Fahrgastrechte im Schienenverkehr: Noch kein Ende der Ausbaustrecke   

erstellt am
25. 07. 11

Tätigkeitsbericht der Schienen-Control GmbH 2010 liegt vor
Wien (pk) - Die Kompetenzen des unabhängigen Regulators für den Schienenverkehr, der Schienen-Control GmbH, wurden im Vorjahr zwar erweitert, für eine effektive Durchsetzung der Fahrgastrechte im Schienenverkehr fehlen ihr aber immer noch entscheidende rechtliche Handhaben. Diese Feststellung wird im Tätigkeitsbericht der Schienen-Control GmbH 2010 getroffen, den die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie Doris Bures vor kurzem dem Nationalrat vorgelegt hat. Bures stellt in diesem Zusammenhang ein Novellierung des Gesetzes über Fahrgastrechte in Aussicht.

Laut Bericht war im Jahr 2010 eine markante Steigerung der Zahl der Beschwerdefälle bei der Schlichtungsstelle der Schienen Control zu verzeichnen. Von insgesamt 502 Fällen konnten 442 positiv erledigt werden. Die erreichten Entschädigungen bzw. Strafnachlässe beliefen sich auf 25.308 €.

Die EU hat bisher drei Eisenbahnpakete verabschiedet, um die Entmonopolisierung und Liberalisierung des Marktzugangs im Schienenverkehr umzusetzen. In Österreich obliegt es der Schienen-Control GmbH, als öffentlicher Rechtsträger einen funktionierenden, belebten und liberalisierten Schienenverkehrsmarkt sicherzustellen und einen fairen Wettbewerb zu fördern. Der vorliegende Bericht informiert über die Rolle der Schienen-Control als Regulierungsbehörde, die Schwerpunkte ihrer Arbeit und die Tätigkeit der Schlichtungsstelle zur Durchsetzung der Fahrgastrechte. Er gibt Auskunft über Neuerungen im rechtlichen Rahmen der Bahnliberalisierung sowie über die Marktentwicklung des Jahres 2010.

In Zusammenhang mit der Umsetzung des 1. Eisenbahnpakets leitete die EU 2010 zwar ein Vertragsverletzungsverfahren gegen 13 Mitgliedsstaaten ein, das auch Österreich betrifft. Alles in allem könne aber festgestellt werden, dass Österreich sich beim Liberalisierungsindex 2011 in der Spitzengruppe "Fortgeschrittene Marktöffnung" befindet, heißt es in dem Bericht.

EU kritisiert Mängel der Umsetzung des 1. Eisenbahnpakets
Die EU-Kommission schloss 2010 die Evaluierung des 1. Eisenbahnpakets ab und veröffentlichte den Vorschlag einer Überarbeitung, der nun zur Diskussion steht. Am 24. Juni 2010 leitete die Europäische Kommission wegen mangelhafter Umsetzung des 1. Eisenbahnpakets ein Vertragsverletzungsverfahren gegen dreizehn Mitgliedsstaaten, darunter auch Österreich, ein. Einer der beiden Klagepunkte gegen Österreich wurde nach der Einführung eines "Performance Regimes", das heißt eines Bonus/Malus-Systems für die Infrastruktur-Benutzungsentgelte im Fall von Verspätungen, wieder fallen gelassen. Die Kommission hielt aber die Kritik an der mangelnden Unabhängigkeit des für die Einhebung der Wegeentgelte und die Zuweisung von Fahrwegkapazität zuständigen Infrastrukturbetreibers innerhalb des ÖBB-Konzerns aufrecht. In diesem Zusammenhang ist derzeit ein Verfahren bei der Schienen-Control-Kommission anhängig.

Im Unionsvertrag ist der Auf- und Ausbau Transeuropäischer Netze (TEN) für Verkehr, Telekommunikation und Energie festgeschrieben. Im Eisenbahnbereich wurde zur Vereinheitlichung der Signal- und Sicherungssysteme das European Rail Traffic Management System (ERTMS) geschaffen. Zur Koordinierung wurden ERTMS-Korridore definiert, von den zwei (ERTMS-Korridor B bzw. E) auch Österreich betreffen. Für diese beiden ist das neue System innerhalb bestimmter Fristen einzurichten.

Am 10. November 2010 trat die "Verordnung zur Schaffung eines europäischen Schienenverkehrsnetzes für einen wettbewerbsfähigen Güterverkehr" in Kraft, mit der die Nutzung des Schienennetzes für den Güterverkehr optimiert werden soll. Vor allem um Probleme beim Grenzübertritt zu beseitigen, wurden internationale Güterverkehrskorridore (GVK) definiert und mit einer Führungsstruktur versehen. Drei davon führen auch durch Österreich. GVK 7 (Praha-Athen) ist bis 10 November 2013, GVK 3 (Stockholm-Palermo) und GVK 5 (Gdynia-Koper/Triest) sind bis zum 10. November 2015 einzurichten. Durch die Einbeziehung der so genannten Pontebbana-Achse von Wien bis Tarviso wurde GVK 5 aufgewertet, was als Erfolg der am Baltisch-Adriatischen Korridor gelegenen Mitgliedsstaaten gewertet wird. Zur Umsetzung der Korridore ist eine stärkere Zusammenarbeit der Regulatoren erforderlich, was ein vergleichbares Regulierungsniveau der Länder zur Voraussetzung hat.

