EU-Parlament beschließt "innovative Finanzierungsinstrumente"  

erstellt am
09. 03. 11

Neue Finanzquellen im EU-Wirtschaftsraum …
und bessere Steuersysteme für Entwicklungsländer
Straßburg (europarl) - Die EU sollte, selbst im Alleingang, eine Finanztransaktionssteuer einführen, fordert das Parlament in einer am 08.03. im Plenum angenommenen Entschließung zu innovativen Finanzierungsinstrumenten. In einer weiteren Resolution, die am gleichen Tag verabschiedet wurde, spricht sich das Parlament für mehr EU-Unterstützung in Steuerbelangen aus, um Entwicklungsländern bei der Bekämpfung von Steuerflucht und -hinterziehung zur Seite zu stehen und so für mehr und effizientere Einnahmen zu sorgen.

Mit der Resolution zu innovativen Finanzinstrumenten des Wirtschaftsausschusses und mit der vom Entwicklungsausschuss vorbereiteten Entschließung zum Themenbereich Steuer und Entwicklungsarbeit leistet das Parlament einen entscheidenden Beitrag zur Diskussion über neue Finanzierungsquellen, bessere Steueraufsicht und effizientere Steuereintreibung.

In der Entschließung wird hervorgehoben, dass innovative Finanzierungsinstrumente eine "doppelte Dividende" bringen können. Neben Mehreinnahmen sorgen sie auch für größere Finanzmarktstabilität und eine nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft.

Laut dem von der Vorsitzenden des Entwicklungsausschusses Eva Joly (Die Grünen/ELA, Frankreich) entworfenen Entschließung zu "Steuern und Entwicklung" würden mehr Steuereinnahmen dank wirksamer Bekämpfung von Streuerflucht und -hinterziehung in Entwicklungsländern nicht nur zur Verringerung der Armut beitragen, sondern mittelfristig auch eine "Governance Dividende" bringen, d.h. für gesteigerte Legitimierung und Rechenschaftspflicht staatlicher Behörden sorgen.

Für die sofortige Einführung einer Finanztransaktionssteuer
In beiden Entschließungen wird die Einrichtung einer bescheidenen Finanztransaktionssteuer (FTT) gefordert, die in der EU bis zu 200 Mrd. Euro pro Jahr einbringen könnte, Finanzspekulation verteuert und damit verringert. Sollte es zu schwierig sein eine derartige Transaktionssteuer auf globaler Ebene einzurichten, sollte die EU sie in einem ersten Schritt auf europäischer Ebene einführen, heißt es in der Entschließung. Die Abgeordneten halten der von FTT-Gegnern vorgebrachten Warnung vor Kapitalflucht entgegen, dass die EU im Gegenteil davon profitieren würde, dass rein spekulativer Handel den europäischen Raum verlassen und damit in der EU größere Markteffizienz herrschen würde.

In der Entschließung zu innovativen Finanzierungsinstrumenten wurden auch mehr Maßnahmen gegen Steuerflucht und -betrug gefordert, durch die heute den EU-Mitgliedsländern geschätzte 250 Mrd. Euro jährlich entgehen. Zur Finanzierung von Entwicklungshilfe fordern die Abgeordneten die Mitgliedstaaten auf, die Einrichtung einer weltweiten Lotterie ins Auge zu fassen, die Mittel zur Hungerbekämpfung aufbringen könnte.

Steuerliche Selbständigkeit statt Abhängigkeit von ausländischer Hilfe
Die Entschließung zu Steuern und Entwicklung fordert mehr Hilfestellung der EU in Steuerbelangen und die Schließung von Steueroasen. Entwicklungsländer hingegen sollten sich um stärkere Unabhängigkeit von ausländischen Hilfsleistungen bemühen, indem sie eigene Steuersysteme aufbauen. Jüngsten Studien zufolge sorgt Steuerbetrug in Entwicklungsländern für einen jährlichen Ausfall von Steuereinnahmen, der die Summe der Entwicklungshilfe um ein zehnfaches übersteigt. 800 Mrd. Euro entgehen den Entwicklungsländern jährlich aufgrund illegaler Finanzströme und Steueroasen.

