III. Internationale Hartheim-Konferenz: Biologisierung des Sozialen   

erstellt am
08. 03. 12

Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim von 9. und 10. März 2012 – Eine besondere Tagung an einem besonderen Ort
Linz (lk) - Schloss Hartheim war im "Dritten Reich" eine von sechs Tötungsanstalten des nationalsozialistischen Euthanasieprogramms "T4". Nach dessen Abbruch im Jahr 1941 wurde das Schloss von der SS weiter als Tötungsanstalt genutzt, um "lebensunwerte" Konzentrationslagerhäftlinge aus Mauthausen, Dachau und Buchenwald zu ermorden. In der Gaskammer von Hartheim starben an die 30.000 Menschen.

1995 wurde der Verein Schloss Hartheim gegründet, dessen Ziel es war, in Schloss Hartheim einen angemessenen Ort der Erinnerung, des Gedenkens und der gesellschaftlichen Auseinandersetzung über Voraussetzungen und Folgewirkungen der nationalsozialistischen Euthanasie und Eugenik zu schaffen. Im Jahr 2003 wurde aus Mitteln des Landes OÖ und des Bundes mit der Gedenkstätte und der Ausstellung "Wert des Lebens" der Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim errichtet. Mit der Errichtung der "Stiftung Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim" durch das Land Oberösterreich im Jahr 2005 soll die Finanzierung der Institution dauerhaft gesichert werden.

Das Besondere an diesem Ort ist die Intention, Aufklärung und Information über nationalsozialistische Eugenik und Euthanasie mit einem Zugang zu verbinden, der diese spezielle Entwicklung einbettet in den historischen Kontext und auch bestimmte Entwicklungslinien in die Gegenwart sichtbar zu machen versucht.

Die internationalen Hartheim-Konferenzen
Die Reihe der Hartheim-Konferenzen, die 2007 mit der ersten Tagung unter dem Thema: "Sinn und Schuldigkeit. Fragen zum Lebensende" begann, wurde begründet, um diesem Auftrag der kritischen Analyse gegenwärtiger gesellschaftspolitischer Entwicklungen nachzukommen. Die Tagung findet alle zwei Jahre statt. Zuletzt 2009 wurde das Thema "Ambivalenzen der Biowissenschaften" diskutiert. Bei allen Konferenzen waren Referentinnen und Referenten aus Deutschland, Österreich, Schweden und den USA anwesend. Veranstaltet werden die Internationalen Hartheim-Konferenzen vom Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim und der Stiftung Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim.


Das Thema 2012 - Die Biologisierung des Sozialen
Die diesjährige III. Hartheim-Konferenz beschäftigt sich, ausgehend von dem Hype um Thilo Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab" mit der Frage, ob und wie weit biologische Deutungsmuster sozialer Gegebenheiten in unserer Gesellschaft im Vormarsch sind.

Phänomene wie soziale Schichtung, Intelligenz oder Integration von Migrantinnen und Migranten in den Aufnahmegesellschaften werden - so die These der Hartheim-Konferenz - wieder vermehrt mit dem Rückgriff auf die Biologie, d.h. auf die Annahme genetisch bedingter Verhaltensweisen - zurückgeführt. Biologisierung meint die Erklärung sozialer Phänomene mit "biologischen" Eigenschaften. Diese Erklärungen reduzieren komplexe soziale Sachverhalte, zum Bespiel den Zusammenhang zwischen sozialer Schicht und Bildungsabschlüsse auf eine Ursache, zum Beispiel "Intelligenz". Durch diese Art der Erklärung werden Eigenschaften (zum Beispiel "Dummheit", "Intelligenz", "Fleiß", "Faulheit") in Personen hineingeschrieben - und damit sind dies keine Eigenschaften mehr, die durch eigenen Willen geändert werden, sondern zur Person gehören.

