In-silico-Computermodelle bei Herzerkrankungen ermöglichen Prognosen über Therapieerfolg   

erstellt am
30. 05. 11

Computergestützte Herzsimulationen mit individuellen Patienteninformationen aus Graz
Graz (meduni) - Herzerkrankungen zählen zu den häufigsten Krankheiten weltweit. Alleine in der EU sterben 1,9 Mio Menschen jährlich an einer kardiovaskulären Erkrankung. Ein besonders häufiger Endpunkt zahlreicher kardiovaskulärer Erkrankungen ist die Herzinsuffizienz. Die Ursachen dafür sind vielfältig und reichen von einer Durchblutungsstörung des Herzmuskels bis hin zu Bluthochdruck oder einer Herzmuskelentzündung. Eine vielversprechende Therapie beruht auf gezielter Stimulation mit Herzschrittmachern (Kardiale Resynchronisationstherapie), die darauf abzielt die mechanische Synchronizität der Pumpfunktion zu verbessern. Die Therapie ist bei 70% der Patienten sehr erfolgreich, aber leider bei 30% überhaupt nicht effektiv. Die Ursachen für einen Erfolg oder Misserfolg der Therapie sind noch unklar. Die Therapiekosten sind hoch und liegen bei über € 20.000,--/Patient.

Einen vielversprechenden Ausweg aus diesem komplexen Krankheitsfeld stellen Computermodelle dar. So genannte in-silico- Modelle können das menschliche Herz bis ins kleinste Detail nachbilden. Anatomische und funktionell völlig realistische Modelle, die mit den spezifischen Patienteninformationen parametrisiert werden, können wertvolle Prognosen liefern. Einerseits sind Vorhersagen möglich, ob eine Therapieform erfolgreich sein wird oder nicht, andererseits erlauben Simulationen auch eine verbesserte Patientenzuordnung für die jeweilige Therapieform.

Univ.-Prof. Dr. Gernot Plank vom Institut für Biophysik an der Med Uni Graz erforscht seit über 15 Jahren den Einsatz von in-silico-Modellen zur Therapieoptimierung bei kardiovaskulären Erkrankungen. „Mit in-silico-Modellen kann jedes Organ und in dem Fall das Herz bis auf die die zelluläre Ebene simuliert werden, biochemische Prozesse und Veränderungen können nachgebaut werden. Für Ärzte ist der klare Vorteil, dass Erfolgsprognosen über die jeweilige Therapieform getätigt werden können und Patienten profitieren von einer quasi „durchgespielten, maßgeschneiderten Therapie“, fasst Gernot Plank zusammen. Simulationen, die bisher aus anderen Gebieten wie der Automobilindustrie oder dem Tiefbau angewandt wurden, um etwa Brücken oder Bauwerke zu analysieren, konnten mit dem technischen Fortschritt nun auch in die Medizintechnik übernommen werden. Eine besondere Herausforderung ist dabei die Einbindung der patientenspezifischen Informationen. Bei der Umsetzung einer Simulation liefern 3-dimensionale Daten aus der Bildgebung (meist von einer MR-Aufnahme) die Beschreibung von Herzgeometrie und deren Änderung über den Herzzyklus in folge der mechanischen Kontraktion, die Informationen über die elektrische Aktivierung des Herzens können über Katheder-Untersuchungen gewonnen. Das Computermodell muss dann so angepasst werden, dass der simulierte Herzschlag mit den klinisch erhobenen Daten übereinstimmt. Eine weitere Herausforderung stellen die extrem hohen Rechenleistungen dar, die erforderlich sind um, solch detaillierte Simulationen ausreichend rasch durchführen zu können. Aufgrund der rasant fortschreitenden Entwicklung von Supercomputern und den für deren optimale Nutzung erforderlichen Verbesserungen im Bereich der Numerik ist es jetzt möglich einen humanen Herzschlag innerhalb von wenigen Minuten zu berechnen, wobei dabei aber über 16.000 Rechenkerne parallel eingesetzt werden. Die dazu notwendigen methodischen Entwicklungen werden im Rahmen des vom FWF geförderten Spezialforschungsbereichs „Mathematische Optimierung mit Anwendungen in den biomedizinischen Wissenschaften“ entwickelt werden und in der Steiermark durch das „SIMNET Styria“ unterstützt.

Gernot Plank kooperiert dabei mit der Klinischen Abteilung für Kardiologie an der Univ.-Klinik für Chirurgie, aber auch mit verschiedenen internationalen Experten wie etwa dem Institute of Computational Medicine an der Johns Hopkins University in den USA oder der School of Medicine am Kings College London in England. In Österreich ist diese Forschungsarbeit einzigartig, in Europa gibt es nur noch zwei weitere Forschungsruppen in diesem Bereich.

Früherkennung von Nebenwirkungen in der Medikamentenentwicklung
Neben der Therapieoptimierung liegt ein weiteres, großes Anwendungsgebiet in der Medikamentenentwicklung, konkret in der Früherkennung pharmakologischer Nebenwirkungen. Die durchschnittliche Entwicklung eines marktfähigen Medikaments dauert ca. 13 Jahre und kostet ca. € 250 Mio. Besonders dramatisch ist der Kosten- und Zeitaufwand für Medikamente, die in letzter Minute doch nicht zugelassen werden oder sogar nach einer Einführung vom Markt genommen werden müssen. In-silico-Modelle sind auch für den Bereich der Medikamentenentwicklung eine vielversprechende Möglichkeit, Wirkungen und vor allem Nebenwirkungen von neu entwickelten Pharmaprodukten durch Simulationen abzuklären.

Ein Blick in die Zukunft
Die Forschungsergebnisse bei in-silico-Modellen bei kardiovaskulären Erkrankungen sind weit fortgeschritten. Die Anatomisch und funktionell realistischen Modelle, die genaueste, patientenspezifische Informationen enthalten, können wertvolle Vorhersagen über den Erfolg einer Therapieform liefern. Der nächste Schritt ist der Nachweis darüber in klinischen Studien. Am King’s College in London steht eine klinische Studie gerade kurz vor der Durchführung.

Technik in der Medizin
Gernot Plank ist ein wahrhaftiges Beispiel für interdisziplinäre Arbeit. Als Absolvent der TU Graz (Biomedizinische Technik) arbeitete er bereits im Rahmen seiner Dissertation am Institut für Medizinische Physik und Biophysik an der Med Uni Graz. Mehrere Forschungsaufenthalte führten ihn nach Canada, Berlin, Valencia und Liverpool. An der renommierten Johns Hopkins University in den USA war er bis 2008 als Gastprofessor tätig, und bis 2010 als Assistant Professor an der University Oxford, bevor er wieder nach Graz zurückkehrte.
     
zurück