Multinationale Konzerne sollten davon abgehalten werden, "ihre Gewinne in steuerlich günstigere Länder zu verlagern" und Steuern in jenen Ländern bezahlen, in denen die Gewinne tatsächlich erwirtschaftet worden sind, heißt es in der Entschließung von Eva Joly. Eine Möglichkeit gegen schädliche Steuerstrukturen vorzugehen, wäre der Entzug der Banklizenz für Banken, die Geschäftsbeziehungen zu Steueroasen unterhalten.

Rückgang der Zolleinnahmen aufgrund Liberalisierung des Welthandels
Als Antwort auf ein Arbeitsdokument der Kommission zur Förderung guter Steuerverwaltung und -aufsicht kritisiert das Parlament in seiner Entschließung, dass die Kommission offensichtlich übersehe, dass Länder mit niedrigem Einkommen einer erheblichen Verringerung von Zolleinnahmen ausgesetzt sind. Hierfür sind die Liberalisierung des Welthandels und insbesondere die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) mit der EU verantwortlich.

Die Entschließung über innovative Finanzierungsinstrumente wurde mit 529 Ja-Stimmen gegen 127 Nein-Stimmen bei 19 Enthaltungen angenommen.
Die Entschließung über Steuer und Entwicklung wurde mit Handzeichen angenommen.

 

Schieder: Europäischer Beschluss großer Erfolg
EU-Parlament stimmt mit deutlicher Mehrheit für Finanztransaktionssteuer
Wien (sk) - "Die europäischen Abgeordneten haben die große Unterstützung der Bevölkerung für eine Finanztransaktionssteuer ernst genommen. Damit steigt der Druck für die Umsetzung einer europäischen Finanztransaktionssteuer stark", sagt Finanzstaatssekretär Andreas Schieder zum Beschluss des EU-Parlaments zur Einführung einer europäischen Finanztransaktionssteuer. Mit deutlicher Mehrheit haben die Abgeordneten zum Europäischen Parlament den Bericht zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer angenommen.

Jetzt liegt der Ball bei der Kommission: Sie ist politisch gefordert, möglichst rasch einen Legislativvorschlag vorzulegen. "Ich bin überzeugt, dass die europäischen Abgeordneten sich nicht mit laschen Ausreden vertrösten lassen werden. Die EU-Kommission hat die Verantwortung, jetzt Taten zu setzen", so Schieder. Der Finanzstaatssekretär lobt in Zusammenhang mit der Abstimmung vor allem die Arbeit der sozialdemokratischen Europaabgeordneten. Diese hätten sich in den letzten Monaten unermüdlich für die Maßnahme eingesetzt und hervorragende Überzeugungsarbeit geleistet.

 

Karas: Finanzminister müssen jetzt Nägel mit Köpfen machen!
Österreichische Europaabgeordnete von ÖVP, SPÖ und Grünen ziehen an einem Strang
Straßburg (övp-pk) - Das Europäische Parlament hat sich mit überwältigender Mehrheit für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer ausgesprochen - notfalls im europäischen Alleingang. Die österreichischen Abgeordneten von ÖVP, SPÖ und Grünen haben ausnahmslos dafür gestimmt.

"Ich freue mich sehr, dass wir wieder eine starke, parteienübergreifende, europäische Mehrheit für die Finanztransaktionssteuer zusammengebracht haben. Österreichische Abgeordnete sind nachweislich Mitgestalter dieser überwältigenden Mehrheit im EU-Parlament. Unsere Hartnäckigkeit hat sich gelohnt", so EVP-Fraktionsvizepräsident und ÖVP-Finanzmarktsprecher Othmar Karas. Das Europäische Parlament erhöhe damit den Druck auf die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten. Da in Steuerfragen die Nationalstaaten in der EU das letzte Wort haben, sei nun der Ball im Spielfeld der nationalen Finanzminister. "Die Finanzminister müssen jetzt endlich Nägel mit Köpfen machen!", fordert Karas.

