz gegenüber diskriminierten Minderheiten. Mit CARTAS DEL PARQUE, der Verfilmung einer Episode des García Márquez-Romans Die Liebe in den Zeiten der Cholera, tauchte er 1988 noch einmal in die vergangene Atmosphäre des Fin-de-Siècle ein.

Weitere künstlerische Highlights repräsentieren die formal originellen historischen Werke von Manuel Octavio Gómez: LA PRIMERA CARGA AL MACHETE (1969) offeriert innovative Schwarzweißfotografie, während der erste Farbfilm Kubas, LOS DÍAS DEL AGUA (1971), eine Orgie ästhetischer Farbdramaturgie darstellt. Formale Originalität bieten auch Julio G. Espinosas Revolutionskomödie LAS AVENTURAS DE JUAN QUIN QUIN (1967) sowie Mihaíl Kalatozovs sowjetisch-kubanischer Revolutionsklassiker SOY CUBA (1964), oder DE CIERTA MANERA (1974) von Sara Gómez, der ersten Spielfilmregisseuse des Landes, und das Triptychon über den Weg femininer Emanzipationsgeschichte LUCÍA (1968) von Humberto Solás, der den historischen Erzählbogen von der Sklaverei zur Revolution beschließt. Diese Klassiker sind insbesondere für Fans der Schwarzweißfotografie Pflichttermine. Dazu gehört auch der berühmte Kurzfilm von Octavio Cortázar POR PRIMERA VEZ (1967), in dem Bauernkinder in der Sierra Maestra bei ihrem ersten Filmerlebnis, Chaplins MODERN TIMES, beobachtet werden.

Zu Klassikern sind inzwischen auch die Werke von Daniel Díaz Torres, Fernando Pérez und Juan Carlos Tabío avanciert, die die Lebensverhältnisse in den Krisenjahren seit 1991 und in der Gegenwart reflektieren. Hintergründige Krimikomödien wie HACERSE EL SUECO (2000) und schwarzhumorige Satiren wie ALICIA EN EL PUEBLO DE MARAVILLAS (1991) sind die Spezialität von Daniel Díaz Torres, während Juan Carlos Tabío in seinen Gesellschaftskomödien vorführt, wie man widrige Umstände meistert (LISTA DE ESPERA, 1999) oder sich von paranoidem Aberglauben verrückt machen lässt (PLAFF, 1989). Fernando Pérez hingegen zeigt in seinen Filmen vornehmlich, wovon Kubaner heute gerne träumen.

In einer Kuba-Schau darf auch die Musik als unverzichtbarer Vermittler tropikalen Lebensgefühls nicht fehlen. Neben schon bekannten Werken gibt es für Freunde des traditionellen son cubano

Gelegenheit die Österreich-Premiere der historischen Filmbiografie über den Volkssänger Benny Moré, EL BENNY, zu erleben, die Jorge Luis Sánchez 2006 realisierte.

Unter den Dokumentarfilmen finden sich mit MONTANA DE LA LUZ und HÁGASE LA LUZ (Roberto Chile, 2005) zwei Arbeiten über Kubas medizinische Hilfsprogramme für die Dritte Welt. Sie zeigen, warum Kubas Ansehen bei den Völkern Lateinamerikas sehr hoch ist.

REVOLUTIONSLEGENDEN LATEINAMERIKAS – Mythen, Fakten und Idole
Da man die Geschichte und Bedeutung Kubas jedoch nicht isoliert vom lateinamerikanischen Subkontinent betrachten sollte, wird die Schau durch ein Special ergänzt, das neben einigen Spielfilmklassikern lateinamerikanischer Länder wie DER FILM DES KÖNIGS (Carlos Sorín, 1986), SUR (Fernando Solanas, 1987), DAS BLUT DES KONDORS (Jorge Sanjinés, 1969) oder MACUNAÍMA (Joaquim Pedro de Andrade, 1969) eine Reihe hoch interessanter Dokumentationen über Ikonen der Revolutionsgeschichte enthält, von denen einige erstmals in Österreich zu sehen sind, darunter sechs Filme des renommierten italienischen Dokumentaristen Gianni Minà.

