60. Städtetag in Villach  

erstellt am
28  05. 10

Experten zur Finanzkrise der Städte
Villach (rk) - Am zweiten Tag des 60. Österreichischen Städtetages 2010 in Villach standen vier hochkarätig besetzte Arbeitskreise auf dem Programm. Arbeitskreis 1 befasste sich mit dem Schwerpunktthema "Finanzierung der Städte nach der Krise". Denn die Finanz- und Wirtschaftskrise wirkt sich inzwischen stark auf die Finanzen von Städten und Gemeinden aus: durch ständig sinkende Einnahmen und steigende Ausgaben sowie ständig wachsende Aufgaben sind Österreichs Städte in einer prekären Finanzsituation. Peter Biwald, Geschäftsführer des KDZ - Zentrum für Verwaltungsforschung, unterstrich in seiner Finanzprognose die Dramatik: Bis zum Jahr 2012 werden die Ausgaben gleich hoch wie die Einnahmen der Städte sein, wodurch überhaupt keine freien Mittel mehr für Investitionen zur Verfügung stehen, so die Prognose. 2013 könnten demnach 90 Prozent aller Gemeinden nicht mehr ausgeglichen bilanzieren. Einige Gemeinden müssen schon jetzt fremd finanzieren oder finanzieren mit außerordentlichen Budgets die laufenden Ausgaben. Als Maßnahmen gegen den drohenden Bankrott empfahl Biwald eine grundlegende Reform des Finanzausgleichs, der sich an den Aufgaben der Kommunen orientiert. Ebenso müsse die Frage nach eigenen, kommunalen Abgaben gestellt werden. Nur ein Teil des Budgetlochs könne über Effizienzsteigerungen durch die interkommunale Zusammenarbeit und durch die Modernisierung der Prozesse erreicht werden. Darüber hinaus müsse aber prinzipiell die Frage gestellt werden, welche Leistungen eine Stadt überhaupt zu erbringen habe und wie gegebenenfalls neue Prioritäten gesetzt werden könnten.

Bürgermeister Bernhard Müller aus Wiener Neustadt (40.000 Einwohner) und Stadtrat Gerhard Rüsch aus Graz (250.000 Einwohner) berichteten über die jeweilige Finanzsituation und ihre vielfältigen Bemühungen zur Budgetkonsolidierung. Bürgermeister Müller appellierte in dieser "schlimmsten Finanzkatastrophe der letzten 70 Jahre", einen "unbedingten Sparwillen abzulegen" und dies der Bevölkerung auch zu sagen - einschneidende Änderungen und Strukturreformen seien unumgänglich, man müsse nachdenken dürfen über freiwillige kommunale Zusammenarbeit und Fusionierungen von Gemeinden.

Interessante und kontroversielle Ansätze lieferte Markus Straehler, der 15 Jahre Bürgermeister im deutschen Langenfeld (60.000 Einwohner, Nordrhein-Westfahlen) war. Er konnte dort den Schuldenstand durch verschiedene Maßnahmen auf Null reduzieren: Durch eine forcierte Ansiedlungspolitik, durch Einsparungen im städtischen Personal und durch bewusste Reduktion der städtischen Leistungen. So übernahmen die BürgerInnen teilweise selbst Aufgaben der Straßenreinigung.

 

Experten zur Zukunft von "Stadtregionen"
Villach (rk) - Der 3. Arbeitskreis am Städtetag in Villach befasste sich mit der Politik sogenannter "Agglomerationen" (lat. agglomerare "fest anschließen", also eine Kernstadt, die ein dicht besiedeltes Umland besitzt, auch als "Stadtregion" bezeichnet wird).

Rund 70 Prozent der österreichischen Bevölkerung (5,5 Mio Einwohner) wohnen in den Stadtregionen Österreichs, etwa 54 Prozent allein im verdichteten Agglomerationsraum. 77 Prozent aller Arbeitsplätze befinden sich dort. Der Zuzug in diese Stadtgebiete ist ungebrochen und wird auch in näherer Zukunft anhalten. Heinz Fassmann von der Universität Wien erläuterte das Thema Stadtplanung und Stadtentwicklung: Anders als bis in die 1990er Jahre befasse sich Raumplanung heute weniger mit ländlichen, benachteiligten Gebieten als mit diesen städtischen Ballungsräumen, da dort das größte Entwicklungspotential, aber auch die größeren Probleme herrschten. Städte seien die wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Zentren des Landes, sie seien Wirtschaftsmotoren und beherbergen die Medien- und Informationsbranche, Banken, Versicherungen und Finanzdienstleister - die Standortqualität sei wichtig für die Wettbewerbsfähigkeit des gesamten Landes. Gleichzeitig sei eine unfaire Verteilung der Finanzmittel für diese Stadtregionen festzustellen: Der Finanzausgleich orientiere sich an einer Pro-Kopf-Verteilung, die längst überholt sei, weil Menschen nicht mehr dort arbeiten, wo sie wohnen und nicht mehr nur die örtliche Infrastruktur nützen. Im sogenannten ÖREK (Raumentwicklungskonzept) werden Maßnahmen vorgestellt, wie die Zusammenarbeit dieser Agglomerationen funktionieren kann und die Wettbewerbsfähigkeit verbessert werden: Durch die Verankerung des Begriffs "Stadtregion" in Politik und Verwaltung, durch eine genaue Abgrenzung der Stadtregionen nach internationalem Vorbild (damit wären nur die großen Städte Österreichs eine solche Stadtregion), gezielte Förderung der Regionen, Entwicklung eines aufgabenorientierten, stadtregionalen Finanzausgleichs und die Bildung einer österreichweiten Kooperation zwischen den Stadtregionen.

