Oberösterreich 1918 - 1938   

erstellt am
12. 10. 11

Neues, umfassendes Forschungsprojekt des OÖ. Landesarchivs:
Linz (lk) - Oberösterreich bemüht sich seit Jahren darum, die Geschichte des Landes im 20. Jahrhundert nach modernen, zeitgemäßen Standards aufzuarbeiten. Nach Abschluss des Großprojektes "Oberösterreich in der Zeit des Nationalsozialismus" beauftragte 2010 der Oberösterreichische Landtag das Oö. Landesarchiv mit dem Projekt einer wissenschaftlichen Bearbeitung der Landesgeschichte 1918 - 1938.

Ziel des Projektes Oberösterreich 1918 - 1938
Bei diesem Gesamtprojekt geht es nicht um eine 'endgültige' Aufarbeitung oder gar die Feststellung der 'objektiven Wahrheit'; beides ist in der Geschichtswissenschaft nicht möglich.

Die mit dem Projekt verknüpften Ziele sind vielmehr:

  • den bisherigen Kenntnisstand zusammenzufassen,
  • durch neue Fragestellungen neue Erkenntnisse zu gewinnen,
  • widersprüchliche Aussagen vergleichbar zu machen,
  • neue Quellen zu erschließen und in die Forschungen einzubeziehen und
  • durch den Einsatz moderner Technologien und neuer Forschungsmethoden zusätzliche Sichtweisen zu eröffnen.


Wissenschaftliche Kommission
Auf Einladung des Landesarchivs benannten die Klubs der im Landtag vertretenen Parteien Fachleute ihres Vertrauens, die in einer Kommission gemeinsam die wissenschaftliche Qualität der Forschungsergebnisse sichern. Dieser Kommission gehören an: Univ.-Prof. Dr. Peter Becker (Wien), Prof. Dr. Helmut Fiereder (Linz), ao. Univ.-Prof. Dr. Lothar Höbelt (Wien), Dr.in Brigitte Kepplinger (Linz), Univ.-Doz. Dr. Martin Moll (Graz), ao. Univ.-Prof. DDr. Michael Pammer (Linz), Univ.-Prof. Dr. Roman Sandgruber (Linz), Mag. Florian Schwanninger (Linz), Univ.-Prof. Dr. Josef Weidenholzer (Linz).

Zeitplan und Projektphasen:
Ein Aufruf zur Einreichung von Projektideen brachte bis Ende 2010 beinahe 100 Vorschläge. Im Februar 2011 fand eine Tagung statt, auf der einige der Vorschläge präsentiert und die weitere Vorgangsweise im Fachkreis diskutiert wurde. Im Sommer dieses Jahres wurde - im Rahmen der materiellen Möglichkeiten - die Auswahl der zu verwirklichenden Projekte getroffen, die Projektstruktur festgelegt und Werkverträge mit den Bearbeiterinnen und Bearbeitern abgeschlossen. Ein Teil der Vorhaben wird bereits 2014, das Gesamtprojekt spätestens 2018 abgeschlossen sein. Nach derzeitigem Stand werden die Ergebnisse in (mindestens) sechs Themenbänden und mehreren Spezialbänden (Monografien) publiziert (siehe Beilage).


Zeitgemäße Erschließung von Quellen durch das OÖ. Landesarchiv
Der Beitrag des Landesarchivs zu diesem Großprojekt besteht nicht nur in der Organisation und Koordination von mehr als 50 beteiligten Wissenschafterinnen und Wissenschaftern, sondern auch in der nachhaltigen Entwicklung von Recherchewerkzeugen und in der zeitgemäßen Erschließung zentraler Quellen zur Landesgeschichte, die bisher nur wenigen Spezialistinnen und Spezialisten bekannt und zugänglich waren.

Die neuen Techniken der Digitalisierung und strukturierten Erschließung ermöglichen weit über das konkrete Projekt hinaus einen leichteren und umfassenderen Zugang zu Quellen. Es geht dabei nicht primär um sensationelle neue Erkenntnisse oder Enthüllungen, sondern um die Erforschung und Neubewertung der Hintergründe der mehr oder weniger bekannten Ereignisse und um Einblicke in Bereiche der Regional-, Lokal- und Alltagsgeschichte, die der Öffentlichkeit wegen des unaufhaltsamen Verlustes von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen kaum mehr zugänglich sind.