Diese Art der Forschung und die ihr folgende Argumentation stellt damit jegliche Art der staatlich organisierten Unterstützung und Förderung im Bildungs-, Kunst-, und Sozialbereich in Frage, da Personen ja "biologisch" so sind, wie sie sind. Mit den Gefahren dieser Argumentationslinie setzt sich die diesjährige Hartheim-Konferenz auseinander.

Referent/innen 2012:

  • Das Eröffnungsreferat von Prof. Josef Weidenholzer von der Johannes Kepler-Universität Linz setzt sich mit der Entwicklung biologischer Erklärungsversuche von Gesellschaft auseinander, die im 19. Jahrhundert auf den Plan treten und in wechselnder Intensität durch die historischen Epochen feststellbar sind. Gerade in Zeiten krisenhafter wirtschaftlicher Entwicklung treten solche Erklärungsmuster in den Vordergrund.
  • Josef Weidenholzer ist Professor für Gesellschaftspolitik und Sozialpolitik und seit 1998 Vorstand des Instituts für Sozial- und Gesellschaftspolitik der Johannes Kepler-Universität Linz. Seit 1991 ist er Präsident der Volkshilfe Österreich, Präsident der europäischen NGO-Plattform ‚Solidar'. Seine inhaltlichen Schwerpunkte sind Sozialpolitik, Theorien vom Wohlfahrtsstaat, internationaler Vergleich wohlfahrtsstaatlicher Systeme, politische Theorie und politische Kulturen im internationalen Systemvergleich, Theorie und Geschichte sozialer Bewegungen insbesondere der Arbeiterbewegung und die Weiterbildung in Theorie und Anwendung. Er hatte wesentlichen Anteil an der Erarbeitung des theoretischen Konzepts der Ausstellung "Wert des Lebens", die zusammen mit der Gedenkstätte für die Opfer der NS-Euthanasie den Kern des Lern- und Gedenkortes Schloss Hartheim bildet.
  • Lutz Kälber, Professor an der University von Vermont (USA), analysiert die Geschichte der Eugenik in Nordamerika und weist besonders auf die ungebrochene Kontinuität eugenischen Denkens auf dem nordamerikanischen Kontinent hin, wobei die Eugenik durch ihre Verknüpfung mit der "Rassenfrage" (in Bezug auf African Americans und die Native Americans) eine besondere Brisanz erhält.
  • Dozentin Maria Mesner von der Universität Wien untersucht an einem Fallbeispiel - der Eheberatung der Gemeinde Wien in der Zwischenkriegszeit - die ambivalenten Auswirkungen, die von an sich positiv gemeinten Intentionen ausgehen können.
  • Dr. Sebastian Linke von der Universität Göteborg setzt sich in seinem Beitrag mit der Präsenz soziobiologischer Inhalte in deutschen Printmedien wie Spiegel, Süddeutsche Zeitung, FAZ u.a. auseinander und kommt in seiner Inhaltsanalyse zu dem Schluss, dass in diesem Bereich durchaus von einer Renaissance der Soziobiologie gesprochen werden kann.
  • Prof. Thomas Etzemüller von der Universität Oldenburg untersucht das Konzept von Bevölkerung und die aus den Annahmen über die Bevölkerungsentwicklung ("Die Deutschen sterben aus") abgeleiteten gesellschaftspolitischen Strategien.
  • Professorin Margitta Mätzke und Professorin Dr.in Claudia Diehl (Johannes Kepler-Universität Linz bzw. Universität Göteburg) gehen auf die biologistischen Töne in der Unterschichtdebatte ein (Mätzke) bzw. versuchen die Frage zu beantworten, ob und wie biologistische Argumentationsmuster in Bezug auf Zuwanderung empirisch nachweisbar sind (Diehl).
  • Schließlich analysiert Dr.in Nadja Meisterhans von der Universität Gießen biologistische Deutungen religiös-kultureller Unterschiede in Bezug auf die wachsende Islamophobie in der öffentlichen Meinung der BRD.
     
Informationen: http://www.schloss-hartheim.a    
     
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