Italienische Berufung gegen das „Kruzifix-Urteil“ des EGMR   

erstellt am
04  02. 10

Presseerklärung von Außenminister Spindelegger
Wien (bmeia) - Nachdem der italienische Botschafter das österreichische Außenministerium am 04.02. offiziell von der Einbringung des Antrags Italiens auf Verweisung der Rechtssache Lautsi vs. Italien’ an die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte informiert hat, hat Außenminister Michael Spindelegger folgende Presseerklärung abgegeben:

„Das Kammer-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Lautsi gegen Italien’ vom 3. November 2009 zur Frage der Anbringung von Kruzifixen in Klassenzimmern berührt sehr sensible rechtliche, politische und gesellschaftlich-kulturelle Fragen im Zusammenhang mit der Religionsfreiheit, die von gesamteuropäischer Relevanz sind. Es hat in vielen Ländern, darunter auch Österreich, zu eingehenden Diskussionen und auch Kritik geführt.

Der österreichische Nationalrat hat in seiner Entschließung vom 19. November 2009 seine große Sorge zum Ausdruck gebracht, dass die in diesem noch nicht rechtskräftigen Urteil angewendeten Kriterien zu einer Einschränkung und Aushöhlung des Rechts auf öffentliche Religionsausübung führen könnten. Ähnliche Beschlüsse wurden auch von mehreren Landtagen gefasst.

Toleranz, kulturelle Vielfalt und sozialer Friede sind Grundpfeiler unserer europäischen Werteordnung. Sie liegen auch der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu Grunde. Dabei muss auch jedem einzelnen Staat ein gewisser Gestaltungsspielraum gewährt werden, um auf historisch gewachsene Ausprägungen Rücksicht zu nehmen. Unsere europäische Werteordnung ist maßgeblich von der christlich-abendländischen Tradition mitgeprägt, in der religiöse Symbole ihren legitimen Platz haben.

Ich begrüße daher den Antrag Italiens auf Verweisung dieser wichtigen Rechtsfrage an die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Ich bin zuversichtlich, dass sich die Große Kammer dieser komplexen Situation und dem kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas bewusst ist. Ich halte es für wichtig, dass sie bei ihrer Entscheidung das langjährige Rechtsverständnis der Vertragsstaaten der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten berücksichtigt, wonach der Religionsfreiheit die Präsenz von religiösen Symbolen im öffentlichen Raum nicht entgegensteht. Im Gegenteil, jedermann ist dazu berechtigt, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder in Gemeinschaft, öffentlich oder privat auszuüben.“
     
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