Wie Elektronen Party feiern   

erstellt am
09. 01. 12

Neue Tieftemperatur-Messungen an der TU Wien widerlegen bisherige Theorien zum „Kondo-Effekt“.
Wien (tu) - Die Elektronen sind schuld: Materialeigenschaften hängen oft davon ab, wie beweglich die Elektronen in einem Material sind und welche Energien sie annehmen können. Bei extremer Kälte, nur knapp über dem absoluten Nullpunkt, untersucht Prof. Silke Bühler-Paschen die quantenmechanischen Vorgänge, die für außergewöhnliches Materialverhalten verantwortlich sind. Von ihren neuen Ergebnissen zum sogenannten „Kondo-Effekt“ werden bisherige Theorien nun über den Haufen geworfen – ein grundlegendes Umdenken ist nötig. Ihre Untersuchungen publizierte Bühler-Paschen im Fachjournal „Nature Materials“.

Wenn viele Leute in einem Saal stehen und miteinander reden, wenden sie sich einander zu – benachbarte Menschen blicken also bevorzugt in entgegengesetzte Richtungen. So ähnlich kann man sich auch Elektronen vorstellen, die ihre magnetische Richtung – den Elektronenspin – aneinander ausrichten. „Beim Kondo-Effekt ist die Spin-Richtung eines Elektrons aber von außen gar nicht mehr sichtbar, weil sie von anderen Elektronen abgeschirmt wird“, erklärt Silke Bühler-Paschen. „Ungefähr wie ein prominenter Partygast, der sofort von allen Seiten umringt wird, so dass man von außen nicht mehr feststellen kann, in welche Richtung er sich wendet.“

Elektronen mit Quanten-Korrelationen
Dieser Kondo-Effekt wurde in verschiedenen Materialien bei extrem tiefen Temperaturen (im Millikelvin-Bereich) gemessen. Allerdings zeigte sich, dass er durch zusätzliche äußere Einflüsse zusammenbrechen kann – etwa durch ein äußeres Magnetfeld. Wenn im Saal mit den Partygästen das Buffet eröffnet wird und sich die Besucher rund um den Stargast plötzlich zu den Tischen hingezogen fühlen, dann ist es mit dem Abschirmungseffekt auch schnell wieder vorbei. Freilich darf man solche Analogien mit der Alltagswelt nicht zu wörtlich nehmen: Die Verbindung zwischen den Elektronen im Festkörper ist viel tiefer und komplizierter als wir das von Alltagsobjekten kennen. Die Elektronen sind quantenmechanisch korreliert – unter gewissen Bedingungen (z.B. wenn der Kondo-Effekt greift) verlieren sie in gewissem Sinn ihre Individualität und lassen sich (im Gegensatz zu Partygästen oder Cocktailkirschen) nicht mehr getrennt voneinander beschreiben.

Neues Material – überraschende Ergebnisse
Viele theoretische Berechnungen über den Kondo-Effekt wurden in den vergangenen Jahren veröffentlicht. Von besonderem Interesse ist dabei, wie der Kondo-Effekt entsteht, oder wie er zerstört wird. Die Abschirmung der magnetischen Momente hängt von verschiedenen Parametern ab – beispielsweise von der Temperatur. Während Temperaturänderungen die Abschirmung aber kontinuierlich ändern, kann die Änderung anderer Parameter – etwa des Magnetfeldes – die Abschirmung an einem bestimmten Punkt (dem sogenannten quantenkritischen Punkt) ganz abrupt zusammenbrechen lassen.

„Bisher dachte man, dass das Zusammenbrechen des Kondo-Effektes, das zuvor in einem stark anisotropen Material beobachtet wurde, mit zweidimensionalen Quanten-Fluktuationen zu tun hat“, berichtet Silke Bühler-Paschen. Die Ursache wurde also in der Geometrie der Kristallstruktur gesucht. Andererseits wurden auch andere Erklärungsversuche vorgeschlagen, die die beobachteten Effekte auf subtile Eigenheiten des untersuchten Materials zurückführen – doch Silke Bühler-Paschen und ihrem Team gelang es nun, das selbe Verhalten in einem ganz anders gearteten Material nachzuweisen. „Unsere Messungen führten wir an einer Verbindung aus Cer, Palladium und Silizium durch“, sagt Bühler-Paschen, „und hier haben wir es mit einem kubischen Kristall zu tun, der in allen drei Raumrichtungen gleich aussieht.“ Das Verhalten der Elektronen muss also dreidimensional beschrieben werden – mit zweidimensionalen Modellen lässt sich das nicht erklären.

Zwischen Materialforschung und Quantenphysik
„Wir stoßen mit unseren Ergebnissen die theoretische Forschung nun wieder an“, meint Bühler-Paschen. „Mit den bisherigen Erklärungen war man schon ganz zufrieden, nun muss man wieder ganz neu nachdenken.“ Silke Bühler-Paschen arbeitet in einem Bereich, der zwei Forschungsschwerpunkte der TU Wien miteinander verbindet: Materialwissenschaft und Quantenphysik. „Das waren früher eher getrennte Gebiete – doch heute wird den Leuten klar, dass man beides gemeinsam behandeln muss“, findet Bühler-Paschen. Viele Materialeigenschaften lassen sich nur erklären, wenn man sich auf die fundamentalsten Ebenen der Physik begibt – und umgekehrt lässt sich für die Quantentheorie viel Neues lernen, indem man Vorgänge im Inneren von Festkörpern studiert.

Vielseitigkeit statt Outsourcing
Einen internationalen Wettbewerbsvorteil sieht Bühler-Paschen darin, dass die Forschung an der Schnittstelle zwischen Materialwissenschaft und Quantenphysik in den letzten Jahren gerade in Wien deutlich an Bedeutung gewonnen hat: „Wir vereinen wichtige Kooperationspartner unter einem Dach: Theoretische Forschung, Tieftemperatur-Messungen, und auch die chemische Synthese der Untersuchungsobjekte.“ Andere Gruppen, die ihre Proben nicht selbst herstellen können, sind eben auf die Materialien angewiesen, die sie von anderswo bekommen – und Forschungsteams, die in der Synthese führend sind, haben oft weder Ressourcen noch Interesse, quantenphysikalische Effekte in ihren Proben zu untersuchen. „Wir haben hier das Glück, auf der Schnittstelle arbeiten zu können“, findet Silke Bühler-Paschen. Offene Fragen gibt es noch genug: Das Ziel ist, auf ganz grundlegendem quantenmechanischen Niveau endlich Erklärungen für wichtige Effekte zu finden, die man bis heute nicht richtig verstanden hat - etwa das Rätsel der Hochtemperatur-Supraleitung.
     
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