Fritz Wegelin vom Bundesamt für Raumentwicklung erklärte das Thema Agglomerationspolitik am Beispiel Schweiz, wo das Thema bereits viel länger präsent ist. Durch die zunehmende Mobilität seien in den Städten die Themen Verkehr, Umwelt, Soziales und Finanzen nicht mehr alleine lösbar geworden. Der Bund habe die Probleme erkannt und schrittweise eine Agglomerationspolitik entwickelt - die Kantone seien am Anfang skeptisch gewesen, inzwischen aber überzeugt davon.

Funktionale Metropolregionen seien auch auf europäischer Ebene eine immer wichtigere Planungseinheit, betonte der Wiener Planungsstadtrat Rudolf Schicker. Beleuchtet wurde das Thema Agglomerationspolitik weiters anhand von Beispielen aus Deutschland (Stefan Dallinger, Sprecher des Initiativkreises Europäische Metropolregionen in Deutschland) und am Beispiel Salzburger Zentralraum (EuRegio-Masterplan der Metropolregion Salzburg-Berchtesgadener Land-Traunstein) durch einen Beitrag von Andreas Schmidbaur, zuständiger Amtsleiter in Salzburg.

 

Arbeitskreis Integration setzt auf Bildung
Villach (rk) - Der Arbeitskreis Integration setzte sich am Donnerstag in erster Linie mit dem Thema Bildung auseinander. Bildung sei einer der drei Schlüssel zur Integration, so Mario Rieder, Geschäftsführer der Wiener Volkshochschulen. Erst Bildung führe zu entsprechenden Chancen am Arbeitsmarkt (Schlüssel 2) und erweitere die Möglichkeiten der gesellschaftlichen Beteiligung (Schlüssel 3). Als zentrale Herausforderungen für kommunale Bildungsarbeit in Hinblick auf Integrationsprozesse nannte Rieder unter anderem ein funktionierendes Zusammenleben. Hier müsse sich die Aufnahmegesellschaft für solche Prozesse "fit machen" und gegenseitige Lernbereitschaft fordern und fördern. Weitere Herausforderungen seien die Unterstützung von Mehrsprachigkeit und das Thema "Qualifikation und Arbeitsmarkt", das wiederum ursächlich mit dem Thema Bildung verbunden sei. Als Erfolgsfaktor diagnostizierte Rieder vor allem "Koordination und Vernetzung": Ein abgestimmtes Agieren von Kindergarten, Schule, Erwachsenenpolitik und Arbeitsmarktpolitik sei für den Erfolg unbedingt notwendig, sowohl auf nationaler als auch kommunaler Ebene.

Das Thema Bildung sei auch wichtiger Bestandteil bei der Integrationsarbeit der Stadt Innsbruck, so Bürgermeisterin Christine Oppitz-Plörer. So werde seit mehreren Jahren in Kindergärten und Horten interkulturelle Sprachassistenz angeboten, parallel dazu Sprachkurse für Mütter. Weitere Projekte gebe es in punkto "Neuer Mittelschule" - hier liege der Migrationshintergrund übrigens bei annähernd 70 Prozent.

Einen Blick auf Stadtentwicklung und Migration warf Prof. Erol Yildiz von der Universität Klagenfurt. Seine Kritik: der Beitrag von Migranten zur Stadtentwicklung und zur urbanen Kommunikation komme im öffentlichen Diskurs kaum vor. Im Gegenteil: migrationsgeprägte Viertel würden schnell zum "Ghetto" stilisiert. Betrachte man Migration und Diversität als "städtische Ressource", wäre dies vielmehr eine Bereicherung und keine Last. Stadtentwicklungspolitische Konzepte könnten in diesem Kontext jedenfalls viele Möglichkeiten bieten.

