Eröffnung der XVIII. Internationalen Aids-Konferenz   

erstellt am
18. 07. 10

Führende Vertreter der Wissenschaft, Community und Politik loben jüngste Fortschritte bei universellem Zugang und fordern nachdrücklich Dynamik beizubehalten
Wien (aids 2010) - Ermutigt von den jüngsten Forschritten aber wachsam im Hinblick auf Anzeichen möglicher Kürzungen haben sich am 18.07. geschätzte 20.000 Teilnehmer aus über 185 Länder zum Auftakt der XVIII. Internationalen Aids-Konferenz (AIDS 2010) in Wien versammelt. Unter dem Motto Rechte hier und jetzt widmeten sich Experten der aktuellen Epidemiesituation. Dabei hoben sie die zentrale Rolle hervor, den der Schutz der Menschenrechte für den Erfolg spielt, und erläuterten die wegweisenden Entscheidungen, denen sich die Staatsoberhäupter der Welt im kommenden Jahr gegenüber sehen.

"Erstmals seit der Entwicklung lebensrettender HIV-Behandlungen gibt es Fakten, die alles Bisherige in den Schatten stellen und verdeutlichen, dass ein nachhaltiger und breiter Zugang zu antiretroviraler Behandlung Menschenleben retten und der Epidemie Einhalt gebieten kann", sagte AIDS 2010-Vorsitzender Dr. Julio Montaner, Präsident der Internationalen Aids-Gesellschaft (IAS) und Direktor des BC Centre for Excellence in HIV/AIDS in Vancouver, Kanada. "Es ist eine erfolgversprechende Zeit und an diesem Punkt müssen wir den Kurs beibehalten." Die Wahl Wiens zur Gastgeberstadt für AIDS 2010 wurde auch aufgrund seiner räumlichen Nähe zu Osteuropa und Zentralasien getroffen, einer Region, in der sich die Epidemie vor allem durch den intravenösen Drogengebrauch besonders schnell verbreitet. Die Konferenzdelegierten werden sich mit der Epidemie sowohl in Osteuropa und Zentralasien als auch in anderen Regionen der Welt befassen. Afrika südlich der Sahara, wo zwei Drittel aller Menschen mit HIV und Aids leben, bleibt weiterhin die am schwersten betroffene Region der Welt.

Als ein deutliches Zeichen der Unterstützung Österreichs werden die Delegierten vom österreichischen Bundespräsident Dr. Heinz Fischer und Gesundheitsminister Alois Stöger begrüßt. Zu den weiteren Rednern zählen: der Vizepräsident der Republik Südafrika Kgalema Motlanthe, der EU Kommissar für Gesundheit und Verbraucherpolitik John Dalli und die Community-Vertreter Vladimir Zhovtyak aus der Ukraine und Alexandra (Sasha) Volgina aus der Russischen Föderation. Auch Jugendaktivistin Rachel Arinii Judhistari aus Indonesien, der Exekutivdirektor des Gemeinsamen Programms der Vereinten Nationen für HIV/Aids (UNAIDS) Michel Sidibé und Sängerin, Songwriterin, Aids-Aktivistin und Sonderbotschafterin für UNAIDS Annie Lennox richteten ihre Botschaft an die Delegierten. Im Rahmen ihrer Teilnahme an der AIDS 2010 steht Annie Lennox darüber hinaus an der Spitze eines am Dienstag, den 20. Juli, in Wien stattfindenden Menschenrechtsmarsches mit anschließender Kundgebung: http://www.hivhumanrightsnow.org.

"In den letzten fünf Jahren konnten durch eine verbesserte Abdeckung in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen zehnmal so viele Menschen, d. h. derzeit fünf Millionen Menschen, eine HIV-Behandlung erhalten", meinte Dr. Brigitte Schmied, Vizepräsidentin der Konferenz und Präsidentin der Österreichischen AIDS Gesellschaft. "Zehn Jahre nach der AIDS 2000 in Durban haben wir den Skeptikern gezeigt, dass der universelle Zugang ein erfüllbares Ziel ist, das wir erreichen können und müssen", so Dr. Schmied weiter. "Angesichts der bevorstehenden Aufstockung der Mittel des Globalen Fonds wird es in den kommenden Monaten weiterhin unsere Aufgabe sein, uns selbst dieser Verantwortung zu stellen und sie auch von unseren politischen Entscheidungsträgern einzufordern."