Bereits 2010 wurden Vorarbeiten für eine intensivere Zusammenarbeit auf internationaler Ebene geleistet. Diese wurde durch die Schaffung der "Independent Regulators' Group-Rail (IRG-Rail)" im Juni 2011 formalisiert. Die IRG-Rail soll den Austausch von Erfahrungen und Fachwissen fördern, gemeinsame Positionen entwickeln und damit eine harmonisierte Anwendung der rechtlichen Rahmenbedingungen gewährleisten.

Das österreichische Eisenbahnnetz 2010 und die Marktentwicklung
Das österreichische Eisenbahnnetz erfuhr 2010 durch die Einstellung von Nebenbahnen und Regionalbahnen bzw. deren Übertragung an andere Eigentümer starke Veränderungen. Das größte österreichische Bahnnetz, das der ÖBB-Infrastruktur AG, verminderte sich dadurch auf 5.251 km Betriebslänge.

Die wirtschaftliche Erholung des Jahres 2010 hatte positive Auswirkungen auf die Marktentwicklung, vor allem im Bereich des Schienengüterverkehrs, der 2008/2009 am stärksten von Einbrüchen betroffen war. Positiv entwickelten sich auch die Fahrgastzahlen der vernetzten Bahnen Österreichs. Am 3. Februar 2011 wurde mit der ÖBB-Personenverkehr AG der öffentliche Dienstleistungsvertrag über die Bestellung von Leistungen im Schienenpersonenverkehr abgeschlossen, der rückwirkend mit April 2010 in Kraft trat. Die Änderung war aufgrund der EU-Verordnung über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße notwendig. Der Vertrag lautet auf 537 Mio. € für rund 71 Mio. Zugkilometer (ca. 59 Mio. im Nahverkehr, 12 Mio. im Fernverkehr). Aufgrund ihres Volumens haben öffentliche Leistungsbestellungen einen wesentlichen Anteil an der Entwicklung des Eisenbahnmarktes, insbesondere im Personenverkehr.

Schlichtungsstelle: Mehr Beschwerden, aber zu wenig Kompetenzen
2010 wurden die Kompetenzen der Schienen Control erweitert und ihre Schlichtungsstelle zur nationalen Stelle für eine Durchsetzung der Fahrgastrechte aufgewertet. In diesem Jahr war auch ein markanter Anstieg der Zahl der Beschwerdefälle, die vor die Schlichtungsstelle gelangten, zu verzeichnen. Mit 502 Fällen haben sich diese gegenüber 2009 mehr als verdreifacht. 442 Fälle konnten positiv erledigt werden, in 276 Fällen wurden überdies für die BeschwerdeführerInnen auch Entschädigungen bzw. Strafnachlässe erreicht, die sich auf insgesamt 25.308 € beliefen.

Allerdings reichten die derzeit der Schlichtungsstelle eingeräumten rechtlichen Möglichkeiten nicht aus, um ein effizientes Schlichtungsverfahren sicherzustellen, wird in dem Bericht festgehalten. Das Ziel, die Rechtsdurchsetzung für BürgerInnen gegenüber Eisenbahnverkehrsunternehmen zu erleichtern und die Gerichte von Streitigkeiten über Kleinstwerte zu entlasten, könne damit nicht zufriedenstellend erreicht werden. Die Schienen-Control sollte daher auch Sanktionsbefugnisse zur Durchsetzung der Fahrgastrechte erhalten. Es müsse zudem für die Fahrgäste mehr Transparenz bei Tarifen und Beförderungsbedingungen hergestellt werden. Die Schienen-Control sollte deshalb das Recht erhalten, Tarife und Beförderungsbedingungen auf Gesetzmäßigkeit zu überprüfen.

Die Regulierungsbehörde hatte sich im Berichtszeitraum mit einem vielfältigen Themenspektrum zu befassen. Im Berichtsjahr leitete die Schienen-Control Kommission aufgrund formell oder informell eingegangener Beschwerden bzw. beruhend auf Erkenntnissen der Marktbeobachtung durch die Schienen-Control GmbH insgesamt 58 Verfahren ein. In ihnen ging es beispielsweise um Probleme im Zusammenhang mit Streckensperren und Trassenbestellungen, Regulierungsmaßnahmen für Anschlussbahnen, um Fragen von Streckenstilllegungen und um Entschädigungsbedingungen für Fahrgäste.

Das BMVIT stellt für 2011 eine Evaluierung der Erfahrungen mit den gesetzlichen Bestimmungen über Fahrgastrechte in Aussicht, auf deren Grundlage dem Parlament eine Novelle zu diesem Gesetz mit weiteren Verbesserungen für Bahnkundinnen und Bahnkunden vorgelegt werden soll. Im Dezember 2011 wird außerdem die WESTbahn Management GmbH nach mehreren Jahren der Vorarbeiten ihren Betrieb aufnehmen. Damit wird auch im nationalen Personenverkehr der Wettbewerb eröffnet und es beginnt eine neue Phase der Marktöffnung im Schienenverkehr.
     
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