Mit dem Gefühl der Hände.    

erstellt am
09. 03. 12

Zeitgenössische Töpfer im Burgenland und in der Region Bratislava – von 11. März bis 19. August 2012 im Österreichischen Museum für Volkskunde
Wien (volkskundemuseum) - Als Resultat einer Feldforschung zu beiden Seiten des österreichisch-slowakischen Grenzgebietes präsentiert das Österreichische Museum für Volkskunde in dieser Sonderausstellung über 200 Keramiken aus insgesamt dreißig Werkstätten. Je fünfzehn derzeit aktive Keramiker (Handwerker, Kunsthandwerker, Künstler) aus dem Burgenland und der Westslowakei präsentieren im Österreichischen Museum für Volkskunde eine Auswahl ihrer vielfältigen Erzeugnisse. Damit bietet die Ausstellung eine einzigartige Gelegenheit, sich an den Farben, Formen und innovativen Entwürfen zu erfreuen. Ob Geschirr, Gartenzierkeramik, Skulpturen oder traditionelle Fayence - sie alle bieten eine Möglichkeit der grenzüberschreitenden Begegnung und des kulturellen Vergleichs. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.

Zur Geschichte
Ton war Jahrhunderte lang ein unverzichtbarer Rohstoff zur Herstellung von Kochgefäßen, Heizquellen, Speise-, Aufbewahrungs- und Repräsentationsgeschirr. Die Herstellung von Keramik bildete somit eine wichtige Grundlage des wirtschaftlichen Lebens und ihre ganz speziellen Ausformungen waren ein untrennbarer Teil der kulturellen Identität einer Region. Heutzutage ist die Verwendung der Töpferscheibe den handwerklich tätigen Töpfern mit einschlägiger Ausbildung und viel Routine beim Freidrehen vorbehalten. Denn die Herstellung von Keramik auf der Scheibe unterscheidet sich wesentlich von anderen Formgebungsverfahren, die im Kunstbereich von KeramikkünstlerInnen und im Freizeitbereich von HobbykeramikerInnen ausgeübt werden.

Nach ersten Recherchen kristallisierte sich eine Gruppe von ca. 15 Töpfern im Burgenland und eine etwa ebenso große Gruppe in der Region Bratislava heraus, welche die genannten Kriterien erfüllen. Erforscht wurden Biografie, Ausbildungsweg, Material, Arbeitsweise, Formenspektrum und Absatzwege. Die Töpfer wurden eingeladen, Keramiken, die für ihr derzeitiges Angebot repräsentativ sind, auszuwählen und als Leihgaben für eine Ausstellung zur Verfügung zu stellen.

Zeitgenössische Töpfer im Burgenland
Im Burgenland, dem ehemaligen Westungarn, existierten aufgrund hervorragender und reichlicher Tonvorkommen mehrere Töpferorte wie Stoob, Rotenturm, Jabing, Großpetersdorf, Pinkafeld, Neumarkt an der Raab und Königsdorf, Oberpetersdorf und Kobersdorf. Mittlerweile wird fast nur noch in Stoob und Umgebung Töpferware produziert. Das Töpfergewerbe ist dort ab dem 17. Jahrhundert belegt. Die Töpfer von Stoob produzierten Jahrhunderte lang unglasierte, bauchige Trinkgefäße, die so genannten Plutzer, sowie grün oder braun glasiertes Kochgeschirr. Ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts, vor allem aber nach dem Zweiten Weltkrieg verdrängten andere Materialien den Ton bei der Herstellung von einfachen Koch-, Ess- und Trinkgefäßen.

Die Ausbildung und Versorgung der Töpfer und ihrer Familien erfolgte in Zünften - die älteste bekannte Zunftordnung für das Gebiet des heutigen Burgenlands stammt von Michael Esterházy aus dem Jahr 1717. Nach Aufhebung der Zünfte im Königreich Ungarn wurde 1872 die Gewerbe-Genossenschaft der Töpfe" in Stoob gegründet. Bis heute wird alljährlich aus der Reihe der Meister ein neuer Zunft-Vater gewählt, der durchaus auch weiblich sein kann. Er oder sie erhält die Mitgliedsbeiträge, die Zunftkanne aus Zinn von 1619 und die Zunfttruhe aus dem Jahr 1846 mit den historischen Dokumenten anvertraut.

Für die Ausbildung existierte 1893 bis 1905 eine Tongewerbeschule. 1956 gründete man die Landesfachschule für Keramik und Ofenbau mit angeschlossenem Internat, die von SchülerInnen aus ganz Österreich besucht wird. Auch das dort angebotene Kolleg für Design erfreut sich großer Beliebtheit.

Nach dem Zweiten Weltkrieg beschäftigten sich die Burgenländischen Töpfer auch mit der Technik der Habaner-Tradition und entwickelten daraus ein Dekor aus kleinen Blüten(gruppen) auf weißer Glasur. Dieser rund 50 Jahre lang produzierte und angebotene Dekor bzw. die handgefertigte Geschirrproduktion generell entspricht nicht mehr dem Geschmack und den Bedürfnissen der KonsumentInnen im 21. Jahrhundert.

Die Töpferei-Betriebe im Burgenland versuchen nun auf unterschiedliche Weise, ihren Fortbestand zu sichern, wobei fast jeder Betrieb seine eigene Strategie. Manche entwickeln völlig neue Dekore (Pastellfarben oder ein neues Blumendekor) für ihre Geschirrserien, die sie um spezielle keramische Produkte im Umfeld von Wein erweitern. Die meisten produzieren jedoch kaum noch Gebrauchsgeschirr, sondern konzentrieren sich auf den derzeit großen Bedarf an Zierkeramik für Haus und Garten. Am häufigsten und am liebsten wird mit Stoober Ton gearbeitet. Einzelne Keramiker wenden sich völlig von diesen Produkten ab und entwickeln innovative Produkte wie modernen Heizobjekte, die u.a. nach traditioneller Methode auf der Töpferscheibe gedreht werden, oder Reproduktionen von historischen Figuren und Formen oder Dekorelemente für den Wellnessbereich.

