überschattung   

erstellt am
15. 07. 11

15 minuten susanna fritscher, 15 minuten ruedi baur - 9. Juli bis 1. Oktober 2011 im aut. architektur und tirol
Innsbruck (aut) - "Überschattung" ist die erste gemeinsame Ausstellung der in Paris lebenden Künstlerin Susanna Fritscher und des Grafikers und Designers Ruedi Baur, der mit dem von ihm begründeten Atelier "Intégral Ruedi Baur" zu den weltweit prägenden Unternehmen im Bereich Erscheinungsbilder, Leit- und Orientierungssysteme zählt. Ausgehend vom konkreten Ausstellungsort entwickelten sie in enger Zusammenarbeit ein Konzept, dessen Grundidee in der Form von zwei sich überlagernden Einzelausstellungen besteht. Sie teilen sich die Räume nicht auf oder präsentieren ihre Arbeiten nebeneinander, sondern bespielen mit subtilen Eingriffen und Interventionen - Farbe, Licht, Materialität, Ton, Schrift - sämtliche Räume in einem im Rhythmus von fünfzehn Minuten wechselnden Dialog. Die Arbeiten lösen sich dabei gegenseitig ab, die eine wird leiser, tritt zurück und setzt ganz aus, während sich die andere allmählich in den Vordergrund schiebt. Die vielfältigen räumlichen Überlagerungen der einzelnen Interventionen, die sich direkt auf die Architektur, ihre Beschaffenheit und Eigenarten, aber auch auf die Präsenz des Werkes des Anderen beziehen, machen in ihrer gegenseitigen "Überschattung" die Räume des aut neu erfahrbar.

Das Werk von Susanna Fritscher begann mit Installationen in der Landschaft, mit weitläufigen Zeichnungen im Raum, die sich mit Perspektive, Horizont, Blickpunkt, der Sicht und deren Verlust auseinandersetzten. Anfang der 1990er Jahre wechselte ihre Arbeit vom Außen- in den Innenraum. Die Frage nach der Wahrnehmung der so genannten "Wirklichkeit" wurde zentrales Thema, das Fritscher mit malerischen Mitteln bearbeitete, wobei der sensible Umgang mit Raum konzeptioneller Bestandteil blieb. Die Beschäftigung mit Architektur und den vorhandenen Lichtverhältnissen bestimmt die Materialien ihrer Werke: Glas, Acryl, Folien, spiegelnde Metallplatten, durchsichtige Beschichtungen oder Verkleidungen bespielen die Wände, Böden und Decken der Räume. Seit 2009 realisiert sie auch großflächige Videoprojektionen und seit 2010 raumbezogene Vokalwerke.

Die Entwicklung dieser offenen "Malerei" führte letztlich zu einer Entgrenzung, der gesamte Raum wird zum Bild bzw. die Bildhaftigkeit ausgesetzt. Susanna Fritschers Werk stellt nicht dar, sondern Werk und Raum weisen gegenseitig aufeinander zurück. Dieses "Überblenden" irritiert die Logik unseres Begreifens und Sehens, lässt den Eindruck von Unschärfe, Vakanz und Leere entstehen

Aufgrund ihrer intensiven Auseinandersetzung mit Raum und Kontext widmet sich die Künstlerin vermehrt Projekten im öffentlichen Raum und in Architekturen. Seit 2000 entstehen Werke, wie jüngst am Flughafen Wien, in denen Fritscher die eingehend im Atelier erprobten Arbeitsprozesse mit industriellen Herstellungsverfahren verbindet und die sensible malerische Geste mit räumlich komplexen Wirkungen verknüpft; Werke, die weniger über das Betrachten, als über die Bewegung durch den Raum in ihrer Essenz erfassbar sind.

Das Leitsystem für den, von Baumschlager & Eberle geplanten, neuen Terminal des Flughafen Wien-Schwechat entwickelte der Designer Ruedi Baur, dessen vielfältige Arbeiten und Aktivitäten im Ansatz ein ähnliches Ziel verfolgen. Er versucht Orte der eindimensionalen Logik der Rationalität und dem System der globalen Normierung zu entreißen, indem er ihnen eine spezifische, aus dem jeweiligen Kontext entwickelte visuelle Sprache zur Verfügung stellt. Eine Sprache, die das Erkennen, das Informieren und das Orientieren erleichtert, die es ermöglicht, einen Ort in seiner Komplexität zu erfassen, ihn darüber hinaus atmosphärisch aufwertet und den Nutzer auf sinnlicher Ebene anspricht.