Beispiele für diese neue Art der Quellenerschließung sind:

  • aus dem Bereich der Landespolitik die Digitalisierung der Landtagsprotokolle und der Sitzungsprotokolle der Landesregierung sowie die Erschließung der bisher nicht entzifferten privaten Aufzeichnungen von Landeshauptmann Dr. Josef Schlegel,
  • aus dem Bereich der Landes-, Regional- und Lokalgeschichte die Digitalisierung der oberösterreichischen Tages- und Wochenzeitungen,
  • aus dem Bereich der Parteipolitik die geografisch bis auf Gemeindeebene erschlossenen Wahlergebnisse der Ersten Republik.


Jedes dieser drei Beispiele steht auch für die Kooperation mit unterschiedlichen Partnern: Von Landeseinrichtungen bis zu Softwareentwicklern. Es ist wichtig festzuhalten, dass Vorhaben dieser Größenordnung und Komplexität heute nur mehr in Zusammenarbeit zu bewältigen sind, und zwar nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, sondern vor allem wegen der Bündelung von fachlicher und technischer Expertise, die keine Einrichtung mehr alleine aufbringen kann. Das Oö. Landesarchiv hat einige Erfahrung mit Forschungsprojekten; aber noch nie war der kooperative und synergetische Charakter eines Großprojektes so deutlich wie bei "Oberösterreich 1918 - 1938".

Quellenerschließung in Vorbereitung auf das Projekt

· Gabelsberger Stenografie
Landeshauptmann Dr. Josef Schlegel (1927 - 1934) verwendete für seine Notizen zu Verhandlungen, Gesprächen und Sitzungen Gabelsberger Stenografie. Diese aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammende Form der Stenografie kann heute nur mehr von wenigen Wissenschafterinnen und Wissenschaftern gelesen werden. Im Rahmen des Forschungsprojektes lässt das OÖLA die ca. 250 Steno-Seiten im dienstlichen Nachlass Schlegels übertragen und macht sie damit allgemein zugänglich.

· Semantische Erfassung der Sitzungsprotokolle des Landtages und der Landesregierung
Historische Forschung war bisher nur möglich, wenn die Forscherin bzw. der Forscher vor Ort im Lesesaal eines Archivs seine Quellen im Original einsah. Erst die Informations- und Datenverarbeitung eröffnet neue Wege der Bereitstellung, Recherche und Auswertung von historischen Unterlagen, die keinen räumlichen und zeitlichen Einschränkungen unterliegen (wohl aber rechtlichen!). Im Rahmen des Forschungsprojektes "Oberösterreich 1918 - 1938" nutzt das Oö. Landesarchiv die neuen Möglichkeiten zur Erschließung und Bereitstellung grundlegender Quellen zur Geschichte unseres Bundeslandes in der Ersten Republik.

Sowohl die wörtlichen Protokolle der Landtagsdebatten und deren Beilagen als auch die Protokolle zu den Sitzungen der Landesregierung sind eine wesentliche Grundlage zum Verständnis der Landesgeschichte. Sie waren bisher lediglich durch eine unvollständige Reihe von Stichwortverzeichnissen erschlossen. Da sie zu einem großen Teil in Fraktur gedruckt wurden, sind sie für in dieser Schrift Ungeübte zudem schwer lesbar. Heuer ließ das Landesarchiv alle Protokolle des Landtages und der Landesregierung aus der Ersten Republik digitalisieren und von Spezialisten der Universitätsbibliothek Innsbruck mittels Schrifterkennung (OCR) elektronisch lesbar machen. Nun liegen Texte vor, die vom Computer durchsucht werden können.

Von der Linzer Firma "m2n Intelligence Management" wird derzeit im Auftrag des Landesarchivs ein Programm entwickelt, das eine intelligente, semantische Suche über diese Protokolle ermöglicht. Dadurch entstehen für die Forschung völlig neue Recherche- und Auswertungsmöglichkeiten. So können Daten miteinander verknüpft, Beziehungen zwischen Sachverhalten hergestellt oder zeitliche Abläufe schnell erkannt werden.