Gegenstand der Diskussion war, ob die Transaktionssteuer global, EU-weit oder eventuell nur in den Euro-Ländern eingeführt werden soll. "Wenn dies weltweit - noch - nicht möglich ist, dann darf dies nicht als Ausrede verwendet werden, in Europa nichts tun zu können. Wir wollen die europaweite Transaktionssteuer ohne wenn und aber. Die Europäischen Kommission muss die offenen technischen Fragen so schnell wie möglich klären und ein Modell vorlegen", so Karas abschließend.

 

 Lunacek: Mehrheit zwingt Kommission und Regierungen zum Handeln
Grüne: EU muss bei Einführung der Finanztransaktionssteuer mit gutem Beispiel vorangehen
Straßburg (grüne) - "Die breite Mehrheit für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer (FTT) im Europaparlament spiegelt die hohe Akzeptanz einer FTT in der europäischen Bevölkerung wider und muss sowohl die EU-Kommission als auch die Regierungen der Mitgliedsstaaten zur Aufgabe ihrer Blockadehaltung zwingen", erklärt Ulrike Lunacek, Europasprecherin der Grünen nach der Abstimmung des Berichts über "Innovative Finanzierung auf globaler und europäischer Ebene".

Lunacek: "Wir Grüne kämpfen seit langem für eine FTT, sowohl zur Einschränkung von schädlichen Spekulationen und als neue Einnahmequelle. Zum ersten Mal hat sich heute auch das Plenum des Europaparlaments eindeutig für eine FTT in der EU ausgesprochen. Während auf globaler Ebene kein ernstzunehmender Fortschritt bei der FTT-Einführung zu verzeichnen ist, ist es umso wichtiger, dass die EU mit gutem Beispiel voranschreitet. Die Kommission muss jetzt endlich einen Gesetzesvorschlag unterbreiten. Angesichts der klaren positiven Argumente für eine FTT, gibt es abgesehen von mangelndem politischen Willen, keinen Grund für Europa, die Einführung weiterhin zu verzögern."

Eine FTT ist für Lunacek nicht nur technisch machbar, sondern sogar äußerst sinnvoll: "Die FTT fördert die soziale Gerechtigkeit, kann Einnahmen in mehrstelliger Milliardenhöhe generieren, ist einfach und billig zu erheben und fördert die Stabilität der Finanzmärkte. Angesichts der Vorschläge der Kommission für eine striktere Handhabung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, darf die Chance der Einführung einer zusätzlichen Einnahmequelle für die Union, die zudem auch noch den Druck auf die nationalen Haushalte verringert, nicht verpasst werden."

 

Leitl: EU-Parlament setzt wichtigen Schritt
Wichtiges Signal und ein Durchbruch in dieser Debatte
Wien (pwk) - WKÖ-Präsident Christoph Leitl begrüßt das Bekenntnis des Europäischen Parlaments als einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer europäischen Finanztransaktionssteuer. Nun sollte die Kommission, wie vom Parlament gefordert, eine ausgewogene und detaillierte Machbarkeitsstudie sowie eine umfassende Folgenabschätzung erstellen, und auf Basis dessen bis zum Sommer konkrete Vorschläge vorlegen. "Das ist ein wichtiges Signal und ein Durchbruch in dieser Debatte und nicht zuletzt auch ein Beitrag zur Stabilisierung der Finanzmärkte und der öffentlichen Haushalte".

Als innovativ sieht Leitl den Ansatz des EU-Parlaments, je nach Art der Transaktion, Steuerinzidenz, Art der beteiligten Akteure oder Kurzfristigkeit differenzierte Steuersätze vorzusehen. Der Ansatz des Parlaments ermöglicht zum Beispiel begünstigte Sätze für Kurssicherungsgeschäfte, die von Unternehmen außerhalb des Finanzsektors getätigt werden. Das Parlament möchte auch an Börsen getätigte Transaktionen günstiger besteuern als außerbörsliche Transaktionen (wie OTC-Derivate).

Erfreulich sei auch, dass das Parlament durch umfassende Ausnahmeregeln und Schwellenwerte Verbraucher von der Steuer befreien will. "Die Bedeutung der privaten Vorsorge über den Kapitalmarkt - inklusive 2. und 3. Säule der Altersvorsorge - wird auf Grund der demografischen Entwicklung langfristig weiter zunehmen".

