Hainburg: Eine neue Kirche erinnert an weltgeschichtliche Wende  

erstellt am
14. 12. 10

Dachgleiche der Martin-Luther-Kirche in der Donaustadt – Bei der Kaiser-Konferenz in Carnuntum im Jahr 308 dürften die Weichen für die Toleranzedikte im Römischen Reich gestellt worden sein
Wiener Neustadt (pew) - Inmitten des historischen Stadtkerns von Hainburg (Niederösterreich) wächst eine avantgardistische kleine Kirche. Ihr spektakuläres Stahldach wird am Mittwoch, 15. Dezember, mit einem Kran auf den Rohbau gesetzt. Die drei Öffnungen im Dach symbolisieren die Dreifaltigkeit. Die neue Martin-Luther-Kirche wird für die 500 evangelischen Christen im Hainburger Einzugsbereich den bisherigen Gottesdienstraum in einer alten Villa ersetzen. „Der Kirchenneubau hilft, die Gemeinde zu sammeln und aufzubauen“, begründet der niederösterreichische Superintendent Paul Weiland die Initiative. Geweiht werden soll die Kirche im Frühjahr 2011. Die Martin-Luther-Kirche wird auf den Grundfesten der im 17. Jahrhundert zerstörten katholischen Martinskirche gebaut. Bereits in der Reformationszeit war darin evangelisch gepredigt worden.

Die Weihe der neuen Kirche wird ausdrücklich an das Toleranzedikt von Nikomedia (heute: Izmit) vor 1700 Jahren erinnern: Am 30. April 311 wurde dort von Kaiser Galerius in einem Toleranzedikt den Christen erstmals in der Geschichte Freiheit gewährt, „vorausgesetzt, dass sie nicht gegen die Zucht handeln“. In früheren Regierungsjahren war Galerius selbst, wie sein Vorgänger Diokletian, für strenge Christenverfolgungen verantwortlich gewesen. Das Toleranzedikt von Nicomedia wird für das Christentum wesentlich wichtiger eingeschätzt als die spätere, aber bekanntere Vereinbarung von Mailand zwischen Kaiser Konstantin dem Großen im Westen und Kaiser Licinius im Osten. Während das Toleranzedikt des Galerius zum ersten Mal das öffentliche Bekenntnis zur christlichen Religion duldete, weitete die Mailänder Vereinbarung 313 die neuen Bestimmungen auf beide Reichshälften aus und gewährte „sowohl den Christen als auch allen Menschen“, ihre Religion frei zu wählen. Konstantin der Große starb im Jahr 337 in Nikomedia, nachdem er auf dem Totenbett die Taufe empfangen hatte. Zur offiziellen Staatsreligion des Römischen Reichs wurde das Christentum erst im Jahre 380 unter Kaiser Theodosius I. erklärt.

2011 als „Jahr der Toleranz“
Kaiser Galerius, der Autor des Toleranzedikts von 311, war zweieinhalb Jahre vor dem Erlass des Edikts höchstpersönlich in Carnuntum gewesen, ganz in der Nähe des heutigen Hainburg. Da sich damals sechs Bewerber um vier Kaisertitel im Römischen Reich stritten (zwei west- und zwei oströmische Kaiser sah die Ordnung der „Tetrarchie“ vor), bat Galerius als Dienstältester den früheren Kaiser Diokletian, die Regierungsansprüche der Rivalen zu klären. Alle Beteiligten trafen sich am 11. November 308 in Carnuntum, um die Machtverhältnisse zu ordnen. Piero Bordin, Intendant von „Art Carnuntum“, vermutet, dass am Rande der Kaiserkonferenz in Carnuntum auch über die Frage der Behandlung der Christen im Römischen Reich gesprochen wurde. Das Thema war in beiden Reichshälften brisant. Wenige Jahre danach wurde es in beiden Reichshälften zugunsten der Christen gelöst. Und zwar genau durch jene Herrscher, die zur Konferenz in Carnuntum 308 zusammen gekommen waren. Im Hinblick auf das Edikt von Nikomedia plant Bordin, das Jahr 2011 in Carnuntum mit internationalen Feierlichkeiten als „Jahr der Toleranz“ zu begehen.

Wahrzeichen der Toleranz
In diesem Sinn soll die Martin-Luther-Kirche in Hainburg ein Wahrzeichen der Toleranz werden, wünscht sich Superintendent Paul Weiland. Der Kirchenbau erfolge in einer wichtigen Zeit. Nicht nur, dass anderswo Kirchen geschlossen oder umfunktioniert würden, sei die Zeit der Krisen voll Fragen und Sehnsucht nach Orientierung. Die neue Kirche soll dafür ein sichtbares Angebot sein.

Für die architektonische Gestaltung der Hainburger Martin-Luther-Kirche konnte der weltweit bekannte Architekt Wolf D. Prix gewonnen werden. Für ihn ist es der erste Planungsauftrag in seiner Heimatstadt Hainburg. Sein Architekturbüro zeichnete unter anderem für den Umbau der Gasometer in Wien verantwortlich und plant derzeit auch den Neubau der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main. Für den Kirchenbau in Hainburg stehen nur 300 Quadratmeter zur Verfügung, umringt von historischen Gebäuden. Das ist eine Herausforderung für den an Großprojekte gewöhnten Hainburger Architekten. „Der Bau einer Kirche ist aber für jeden Architekten etwas Besonderes“, erklärt Superintendent Weiland. Das Modell des Kirchenbaus wurde bereits unter die 50 bedeutendsten Bauten der Welt aufgenommen und ist als solches, obwohl noch gar nicht gebaut, derzeit in Tokio ausgestellt.
     
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