· Zeitungen
Für das Engagement des Landesarchivs bei der Digitalisierung und der elektronischen Bereitstellung von Zeitungen sind vor allem zwei Gründe ausschlaggebend:
o Der hohe Wert der Printmedien als Quelle zur oberösterreichischen Landesgeschichte auch der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, weil die darin enthaltenen Informationen zu regionalem Geschehen, zu Besonderheiten und Stimmungen und zum Alltagsleben in seinem breiten Spektrum sonst nirgends aufgezeichnet sind.
o Der oft schlechte Überlieferungs- und Erhaltungszustand dieser Informationsträger, der bei der Bereitstellung der Papiervorlagen zumindest zu empfindlichen Einschränkungen führen muss. Zeitungen sind von ihrem Zweck her auf kurzfristige Nutzung ausgerichtet, für die langfristige Aufbewahrung sind sie wegen der Kombination billigen, übersäuerten Papiers mit aggressiver Druckerschwärze nicht geeignet. Es gibt zwar umfangreiche Zeitungsbestände in österreichischen Bibliotheken und Archive, doch sind diese in den seltensten Fällen vollständig.

Um dieser Schwierigkeiten Herr zu werden, bot sich die Digitalisierung geradezu an. Sie versteht sich sowohl als Sicherungsmaßnahme zur Erhaltung der Inhalte der Zeitungen als auch als Bereitstellungsmöglichkeit. Ein erster großer Block, Zeitungen der Jahre 1945 bis 1955 im Gesamtausmaß von ca. 220.000 Seiten, wurde im Jahr 2005 digitalisiert. Seither wurde die Zeitungsdigitalisierung weiterverfolgt, und zwar mit dem zeitlichen Schwerpunkt von ca. 1860 bis 1938 bzw.1945.

Im Sommer 2010 ging das Landesarchiv eine Kooperation mit der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB) ein, die beinhaltet, dass die vom Landesarchiv digitalisierten oberösterreichischen Zeitungen auf der größten österreichischen Zeitungsseite www.anno.onb.ac.at (anno = Austrian Newspapers Online) bereitgestellt werden können und die ÖNB die Wartung der Daten übernimmt. Seit Jahresende 2010 können die drei großen Tageszeitungen, die Tagespost, das Linzer Volksblatt und das Tagblatt von ihren Anfängen bis 1938/40 dort eingesehen werden. Für die Jahre 1918 bis 1938 handelt es sich um ca. 220.000 Seiten. Ziel des Projektes ist es natürlich, alle und damit auch die regionalen Tages- und Wochenzeitungen vollständig zu digitalisieren und über die Webseite "anno" der interessierten Öffentlichkeit kostenlos zur Verfügung zu stellen. Im Jahr 2010 wurde vom Landesarchiv die Neue Warte am Inn von 1881 bis 1940 digitalisiert und aus den Sammlungen der Landesbibliothek, der ÖNB, des Stadtarchivs Braunau und des Landesarchivs erstmals eine virtuelle vollständige Ausgabe dieser Regionalzeitung geschaffen.

· Visualisierte Wahlergebnisse und Ortsgemeinden
Die zeitgemäße Erschließung der Ergebnisse der insgesamt acht Landtags- und Nationalratswahlen von 1919 bis 1931 führt über die Bereitstellung der gedruckten offiziellen Wahlergebnisse in Listenform als PDF auf der Homepage des Landesarchivs hinaus. Die Wahlergebnisse wurden in eine Datenbank eingegeben, sodass unterschiedlichste Fragestellungen bequem erforscht werden können.

Darüber hinaus ist das Landesarchiv zur Visualisierung der Ergebnisse eine Kooperation mit der für die Darstellung von Geoinformationen (GIS) zuständigen DORIS- Gruppe der Landesregierung eingegangen. Dadurch ist es nun erstmals möglich, Wahlergebnisse bezogen auf die konkrete Gemeindefläche zu analysieren und damit einen völlig neuen Zugang zu finden.

Basis dafür war die Erarbeitung der Flächen der Gemeinden von deren Einrichtung 1850/1851 bis heute. Während dieser 160 Jahre wurden nämlich Gemeinden neu eingerichtet oder aufgelöst, Gemeindegebiete wurden vergrößert oder reduziert. Diese Veränderungen sind auf Ebene der Katastralgemeinden verortet worden, sodass es nun möglich ist, das Gebiet jeder Gemeinde in der jeweiligen aktuellen Ausdehnung einzusehen.

     
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