Die Wiener Erklärung: Führung auf Basis von Wissenschaft statt Ideologie
Die im Vorfeld der Konferenz lancierte "Wiener Erklärung" hebt die Bedeutung hervor, Aids mit wissenschaftlich fundierten Maßnahmen und Programmen zu begegnen. Die offizielle Wiener Erklärung enthält den Aufruf zu einer Umorientierung in der Drogenpolitik weg vom "War on Drugs"-Leitsatz hin zu einem wissenschaftlich begründeten Zugang, der die Menschenrechte und medizinischen Bedürfnisse jener Menschen anerkennt, die illegale Drogen gebrauchen. Der gegenwärtige Ansatz stand Bemühungen im Wege, HIV durch den Einsatz von Maßnahmen wie Nadel- und Spritzenaustauschprogrammen und Opioidsubstitutionstherapie (OST) vorzubeugen.

Trotz wissenschaftlicher Erkenntnisse, die ihre Wirksamkeit untermauern, ist der Zugang zu solchen Maßnahmen eingeschränkt. Die Erklärung wurde bereits weltweit von Nobelpreisträgern und Entscheidungsträgern in Wissenschaft, Medizin, Wirtschaft, der Zivilgesellschaft sowie von Hunderten Organisationen und den ehemaligen Präsidenten Kolumbiens, Brasiliens und Mexikos unterstützt. Jeder einzelne ebenso wie Organisationen können online unter http://www.viennadeclaration.com ihre Unterstützung bekunden.

Die Fakten weisen auch eindeutig darauf hin, dass ein erfolgreicher Ausbau von HIV/Aids- Maßnahmen einen starken Schutz der Menschenrechte der am meisten gefährdeten Bevölkerungsgruppen bedingt, einschließlich Frauen und Mädchen, Vertriebener, Männern, die gleichgeschlechtliche Sexualkontakte haben, Sexarbeitern und Jugendlichen. Teil der heutigen Eröffnungssitzung waren auch die drei folgenden Referate zur aktuellen Epidemiesituation:

HIV-Epidemiologie - Fortschritte, Herausforderungen und Auswirkungen auf die Menschenrechte
Dr. Yves Souteyrand (Frankreich) von der Weltgesundheitsorganisation beleuchtete, wie bestehende Erkenntnisse über den Verlauf der Epidemie mit Fragen der Menschenrechte zusammenhängen. Er bezeichnete es als wesentlich für den zukünftigen Erfolg im globalen Umgang mit Aids, auf Menschenrechtsverletzungen in gefährdeten Bevölkerungsgruppen zu reagieren. Die HIV-Epidemie hat sich weltweit stabilisiert. So konnte ein Rückgang der aidsbedingten Todesfälle von 2,2 Millionen im Jahr 2004 auf 2 Millionen 2008 festgestellt werden, was größtenteils auf die beeindruckende Ausweitung der HIV-Behandlung zurückzuführen ist. Doch noch haben wir HIV mit 2,7 Millionen jährlichen Neuinfektionen nicht im Griff. Weltweit ist die Zahl der Neuinfektionen in einigen Schlüsselgruppen der Bevölkerung wie Migranten, Männer, die gleichgeschlechtliche Sexualkontakte haben, und injizierende Drogenkonsumenten besonders hoch. Diese Gruppen sind sozialer Ausgrenzung, Diskriminierung und sogar Kriminalisierung ausgesetzt, was bisher die Schaffung einer soliden epidemiologischen Wissensbasis verhindert hat. Auch wenn das Wissen vorhanden ist, fehlt es immer wieder an entsprechenden Maßnahmen seitens der Entscheidungsträger.

Menschenrechte und die Reaktion
In ihrem Referat über die Situation der Menschenrechte in Bezug auf die Epidemie bezeichnete Paula Akugizibwe (Südafrika) der AIDS and Rights Alliance of Southern Africa soziale, wirtschaftliche und politische Herausforderungen als die größten Hindernisse auf dem Weg zu einem universellen Zugang. Für rascheren Fortschritt und nachhaltigen Erfolg ist dringend notwendig, dass HIV-Maßnahmen auf konkreten Grundsätzen der Menschenrechte begründet sind. Zu wesentlichen Schritten in diese Richtung gehört die Aufhebung von Gesetzen, die die HIV-Übertragung kriminalisieren und Menschen, die mit HIV leben, sexuelle Minderheiten sowie Sexarbeiter ausgrenzen. Durch solche Gesetze werden Stigmata tief verankert und dringend benötigte HIV-Maßnahmen verhindert.

