Erste Tiroler Bildungsenquete zur schulischen Integration   

erstellt am
23. 03. 12

Innsbruck (lk) - „Unser aller Ziel ist die bestmögliche Schulbildung und eine bedarfsgerechte Betreuung und Förderung unserer Kinder – ungeachtet ihrer Fähigkeiten, ihrer Herkunft und ihres sozialen Umfelds. Der Dialog mit Betroffenen sowie mit Expertinnen und Experten hilft, Differenzen zu überwinden, Ängste zu nehmen und Gemeinsamkeiten zu finden“, betonte Bildungslandesrätin Beate Palfrader bei der Eröffnung der Bildungsenquete des Landes am 22.03. Rund 200 TeilnehmerInnen diskutierten unter dem Titel „Integrationspädagogik: Auf dem Weg zu einer Schule für alle?“ über Entwicklungen in der Integrationspädagogik, die Zukunft der Sonderschulen und die Umsetzung eines inklusiven Bildungswesens, das den gemeinsamen Unterricht behinderter und nicht-behinderter Kinder in der Regelschule vorsieht.

Schule für alle
LRin Palfrader sieht die Zukunft der schulischen Integration in Tirol in einer „Schule für ALLE“, in der alle SchülerInnen, also auch Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf (SPF), im Alter von sechs bis zehn Jahren unterrichtet werden. Bei diesem Modell werden die individuellen Fähigkeiten und Bedürfnisse der Kinder besonders berücksichtigt. Es geht dabei vor allem auch um die Erhaltung der hohen sonderpädagogischen Kompetenzen und deren Transfer ins Regelschulwesen. In dieser Schule bleiben alle Fördermaßnahmen und therapeutischen Angebote erhalten. Weiters will LRin Palfrader die Leitung einer Sonderschule und die Beratung sowie die Erstellung der Gutachten personell trennen, um eine unabhängige, einheitliche Vorgehensweise bei der Erstellung von SPF-Gutachten und der Beratung der Eltern zu gewährleisten.

„Um eine bestmögliche Qualität in der Integration und in der Sonderschule anbieten zu können, benötigt man die notwendigen Ressourcen von bestens ausgebildeten Sonderpädagoginnen und -pädagogen“, so der Landesschulinspektor für Sonderpädagogik Josef Federspiel. Die schulische Integration ist auch eine Kostenfrage, weiß LRin Palfrader: „Die vom Bund bereitgestellten Mittel für den sonderpädagogischen Unterricht orientieren sich an den seit Jahren sinkenden Schülerzahlen im Pflichtschulbereich, nicht an der konstanten Zahl der Kinder mit SPF. Der Bund kommt hier seiner Verpflichtung nicht nach.“ Die entstehenden Lücken füllt das Land mit zusätzlichen finanziellen Mitteln aus dem Landesbudget.

Für das laufende Schuljahr schuf das Land zehn zusätzliche Planstellen für den Einsatz von BeratungslehrerInnen, die beispielsweise frühzeitig Lernschwächen oder Verhaltensauffälligkeiten erkennen, individuelle Förderungsmaßnahmen entwickeln und Eltern wie Lehrende bei der Umsetzung beraten. Eine vom Land eingesetzte Arbeitsgruppe befasst sich seit Monaten unter anderem mit Möglichkeiten der Ressourcenoptimierung in der Sonderpädagogik, entwickelt Fort-, Aus- und Weiterbildungsangebote für SchulhelferInnen und Kriterien für die Erstellung von SPF-Gutachten.

Gemeinsam Schritte setzen
„Der Mensch ist mehr als ein Zahnradwerk. Das verlangt nach individuellen Lösungen und damit nach einer Vielfalt im Angebot und größtmöglicher Flexibilität“, ist Sonderschuldirektor und Leiter des SPZ Zams, Peter Lanser, überzeugt. Das sieht auch Marianne Hengl, Obfrau des Vereines „RollOn Austria“, so: „Auf keinen Fall darf eine funktionierende Struktur zerschlagen werden, bevor sichergestellt ist, dass neue Strukturen genauso gut sind.“ Landesschulratspräsident Hans Lintner spricht sich für den Ausbau von Integration und Inklusion aus: „Unverzichtbar ist aber, dass Sonderschulen, wo nötig, weiterhin bestehen bleiben und die Eltern Wahlfreiheit haben.“

