Riesenwellen berechenbar machen   

erstellt am
19. 08. 10

WWTF-Projekt zu Wellenform und Strömungen für Tsunami-Frühwarnsysteme
Wien (universität) - Seeleute schließen anhand der Form einer Welle auf die Stärke der Strömung unterhalb der Wasseroberfläche. Was unter erfahrenen Schiffskapitänen als gesichert gilt, will Adrian Constantin, Professor für Mathematik an der Universität Wien, nun mit Hilfe der Wissenschaft beweisen: Im Rahmen des vom Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF) geförderten Projekts "Der Fluss unter einer Wasserwelle" untersucht er den Einfluss von Strömungen auf den Wellengang sowie die mathematische Berechenbarkeit von Wasserwellen. Die Forschungsergebnisse könnten in Tsunami-Frühwarnsysteme einfließen.

Was unterscheidet die Mathematik von der Physik? Während die Mathematik selbst geschaffene Strukturen auf ihre Eigenschaften erforscht, sucht die Physik mit Hilfe der Mathematik nach allgemeinen Naturgesetzen. Adrian Constantin, der sich selbst als "reinen Mathematiker" bezeichnet, begibt sich auf fremdes Terrain: Der Professor am Institut für Mathematik der Universität Wien untersucht mathematische Modelle für Wasserwellen und Strömungen. In dem vierjährigen WWTF-Projekt "Der Fluss unter einer Wasserwelle" erforscht er den Einfluss von Strömungen auf die Wasseroberfläche. "Fischersleute behaupten, dass Strömungen die Größe der Wellen verdoppeln können. Die größte Herausforderung wird es sein, diese Aussage zu beweisen."

Wenn das Wasser zurückgeht
Anlass für das kürzlich gestartete Forschungsprojekt war der verheerende Tsunami 2004 mit über 230.000 Toten. Vieles in Zusammenhang mit den Riesenwellen ist bis heute unklar. So auch, warum in Thailand das Wasser zurückgegangen war bevor die Welle kam, während in Indien die Welle ohne Vorwarnung die Küste überrollte. "Auf Satellitenbildern sehen wir die Welle kurz nach ihrer Entstehung durch das Erdbeben: Der Welle Richtung Thailand ging ein langes Wassertal voraus, während sich die Welle Richtung Indien umgekehrt verhielt", schildert Constantin.

Gefahr an flachen Stränden
Demnach bestimmt die Form der Welle bereits zu Beginn deren Verhalten beim Auftreffen auf die Küste. Damit verbunden ist die Frage, wie viele Tsunamiwellen die Küste erreichen. Die Mathematik zeigt, dass dies mit dem Profil der Welle kurz nach deren Entstehung zusammenhängt: "Die Anzahl der Wellen an der Küste ist kleiner gleich der Wellenanzahl zu Beginn – das heißt kurz nach der Entstehung der Welle durch das Erdbeben." Die Höhe der Wellen kann hingegen nur geschätzt werden, da sie mit dem – meist sehr komplexen – Profil des Meeresbodens zusammenhängt.

Ist die Beschaffenheit der Wasseroberfläche kurz nach dem Entstehen der Tsunamiwelle bekannt, kann somit eine Aussage über die Welle an der Küste getroffen werden. "An flachen Küsten sind Tsunamiwellen besonders gefährlich, während an Steilküsten nichts passiert, da hier die Welle einfach reflektiert wird. Die Geschwindigkeit der Welle ist proportional zur Quadratwurzel der Tiefe", erklärt Constantin.

Druck am Meeresboden
Für den Hobbytaucher Constantin ist vor allem der Druck in der Tiefe des Ozeans von Interesse. "Der Druck am Meeresboden sagt etwas über die Wasseroberfläche aus: Wenn der höchste Punkt der Welle über der Stelle liegt, an der der Druck gemessen wird, wächst der Druck. Wenn der tiefste Punkt der Welle darüber liegt, fällt er", beschreibt der Mathematiker.

Daten aus dem Wellenkanal
Ob die mathematischen Modelle des Forschungsteams in der Natur zutreffen, erfährt Constantin über Rücksprache mit WissenschafterInnen am Franzius-Institut für Wasserbau und Küsteningenieurwesen der Universität Hannover: "Wir arbeiten mit KüsteningenieurInnen zusammen, die an der Städteplanung für tsunamigefährdete Gebiete in Südostasien beteiligt sind und somit über sehr viel Datenmaterial im Bereich von Tsunamis verfügen." Außerdem befindet sich in Hannover der längste Wellenkanal der Welt, den Constantin und sein Team für Experimente nutzen.
     
Informationen: http://plone.mat.univie.ac.at    
     
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