Bericht über den 28./30.10.2011
 
 

erstellt am
31. 10. 11

Wien (öj/mg) - Paul Rosdy drehte seinen neuesten Dokumentarfilm "mit einem Fotoapparat", wie er selbst sagt. Die Qualität der Aufnahmen ist erstaunlich. Jedoch nicht nur das. Rosdy überlässt in "Der letzte Jude von Drohobytsch" (A/U 2011) Alfred Schreyer das Wort. Er begleitet ihn bei einem Spaziergang durch Drohobytsch, bei dem Besuch der Gedenkstätte der Opfer des Nationalsozialismus und bei einem Hauskonzert des Alfred-Schreyer-Trios. Sehr zurückhaltend, sehr subtil, ohne sich aufzudrängen, nur ab und zu nachfragend. Es ist ein zutiefst berührendes Porträt eines 88-jährigen Mannes, der von dem friedlichen Zusammenleben der jüdischen, ukrainischen und polnischen Bevölkerung vor 1939, von seinen Aufenthalten in Konzentrationslagern, von der Flucht während des Todesmarsches, von der Rückkehr nach Drohobytsch und der Nachkriegszeit im kommunistischen Regime erzählt. Und so erscheint dem Zuschauer die Kleinstadt Drohobytsch, von der man bisher vielleicht nur als von der Heimatstadt des von den Nazis ermordeten Schriftstellers Bruno Schulz hörte, plötzlich nicht mehr als ein abstrakter Ort auf der Landkarte. Durch die Augen von Alfred Schreyer sieht man die Gebäude aus der Vorkriegszeit, die heute in Ruinen stehende Alte Synagoge, das Gymnasium, in dem er als Schüler von Bruno Schulz lernte, das alte jüdische Viertel mit dem nicht mehr existierenden Friedhof, auf dem die Kommunisten ihre Blockhäuser errichteten. All diese Bilder und Erinnerungen, alte polnische, jüdische, ukrainische und russische Lieder, die Stille der in Wäldern gelegenen Massengräber sprechen für sich.

Wenn man also einen Favoriten für den diesjährigen Wiener Filmpreis in der Kategorie Dokumentation nennen darf, dann ist es sicherlich das filmische Porträt Alfred Schreyers.
Ein großer Dank ergeht an dieser Stelle an das Alfred Schreyer für den wundervollen Auftritt vor und nach der Filmpräsentation. Er machte es dem Publikum möglich, sich die Atmosphäre der ukrainischen Kinos der Nachkriegszeit vorzustellen, in denen er jahrelang vor den Abendvorstellungen als Musiker und Sänger arbeitete.

In "Habemus Papam" (I/F 2010) zeigt Nanni Moretti ein Konklave, wie er es sich vorstellt. Bei diesem wird ein Papst gewählt, der sich für diese Aufgabe gar nicht geschaffen sieht. Kein Wunder also, dass er, wenn sich die Gelegenheit bietet, noch ehe er die auf dem Petersplatz versammelten Gläubigen segnet, die Flucht ergreift. In der Hauptrolle sehen wir Michel Piccoli. Der wundervoll witzige polnische Schauspieler Jerzy Stuhr ist als Pressesprecher des Vatikans zu sehen. In einem Interview sagte der Regisseur und Drehbuchautor, dass er die Rolle speziell für Stuhr geschrieben habe. Moretti hingegen übernahm die Rolle des Psychotherapeuten, der es sich im Angesicht der Abwesenheit des Papstes zur Aufgabe macht, die beunruhigten Kardinäle mit einer Volleyballmeisterschaft zu beschäftigen.

"L'exercice de l'état" (Pierre Schoeler, F/B 2011) ist eine Fiktion über die französische Politik. Der Regisseur sagte bei dem Publikumsgespräch, es sei ihm wichtig gewesen, zu zeigen, wie ein Politiker, wie es heutzutage vielen passiert, nach einem dramatischen Ereignis mit neuen Kräften zurückkehrt. Dieses Ereignis, das Schoeler in seinem Film symbolisch als einen Verkehrsunfall darstellt, das jedoch genauso gut ein Korruptionsvorwurf sein könnte, wird zum Höhepunkt des Films.

Bei der Galavorstellung von "A Dangerous Method" (GB/D/Kanada/Schweiz/F 2011) war David Cronenberg anwesend. In seinem neuesten Film widmet er sich den psychoanalytischen Studien von Carl Gustav Jung (Michael Fassbender) und Sigmund Freud (Viggo Mortensen). In den Mittelpunkt kommt auch die jahrelange außereheliche Beziehung zwischen Jung und Sabina Spielrein (Keira Knightley).

Ruth Klüger feierte gestern ihren 80. Geburtstag. Nach der Galavorstellung des Dokumentarfilms von Renata Schmidtkunz, "Das Weiterleben der Ruth Klüger (A 2011) sprach sie über das Gefühl, wieder in Wien zu sein, das zwar ihre Geburtsstadt ist, aber nie ihre Heimatstadt sein werde, denn "in Wien atmen die Pflastersteine den Antisemitismus".
Der Film zeigt Klüger an vier Orten, die für die Autorin von Bedeutung waren - in Irvine, Kalifornien, wo sie ein halbes Jahrhundert lang lebte, in Göttingen, wo sie in den späten 80er Jahren arbeitete und sich aufgrund eines schweren Unfalls dazu entschloss, ihre Biografie zu schreiben, in Jerusalem, das sie als ihre "Heimatstadt im Konjunktiv II" bezeichnet und in Wien, wo sie bei Empfängen gefeiert wird, sich jedoch nicht auf die Erinnerung aus der Kindheit einlassen möchte. Sie spricht über die fehlende Zugehörigkeit der Juden ihrer Generation und über die deutsche Sprache, die sie ablegte, um die Ereignisse des Krieges zu vergessen.

"Margin Call" (JC Chandor, USA 2011) ist eigentlich ein Begriff aus der Broker-Sprache. Chandor zeigt, wie schnell man etwas aus den Augen verlieren kann, wie wichtig der Posten einer Risikoforschers ist und wer am Ende verliert, wenn es zu einer Krise kommt.

Von der VIENNALE berichtet täglich Malgorzata Glac für das "Österreich Journal"
     
Informationen: http://www.viennale.at    
     
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