Im Zentrum von Ruedi Baurs gestalterischer Arbeit steht die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Raum und Kommunikation, sei diese bildlicher oder textlicher Natur. In diesem Zusammenhang ist es nicht verwunderlich, dass die konkrete Aufgabenstellung, die Werke von Susanna Fritscher im Rahmen einer Publikation zu vermitteln, zu einem ersten, intensiven Austausch mit der Künstlerin führte. Denn wie kann man deren kaum sichtbare, sensible Rauminstallationen in Katalogform reproduzieren? "Das statische Einzelbild vermag es nicht, die einzigartigen Raum-Zeit- Licht-Erfahrungen wiederzugeben, die die Installationen von Susanna Fritscher ausmachen. Ihre flüchtigen Arbeiten entziehen sich der Bildhaftigkeit und damit auch der Abbildbarkeit. Ihre Werke sind in erster Linie über die Bewegung des Körpers und des Blicks im Raum erfahrbar. Ein sinnliches Erlebnis, das auf Basis von einzelnen Bildern nicht reproduzierbar ist", schreibt Ruedi Baur in einem Katalog der Künstlerin.

Auch Ruedi Baurs eigene Arbeiten sind oft schwer bildlich festzumachen, da er beispielsweise ein Corporate-Design nicht als Festschreiben von starren Gestaltungsrichtlinien versteht, sondern als offenes, kontextbezogenes System. Er entwickelt "visuelle Sprachsysteme", mit Hilfe derer sich ein Unternehmen oder ein Ort ausdrücken, gleichsam zur Sprache kommen kann. Seine Arbeit versteht er als Kampf gegen die Vereinfachung, gegen die Dekontextualisierung und gegen das "Lallen" einer austauschbar gewordenen globalen Moderne und gleichzeitig als Kampf für die Wiedereroberung der Orte in ihrer poetischen Dimension.

In dieser Auseinandersetzung mit dem Raum und seiner "Sensibilisierung" treffen sich die Künstlerin und der Designer. Konkret arbeiteten sie an mehreren Projekten gestalterisch und inhaltlich zusammen, aktuell etwa im Zusammenhang mit dem Neubau des Flughafenterminals in Wien. Ruedi Baur versucht dort, das globale Universum von Piktogrammen und klassischen Flughafenbeschriftungen durch subtile Eingriffe zu kontextualisieren und die besondere Atmosphäre der Stadt Wien einzufangen. Er konzipierte eine von der schwarz-weiß definierten Architektur ausgehende Signaletik, die - meist direkt in den Raum gesetzt - mit Licht- und Schatteneffekten, dem Eindruck von Schweben, Unschärfe und visueller Bewegung spielt.

Diese Bewegung nimmt Susanna Fritscher bei ihrer Gestaltung der Lichthöfe des Piers und der Trennwände der Fluggastbrücken räumlich auf. Durch das Bedrucken der Gläser in feinen, transluzenten Gradierungen und subtilen, farbigen Nuancen "materialisieren" sich Licht und Luft. Je nach Blickpunkt verändern und überlagern sich diese malerischen Felder, die Reisenden erleben ihr Sichtbarwerden und Vergehen, werden selbst von anderen Reisenden als schattenhaftes, flüchtiges Bild wahrgenommen.

In der Ausstellung im aut wird dieser räumliche Dialog bis an die Grenze getrieben. Susanna Fritscher und Ruedi Baur teilen sich die Räumlichkeiten nicht auf, sondern bespielen jeweils im Viertelstundenrhythmus alle Räume des aut. Die einzelnen Interventionen, deren Grundlage und Ausgangspunkt der Raum, das Licht, der Ton und die Sprache sind, reagieren sowohl auf den konkreten Ausstellungsort, als auch auf die Arbeit der/des Anderen und ziehen sich nach fünfzehn Minuten wieder zurück. Der Titel "Überschattung" ist Programm, denn die Ausstellung thematisiert die Präsenz und Absenz der/des Einen im Kontext der Installation der/des Anderen. "Wozu taugen solche Versuche, die manche gar für überflüssig halten? Vielleicht vermitteln gerade derartige ,unnütze' Details dem Benützer das Gefühl, dass er nicht nur als statistische Größe und potentieller Konsument betrachtet wird, sondern in seiner menschlichen Sensualität einbezogen ist", umschreibt Ruedi Baur seinen Ansatz, der auch auf Susanna Fritschers Umgang mit der "Leere" zutrifft. Denn der gestaltete Raum soll "auf den Betrachter blicken".
     
Informationen: http://www.aut.cc
     
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