Derzeit drohende Finanzierungsprobleme beginnen sich bereits sehr nachteilig auf Gesundheitssysteme in Ländern mit niedrigem Einkommen auszuwirken und haben erheblichen Einfluss auf die Menschenrechtssituation. Jüngste Rückzieher von Finanzierungszusagen zugunsten eines universellen Zugangs seitens der Geldgeber und fehlendes Engagement zahlreicher Länder mit niedrigem Einkommen bei der staatlichen Finanzierung von HIVBehandlungen verdeutlichen die Unbeständigkeit von Gesundheitsmaßnahmen, die mehr von politischem und finanziellem Kalkül als von der Wahrung des Rechts auf Gesundheit motiviert sind. Wenn es weiterhin nicht gelingt, eine auf Rechten begründete Ausweitung zu etablieren, verletzt dies nicht nur das Recht auf Gesundheit und Leben von Millionen von Menschen sondern destabilisiert auch Gesundheits-, Sozial- und Wirtschaftsysteme, was in späterer Folge wesentlich kostspieligere Maßnahmen erforderlich macht.

Strategien für eine mögliche Heilung
Dr. Sharon Lewin (Australien) vom The Alfred Hospital, Monash University, und Burnet Institute skizzierte die zahlreichen Hindernisse, die einer Heilung von HIV im Wege stehen und beleuchtete mögliche Wege, entweder eine funktionelle Heilung (langfristige Kontrolle von HIV ohne antiretrovirale Kombinationstherapie) oder eine Heilung durch Sterilisation (Eliminierung aller HIVinfizierten Zellen) zu erreichen. Die größten Herausforderungen bestehen in der residuellen viralen Replikation bei Patienten, die eine antiretrovirale Kombinationstherapie (cART) erhalten, sowie in der Fähigkeit des HI-Virus, sich selbst in anatomische Reservoirs zu sequestrieren. Das wesentlichste Hindernis besteht jedoch darin, dass eine latente oder "ruhende" Infektion in ruhenden CD4+-T-Zellen etabliert wird. Nach Lewin könnten jüngste Fortschritte beim Verständnis, welche Zellen latent infiziert werden und wie die Latenz etabliert und aufrecht erhalten wird, vielleicht eines Tages Maßnahmen ermöglichen, mit deren Hilfe eine latente Infektion eventuell aufgehoben werden könnte.

Studien bei Patienten, die in der Lage sind, den HI-Virus auf natürliche Weise zu kontrollieren, haben gezeigt, dass eine funktionelle Heilung möglich sein könnte. Bei den meisten dieser Patienten konnte eine starke Reaktion des Immunsystems auf HIV festgestellt werden. Ein möglicher Ansatz für eine Heilung durch Sterilisation beinhaltet einen sehr frühen Einsatz von cART in Kombination mit Wirkstoffen, die eine latente Infektion aufheben können. Der Einsatz von Medikamenten wie Histon-Deacetylase-Inhibitoren, die derzeit für die Behandlung mancher Krebsarten verwendet und zugelassen werden, sowie Zytokinen wie IL-7 oder Prostratin zeigen in vitro viel versprechende Ergebnisse. Dr. Lewin hob den dringenden Bedarf an klinischen Studien für einige dieser aussichtsreichen Wirkstoffe hervor.

AIDS 2010 - Scientific Programme
Für AIDS 2010 erhielten die Organisatoren über 10.650 Kurzreferatanträge, wovon 6.128 für Präsentationen und/oder für die Veröffentlichung auf CD-ROM angenommen wurden. Alle angenommenen Kurzreferate sind über das Internetportal der Konferenz abrufbar.

Reden Sie mit!
Zum ersten Mal steht Delegierten und anderen Interessierten, die die Konferenz von außerhalb mitverfolgen möchten, seitens der AIDS 2010-Organisatoren die Möglichkeit offen, über soziale Netzwerke mit dabei zu sein, wie Facebook, Twitter, sowie über einen offiziellen Konferenz-Blog (http://blog.aids2010.org), der vielfältige Posts von Gastbloggern und Konferenzorganisatoren bietet.
     
zurück