Eine Gruppe burgenländischer Töpfer hat sich 2001 zum "Keramikland Burgenland" zusammengeschlossen. Die Zielsetzung des Vereins ist v.a. die Imagewerbung des Keramikhandwerks und die Förderung der Interessen der burgenländischen KeramikerInnen.

Zeitgenössische Töpfer im Raum Bratislava
Auf dem Gebiet der Westslowakei unterschied man Hafner und Töpfer, die Gefäße aus einfachem Ton, sog. Irdenware herstellten, die slowakisch hrnciari, von den Krügelmachern, den slowakisch džbankári, die feine, hell glasierte und bemalte Ware, sog. Fayencen, produzierten. In der beforschten Region waren die Töpfer seit dem 17. Jahrhundert in Handwerkerverbänden, den sog. Zünften, organisiert. Die Technik der Fayence kam im 16. Jahrhundert durch die Täufer, eine reformatorische Glaubensgemeinschaft, in das Gebiet der heutigen Slowakei. Die speziellen Dekore und Formen verschmolzen mit den Produkten aus einheimischen Werkstätten und aus diesem Prozess der Slowakisierung ging die sogenannte Volksmajolika hervor.

Neue Materialien verdrängten im 19. Jahrhundert den Rohstoff Ton als wichtigsten Werkstoff für die Herstellung von Gefäßen und Geschirr. Zur Wiederbelebung der handwerklichen Keramikkultur wurde im Jahr 1883 in der Stadt Modra eine Lehrwerkstatt eingerichtet. Aus dieser entwickelte sich der noch heute produzierende Betrieb der Slovenská Ludová Majolika.

An der Mittleren Berufschule in Pezinok wird heute noch eine Ausbildung zum "Kunstkeramiker" angeboten, allerdings gibt es seit 2008 keine Lehrlinge mehr. In der "Höheren Schule für angewandte Kunst" in Bratislava werden derzeit 20 Schüler mit Schwerpunkt auf keramisches Design ausgebildet.

Drei der Aussteller haben ihre Werkstatt westlich der kleinen Karpaten in der sogenannten Záhorie. Die anderen wohnen östlich des Gebirgszugs in Bernolákovo, Bratislava,
Modra, Pezinok, Limbach und Šenkvice. Die meisten sind Absolventen der Modraer Keramikschule, die sich dort auf das Freidrehen auf der Scheibe bzw. das Malen in volkstümlichen Fayencemotiven spezialisiert hatten. Dieser traditionellen Ausbildung sind viele bis heute verbunden. Im Jahre 1994 vereinigten sich die keramischen Handwerker der Westslowakei erneut zu einer Zunft der slowakischen Keramiker und begannen mit Initiativen, ihr keramisches Schaffen wieder stärker in das Bewusstsein der Bevölkerung zu bringen.

Die meisten Leihgeber sind Gewerbetreibende sowie freischaffende Keramiker, die ihre Ware entweder über ÚLUV, dem Zentrum für Volkskunstproduktion, auf Märkten in einem folkloristischen Umfeld oder über Galerien vertreiben. Gesteuert wird die Produktion der slowakischen Volkskunst vor allem durch ÚLUV. Neben glasierten und bemalten Fayencen will man in den Geschäften auch Irdenware aus anderen traditionellen Töpferzentren der Slowakei, z.B. der Region Gemer anbieten. Da in Zukunft die Ausbildung der westslowakischen Keramiker nur noch an der Kunstgewerbeschule in Bratislava stattfinden kann, ist zu erwarten, dass die künstlerische Richtung in der Keramik zunehmen und das Töpferhandwerk abnehmen wird.

TRA-KER
Diese Ausstellung ist das Resultat einer Feldforschung, die in den Jahren 2010 und 2011 aus Mitteln des EU-Programms creating the future - Programm zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit Slowakei-Österreich 2007 - 2013 im Rahmen des Gesamtprojekts "Tradition aus Ton - Wege zur Wahrnehmung des keramischen Erbes/ Tradície z hliny - cesty za poznaním keramického dedicstva" unter dem Akronym TRA-KER durchgeführt wurde. Die Ausstellung übersiedelt anschließend in die Slowakei und wird am 30. August 2012 im neuen Museum der Slowakischen Keramikplastik, einer Filiale des Slowakischen Nationalmuseums- Ludovít Štur Museums in Modra eröffnet.

Ziel des gemeinsamen Projekts des SNM- Ludovít Štúr Museums in Modra und des Österreichischen Museums für Volkskunde in Wien ist, das Interesse einer breiten Öffentlichkeit auf eine der ältesten handwerklichen Traditionen, der keramischen Produktion, zu lenken. Im Mittelpunkt stehen die Gebrauchskeramik und keramische Kunstwerke auf beiden Seiten der slowakischen und österreichischen Grenze. Das Projekt umfasst neben Ausstellungen in Wien und Modra eine Forschungsstudie über zeitgenössische Töpfer der genannten Regionen, den wissenschaftlichen und fachlichen Austausch, Förderung der jüngeren Generation der Keramiker und den Aufbau eines permanenten Zentrums für zukünftige Präsentationen lokaler und überregionaler Aktivitäten mit Partnern.
     
Informationen: http://www.volkskundemuseum.at    
     
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