Gianni Minà (geboren 1938 in Turin) blickt auf ein Lebenswerk, das einen Zeitraum von 40 Jahren investigativem Journalismus einschließt. Seine Dokumentationen verstehen sich als Chronik sozialer Bedingungen und kultureller Trends in den USA und Lateinamerika. 1981 wurde er von Staatspräsident Sandro Pertini mit dem St. Vincent-Preis für den besten TV-Journalisten des Jahres ausgezeichnet. Von 1981 bis 1984 gestaltete er für den Sender RAI eine Schau, in der Federico Fellini, Muhammad Alì, Robert de Niro, Jane Fonda, Gabriel García Márquez und Enzo Ferrari auftraten. Als TV-Journalist des Senders RAI kam Gianni Minà 1987 nach Havanna, um Fidel Castro zu interviewen. Der Comandante erklärte sich dazu bereit und gewährte dem Gast Einblick in seine Sicht der Welt, was sechzehn Stunden dauerte. Aus diesem Material montierte Minà zwei abendfüllende Dokumentationen – UN DÍA CON FIDEL und FIDEL CUENTA EL CHE – in denen Castro auf alle Fragen des Journalisten mit bekannt eloquenter Rhetorik ausführlich eingeht. Vier weitere Dokumentationen komplettieren seine Kuba-Dokuserie, darunter der 1992 entstandene Beitrag CHE 40 JAHRE DANACH. Herzstück dieses Beitrags ist das Interview mit Harry Villegas („Pombo“) und Leonardo Tamayo („Urbano“), zwei Weggefährten Guevaras, die das Bolivien-abenteuer von 1967 überlebten. Sie schlossen sich 1957 als fünfzehnjährige Bauernjungen der Guerilla in der Sierra Maestra an und begleiteten Guevara auf allen Wegen bis zu dessen Tod. Anlässlich der österreichischen Erstaufführungen seiner bei der 57. Berlinale vorgestellten Doku-Serie über Kuba wird Gianni Minà am Freitag, dem 4. September (21 Uhr) und am Samstag, dem 5. September (17 Uhr) seine Filme im Metro-Kino persönlich präsentieren. Als Double Feature wird am 4. September im Anschluss an den Film EIN TAG MIT FIDEL der Film CHE 40 JAHRE DANACH zusätzlich angeboten.

Eine Sensation ersten Ranges bietet das Programm am 10. September und 19. Oktober in Form von Geschichtsunterricht pur! Warum Nelson Mandelas erster Weg auf seiner Dankestour nach der Freilassung aus dem Gefängnis auf Robben Island zu Fidel Castro führte, verrät die österreichische Erstaufführung der im Auftrag des Senders ARTE im Jahr 2007 produzierten Dokumentation CUBA, UNE ODYSSÉE AFRICAINE / KUBA, EINE AFRIKANISCHE ODYSSEE. Im Metro-Kino wird der weder im Kino noch im Fernsehen gezeigte Dreistunden-Director’s Cut der ägyptischen Filmemacherin Jihan El-Tahri präsentiert! El-Tahri rekonstruiert ausgehend von der Tragödie der Ermordung Patrice Lumumbas im Kongo 1961 die historische Entwicklung von Kubas Engagement in Afrika an der Seite der diversen Befreiungsbewegungen vom Kolonialjoch. Der zweite Teil konzentriert sich auf die Ursachen und den Verlauf des Krieges in Angola, der dreizehn Jahre dauerte. In diesem Film kommen viele Repräsentanten aller an den Konflikten in Afrika beteiligten Parteien im Originalton zu Wort und legen offen ihre Interessen und ihre Sicht der Dinge dar. In Ergänzung dazu werden beide Filme des Haitianers Raoul Peck über LUMUMBA gezeigt: Der Spielfilm von 2000 und der Dokumentarfilm von 1992.

Weitere Dokumentationen über Lateinamerikas Revolutionäre betreffen Che Guevara, Fidel Castro, Salvador Allende, Evo Morales, Hugo Chavez. Den deutschen Beitrag bilden Ches Weggefährtin Tamara Bunke und der Forscher und Humanist Alexander von Humboldt. Über Ausplünderungen von Staaten durch den IWF mit Hilfe korrupter Regierungen und deren Auswirkungen auf die Bevölkerung berichtet Fernando Solanas in seinen Dokumentationen MEMORIA DEL SAQUEO (2004) und LA DIGNIDAD DE LOS NADIES (2005).
     
Informationen: http://www.filmarchiv.at    
     
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