 

Arbeitskreis Energieeffizienz mit Schwerpunkt Gebäudesektor
Villach (rk) - "Gerade der Gebäudesektor bietet Städten und Gemeinden sinnvolle Chancen zur Reduktion von Treibhausgasen", so eine Kernaussage der vom Österreichischen Städtebund in Auftrag gegebenen Analyse zum Thema Gebäude und Einsatz erneuerbarer Energieträger. 60.000 Gebäude befinden sich derzeit im Eigentum von Städten und Gemeinden: das macht sie zum wichtigsten Gebäudeeigentümer der öffentlichen Hand. Erneuerbare Energieträger, so die Studie, hätten derzeit einen Anteil von knapp 29 Prozent am Endenergieverbrauch - nach wie vor eine Diskrepanz zu dem 34-Prozent-Ziel des Kyoto-Protokolls. Seit 2003 finde zwar eine Stabilisierung der Treibhausgas (THG)-Emissionen statt, eine Trendumkehr könne daraus allerdings noch nicht geschlossen werden.

"Die Energiestrategie in Österreich baut inhaltlich auf dem Klima- und Energiepaket der EU auf", so Christof Amann, Projektleiter der Studie. Diese beinhalte damit unter anderem die sogenannten 20-20-20-Ziele: Reduktion der THG-Emissionen, Steigerung des Anteils der Erneuerbaren Energien und Steigerung der Energieffizienz um jeweils 20 Prozent. Vorrangiges Ziel sei in Österreich die Stabilisierung des Energieverbrauchs auf das Niveau von 2005. Zu den Instrumenten der Länder meinte Amann, dass diese mit der Umsetzung der EU-Gebäuderichtlinie und mit der 15a-Vereinbarung über gemeinsame Qualitätsstandards für die Wohnbauförderung langsam in Richtung Harmonisierung gehen würden - ein wichtiger Aspekt für nachhaltigen Erfolg, so Amann.

Bei den Handlungsoptionen der Städte stünden vor allem die Festlegung von hohen energetischen Standards bei Neubau und Sanierung, laufendes Monitoring durch Energiebuchhaltung und die Festlegung von Energieeffizienz-Kriterien für Gebäude bei Stadtentwicklungsgebieten im Vordergrund. Ein weiterer wichtiger Punkt: die Fernwärme. Neben gezielter Förderung sei auch die Wirtschaftlichkeit der Fernwärme zu erhöhen. So könne zum Beispiel bei Baurechtsverträgen die verpflichtende Anbindung vorgegeben werden.

Beispiele zur Energieeffizienz in Österreichs Städten
Im Rahmen des Arbeitskreises stellten unter anderem zwei österreichische Städte ihre Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz vor. Das Grazer Klimaschutz-Konzept 2020 (beschlossen 2008) setze bei der Energieeffizienz vor allem auf städtische Gebäude, auf Wohnbauten und Betriebe sowie auf den Ausbau von Solarenergie und Fernwärme und auf eine Veränderung des Mobilitätsverhaltens, so die Grazer Vizebürgermeisterin Lisa Rücker. Maßnahmen zur Elektromobilität in Österreich sah Rücker übrigens durchaus kritisch: oft fehle in den Städten die Infrastruktur und es gebe kein einheitliches Betankungssystem. Stadträtin Claudia Schmidt stellte das Energiekontrollsystem der Stadt Salzburg vor, das seit mittlerweile 10 Jahren im Einsatz sei. Trotz steigender Nutzflächen und einer jährlichen Steigerung des Stromverbrauchs um 2,3 Prozent sei damit der Heizenergieverbrauch seit 1998 um 17,3 Prozent gesenkt worden.

 

Weninger: Faire Aufteilung der Mittel gefordert
Abschlussrede des Generalsekretärs, Resolution beschlossen
Villach (rk) - In seiner Rede am Ende des 60. Österreichischen Städtetages 2010 in Villach ging Thomas Weninger, Generalsekretär des Österreichischen Städtebundes, einmal mehr auf die Finanz- und Wirtschaftskrise und die Auswirkungen auf die Städte ein. Es brauche wirtschaftliches Wachstum, so Weninger, aber das Bruttoinlandsprodukt (BIP) dürfe nicht der einzige Maßstab sein - viele österreichische Städte würden punkto Lebensqualität im Spitzenfeld liegen, obwohl die Wirtschaftsleistung anderer Städte weitaus höher sei. Das BIP gebe auch keinerlei Auskunft über die Verteilung des Wohlstandes in einer Stadt. Weninger betonte, es seien eben gerade die Städte und Gemeinden, die den sozialen Zusammenhalt herstellen und Nachhaltigkeit im Wachstum schaffen und gewährleisten müssten.