Für die vom Parlament geforderte Folgeabschätzung erwartet Leitl auch im Sinne des Small Business Acts eine Analyse der Wirkungen auf kleine und mittlere Unternehmen. Leitl bezeichnet den heutigen Beschluss im Europäischen Parlament auch als Einladung an die USA, diesem Signal aus Europa zu folgen: "Beim kommenden G20-Gipfel sollte die Finanztransaktionssteuer ein wichtiges Thema sein".

Leitl begrüßt das Bekenntnis der EU-Parlaments zu freien Märkten und freiem Handel in der heutigen Entschließung. In Bezug auf Österreich beharrt der WKÖ-Präsident bei einer Umsetzung einer Finanztransaktionssteuer auf europäischer Ebene: "Damit sind jetzt weitergehende Steuerspekulationen in Richtung Erbschafts-, Schenkungs- und Vermögenssteuer in Österreich endgültig obsolet geworden. Alles andere würde den Standort verunsichern".

 

  Erster Schritt zu mehr Gerechtigkeit
Einführung der Finanztransaktionssteuer nicht auf lange Bank schieben
Wien (ögb) - "Mit ihrer Grundsatzentscheidung für die Einführung einer europäischen Finanztransaktionssteuer haben die EU-Abgeordneten einen entscheidenden Schritt in die richtige Richtung gesetzt", sagen ÖGB-Präsident Erich Foglar und AK-Präsident Herbert Tumpel zum Ergebnis der Abstimmung im Europäischen Parlament.

Mit dem Ja zur Finanztransaktionssteuer treten die 529 EU-ParlamentarierInnen dafür ein, dass nicht die ArbeitnehmerInnen allein die Zeche für die Krise zahlen müssen. Einziger Wehrmutstropfen: 127 Abgeordnete stimmten noch immer gegen eine Finanztransaktionssteuer, mit dem Argument, die EU solle deren Einführung auf globaler Ebene forcieren. ÖGB und AK fordern daher, dass die EU zügig an der Einführung arbeitet und nicht unter dem Deckmantel der "globalen Ebene" die Einführung einer europäischen Finanztransaktionssteuer auf die lange Bank schiebt oder sogar verhindert.

"Die Einführung einer europäischen Finanztransaktionssteuer muss jetzt oberste Priorität haben", fordert ÖGB-Präsident Foglar. "Anstatt mit einer EU-Wirtschaftsregierung Lohn- und Sozialsysteme unter Druck setzen zu wollen, sollten sich alle Verantwortlichen auf EU-Ebene rasch dafür einsetzen, dass die wahren Krisenverursacher endlich mitzahlen, allen voran die Spekulanten", sagt Tumpel.

Die Finanztransaktionssteuer ist aus drei Gründen wichtig:

  • Gerechtigkeit: Mit der Finanztraktionssteuer müssen die Krisenverursacher ihren Beitrag zur Bewältigung der Krise leisten.
  • Eindämmung riskanter Spekulationen: Kurzfristige und hochriskante Spekulationsgeschäfte werden verteuert.
  • Geld für Zukunftsinvestitionen: Mit den Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer können öffentliche Investitionen, die Arbeitsplätze sichern und die Überwindung der Krise beschleunigen, finanziert werden.


Im Vorfeld der Abstimmung hatten ÖGB und AK die EU-BürgerInnen aufgefordert, sich an einer Internet-Aktion zu beteiligen und die EU-Abgeordneten aufzufordern, sich für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer zu stimmen. 541.929 E-Mails wurden in einer Woche versendet. "Das ist ein starkes Zeichen dafür, dass die EU-BürgerInnen mehr Gerechtigkeit in der EU wollen und auch einfordern", sagen Foglar und Tumpel abschließend.

     

Wir übernehmen hier Stellungnahmen aller im Parlament vertretenen Parteien –
sofern vorhanden! Die Reihenfolge der Beiträge richtet sich in der Regel nach deren
Mandatsstärke im Parlament bzw. nach der Hierarchie der Personen. Die Redaktion

 
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