Mumok und Kunsthalle bieten panoramatischen Kunst-Blick auf 1989   

erstellt am
16. 11. 09

Kunsthalle 89er-Schau folgt "Suhrkamp"-Fragen - Mumok unternimmt künstlerisches Großmanöver
Wien (kunsthallewien) - Das Plakat der Kunsthallen-Schau zeigt einen männlichen Trabi-Fahrer, der die Hand reicht, die kürzlich eröffnete Gender Check-Ausstellung im Mumok setzt auf ihre Visitenkarte den russischen Künstler Vladislav Mamyshev, der eine gegenderte Marilyn Monroe mimt: spontan-männlicher Handschlag mit motorisierter Bewegungsfreiheit da, erotische umkodierte US-Ikonographie dort. Wer sich mit "1989", seiner europäischen Vor- und Folgegeschichte auseinandersetzen will, hat mit den beiden fußnah verbundenen Kunst-Ausstellungen in der Kunsthalle wie im Mumok in den nächsten Monaten dazu genügend Gelegenheit.

"Gender check", kuratiert von Bojana Pejic, die 1999 in Stockholm mit der Rückschau auf (süd)osteuropäische Kunst "After the Wall" für Schlagzeilen sorgte, gibt sich panoramatisch. 400 Werke von 200 Künstlerinnen und Künstlern aus 24 ehemals "geschlechtslosen" Ostblock-Staaten listet das Mumok-Pressepapier - darunter auf sechs eng beschrieben Seiten alleine die mitwirkenden KünstlerInnen - auf. Was sich wie ein künstlerisches Militärmanöver liest, stellt sich auf den drei Ebenen des Mumok gut sortiert da: Im Parterre (Ebene 4) geht es um die Zeit vor dem Mauerfall, Ebene 1 setzt sich ironisierend mit kommunistischer Ikonographie, Ebene 6 mit "women artist" auseinander. Klar, dass dieser Reisevorschlag auch anders gelesen werden kann: Der hier eröffnete Diskursraum deckt nicht nur 50 Jahre Kunstgeschichte ab, zwischen Ex-Yugoslawien und der Ukraine, zwischen Polen und Armenien sind auch die Kunstrouten noch nicht behördlich-universitär abgenommen.

Im Unterschied zur Kunsthallen-Schau, in der die "realen" Zeitabläufe von 89 nicht nur mit einer von Oliver Rathkolb zusammengefassten Rahmenerzählung im Foyer, sondern auch in den Kunstwerken angesprochen werden - so etwa Hans Haake mit einem Ölportrait des arrogant wirkenden US-Präsidenten Ronald Reagan, welches einem riesigen Doku-Photo von den Friedensdemos von 1982 gegenüber steht - liegt der Schwerpunkt im Mumok eher auf dem Privaten. Da gibt es etwa die beiden Fotografien von Elzbieta Jablonska, die mit "Supermatha" eine traurig-leer im Wohnzimmer und Küche sitzende kostümierte Batman/Superwoman-Frau mit Kind zeigt, da gibt es Wolfgang Peukers "walls"-Gemälde, welches eheliche Gewalt in Öl festhält. Westliche Ästhetik spiegelt sich nur selten wieder und dann oft in zu Kunstwerken mitverarbeiteten weiblichen Werbesujets. Die Mann-Frau-Ebene kommt unverblümt daher: Emese Benczurs Videoeinspielung Karten spielender Männer, die mit ihren Stoppelfrisuren inmitten von Zigarettenrauch, Alkopops, Heiligenbild unflätige Wörter austauschen, wäre da etwa zitabel. Pejic Reiseangebot, welches mithilfe von 24 Researchteams aus entsprechend vielen Staaten, zusammengestellt ist, kümmert sich nicht um abhakbare West-Ost-Fragen, vielmehr führt sie den Besucher in die "vier Wände" einer Weltgegend ein, deren Vorhandensein aus österreichischer Sicht vor allem profitabel ist.

Wenn das Mumok, dessen Gender-Schau wohl unbeabsichtigt am Valentinstag des kommenden Jahres endet, also an jenem Tag, wo die Höflichkeit den Blumenstrauß zwischen Mann und Frau Blumen nahelegt, Kunst pur zeigt, dann legt die Kunsthalle, um im Trabi-Bild zu bleiben, doch den Gang ins Politische ein. Genderthemen finden sich auch hier, die kuratorische Leitlinie von Kunsthallen-Direktor Gerald Matt und Catherine Hug hält die Leitplanken des Inhalts jedoch gut im Auge. "1989. Ende der Geschichte oder Beginn der Zukunft?" kommt rascher als der Museums-Nachbar zum Thema. Nach dem millionenfach ungläubig formulierten "Wahnsinn!" angesichts des gewaltfreien Zusammenbruchs des Sowjetreiches nimmt sich die Kunsthalle eher den "Suhrkamp"-Folgefragen dieses Endes und gleichzeitigen Beginns an. Nicht nur, dass sich auf dem Katalog- und Büchertisch in der Schau eine ahnsehnliche Zahl der klugen Textsammlungen des kürzlich von ehemals "BRD-Frankfurt" nach "Berlin 2009" gezogenen Intellektuellen-Verlags finden, auch die ausgewählten Kunstwerke der hier versammelten 35 Künstlerinnen und Künstler konzentrieren sich auf die großen Fragen, deren Antworten - auch im Westen - nur mehr ungenügend geliefert werden. Da ist etwa das 160 Quadratmeter "große Archiv" von Ilyia & Emilia Kabakov, welches labyrinthisch und unter "russischer Beleuchtung" den bürokratischen Irrsinn und Selbstlauf des Hammer-und-Sichel-Imperiums nachspürt, ebenso wie Song Dongs nächtlich-kalte Erinnerung an die Niederschlagung auf dem Platz des himmlischen Friedens in mehreren Fotografien wach gehalten wird. Vielleicht bringt es Alighiero Boettis "Mappa" auf den Punkt. Der 1989 gewobene Weltkarten-Wandteppich, kurz vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion fertig gestellt, zeigt eine "Geographie-Unterricht"-Welt mit einer Unzahl an Staatswappen, die es heute "längst" nicht mehr gibt. Nicht nur der große rote Fleck im Osten Europas ist damit gemeint. Interessantes Detail daran: Gewoben wurde der Wandteppich von vier afghanischen Frauen, also in jenem Landstrich, von dem man offiziell noch nicht weiß, ob dort Krieg geführt oder Hilfsmaßnahmen umgesetzt werden.

Zu beiden Ausstellungen liegen Kataloge auf. Detto werden diverse Publikumsführungen angeboten. Für die Kunsthalle-Ausstellung liegt vor Ort eine 33seitige Broschüre über das umfangreiche Begleitprogramm, welches Vorträge, Filmvorführungen und Künstlergespräche vorsieht, kostenlos auf.
     
Informationen: http://www.kunsthallewien.at    
     
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