Angesichts der Tatsache, dass 80 Prozent aller kommunal relevanten Entscheidungen auf EU-Ebene getroffen würden, sei es unhaltbar, dass die EU derzeit das soziale Element völlig vernachlässige. Weninger: "Es war ein katastrophales Signal, dass es zwei Bankengipfel gegeben hat, aber keinen einzigen Arbeitsmarktgipfel". Er forderte einen "Pakt für sozialen Fortschritt, der die sozialen Auswirkungen der neoliberalen Krise in Angriff nimmt und dem Anwachsen von Armut, Ungleichheit und Ausgrenzung entgegenwirkt."

Städte haben Schlüsselrolle innerhalb der EU
Dienstleistungen im öffentlichen Interesse würden eine Schlüsselrolle innerhalb der EU spielen, erläuterte der Städtebund-Generalsekretär: Sie tragen mit 26 Prozent (2.500 Milliarden Euro) wesentlich zum Bruttoinlandsprodukt der EU bei, 30 Prozent aller Beschäftigten sind im Bereich der Daseinsvorsorge tätig und versorgen 500 Millionen BürgerInnen in der EU mit diesen Dienstleistungen. Weninger kritisierte die immer wieder erhobene Forderung nach Privatisierung der Daseinsvorsorge, denn nur so könne ein gleichberechtigter Zugang am gesellschaftlichen Leben gewährleistet sein und die kommunale Selbstverwaltung erhalten bleiben. Gegenwärtig bleibe aber nur die "Verwaltung des Mangels" über: "Wir sind auf dem Weg zur neoliberalen Stadt", so Weninger " sollte an den Leistungen der Daseinsvorsorge gespart werden müssen". "Die Finanzlage ist für viele Städte und Gemeinden alarmierend, manche befinden sich bereits unmittelbar vor dem Bankrott. Wenn sich an der Finanzausstattung der Städte nicht grundlegend etwas ändert, gerät das Fundament des Staates ins Wanken", warnte Weninger.

Resolution beschlossen
Am letzten Sitzungstag des 60. Österreichischen Städtetages wurde eine Resolution beschlossen, die die Position der 247 Mitglieder des Österreichischen Städtebundes wiedergibt. Darin wird auf die prekäre Situation der Österreichischen Städte und Gemeinden hingewiesen und gewarnt, dass die Leistungen der Städte akut bedroht sind, wenn nicht strukturelle Maßnahmen ergriffen werden. Österreichs Städte fordern darin unter anderem: Mitbestimmung im Sozial- und Gesundheitsbereich, eine faire Mittelaufteilung durch einen aufgabenorientierten Finanzausgleich, eine klare Kompetenzaufteilung zwischen den Gebietskörperschaften und eine Modernisierung der gemeindeigenen Abgaben. In der Resolution stellen die Städte fest, dass "die derzeitige Situation sie veranlasst hat, bis zur Grenze der Finanzierbarkeit zu gehen und (sie) sehen sich außer Stande, die strukturellen Defizite aus eigener Kraft auszugleichen. Daher werden Bund und Länder aufgefordert, gemeinsam mit Städten und Gemeinden die erforderlichen Schritte zu setzen", so die Resolution.

 

Städtetag in Villach
Derzeit findet in Villach der 60. Österreichische Städtetag statt. Bei diesem jährlichen Treffen des Städtebundes, das die Generalversammlung der 246 Mitgliedsstädte und -gemeinden darstellt, nehmen rund 800 BürgermeisterInnen und GemeinderätInnen aus Österreich und Europa teil. Der Städtetag wurde heute, Donnerstag in vier Arbeitskreisen fortgesetzt und endet morgen, Freitag nach einer hochkarätig besetzten Runde von österreichischen Bankvorständen, mit der Rede des Generalsekretärs sowie dem Beschluss der Resolution zum Städtetag 2010.

Der österreichische Städtebund
Der Österreichische Städtebund ist die kommunale Interessenvertretung von insgesamt 246 Städten und größeren Gemeinden. Etwa 65 Prozent der Bevölkerung und 71 Prozent der Arbeitsplätze befinden sich in Österreichs Ballungsräumen.

Mitglieder des Städtebundes sind neben Wien und den Landeshauptstädten praktisch alle Gemeinden mit über 10.000 EinwohnerInnen. Die kleinste Mitgliedsgemeinde zählt knapp 1.000 EinwohnerInnen. Die Mitgliedschaft ist freiwillig. Neben dem Österreichischen Gemeindebund, der die kleineren Gemeinden vertritt, ist der Österreichische Städtebund Gesprächspartner für die Regierung auf Bundes- und Landesebene und ist in der österreichischen Bundesverfassung (Art. 115 Abs. 3 ) ausdrücklich erwähnt. 

http://www.staedtetag.at
     
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