„Die Frage aus wissenschaftlicher Sicht ist nicht, ob Inklusion zu bevorzugen ist, sondern wie die schulischen Bedingungen dafür geschaffen werden können", so Volker Schönwiese vom Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Innsbruck. Für Marianne Schulze, Vorsitzende des Monitoringausschusses zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, ist die UN-Behindertenkonvention von 2008 ein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag: „Mit dem inklusiven Bildungsmodell in Reutte hat Tirol ein exzellentes Fundament, auf dem man aufbauen kann und soll.“ Im Außerfern gibt es seit über 16 Jahren keine Sonderschulen mehr. „Inklusion ist prinzipiell pädagogisch sinnvoll und möglich – auch bei Kindern mit sehr schweren Behinderungen“, weiß Roland Astl vom Sonderpädagogischen Zentrum (SPZ) Reutte. „Die Umsetzung der Menschenrechte ist nur möglich, wenn die Politik klare Beschlüsse mit verbindlichen Vorgaben fasst“, so Wolfgang Begus, Obmann von Integration Tirol.

Zahlen und Fakten zur schulischen Integration in Tirol

  • 53.355 Tiroler SchülerInnen der ersten bis neunten Schulstufe besuchen im Schuljahr 2011/2012 in Tirol eine Allgemeine Pflichtschule. Davon benötigen derzeit 2.228 Kinder sonderpädagogische Betreuung. 965 Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf (SPF) werden an den Tiroler Volks- und Hauptschulen sowie an den Neuen Mittelschulen und Polytechnischen Schulen in insgesamt 458 Klassen integrativ unterrichtet.
  • In den 378 Tiroler Volksschulen werden im laufenden Schuljahr 417 Kinder mit SPF, davon 80 mit erhöhtem SPF, gemeinsam mit 27.917 Kindern unterrichtet. Durchschnittlich sitzen circa 17 SchülerInnen in einer der insgesamt 1.635 Volksschulklassen.
  • 21.667 SchülerInnen, darunter 490 Kinder mit SPF und 32 mit erhöhtem SPF, besuchen im Schuljahr 2011/2012 die 106 Tiroler HS/NMS. Rund 20 Kinder sind im Schnitt in einer der insgesamt 1.095 Klassen untergebracht.
  • An den Polytechnischen Schulen werden 26 Kinder mit SPF, davon vier mit erhöhtem SPF, gemeinsam mit 2.091 SchülerInnen betreut. Im Schnitt besuchen rund 21 Kinder eine der 102 Klassen.
  • Die Tiroler Sonderschulen bieten individuell abgestimmten, bedarfsgerechten Unterricht und begleitende therapeutische Angebote. 1.263 Kinder mit SPF, darunter 479 SchülerInnen mit erhöhtem Förderbedarf, werden gegenwärtig in 196 Klassen der 32 Tiroler Sonderschulen betreut. Davon sind sechs Landessonderschulen mit spezifischem Schwerpunkt. Circa sechs SchülerInnen werden im Schnitt in einer Klasse unterrichtet. An den Sonderschulen Telfs (vier Klassen) und Schwaz (zwei Klassen) werden seit Jahren erfolgreich Integrationsklassen im Rahmen eines Schulversuches geführt.
  • 73 BeratungslehrerInnen sind derzeit mit 1.154 Wochenstunden, 593 Stütz- bzw. ZweitlehrerInnen mit 3.852 Wochenstunden für Kinder mit SPF in der Integration an den Pflichtschulen im Einsatz. In den mittleren und höheren Schulen betreuen 30 StützlehrerInnen insgesamt 24 SchülerInnen mit zusätzlichen Fördermaßnahmen.
  • An den 27 regionalen und zwei überregionalen Sonderpädagogischen Zentren in Tirol klären ExpertInnen den SPF ab, erstellen Gutachten, informieren Eltern über die geeigneten Schulformen und Therapieangebote, helfen ggf. beim Schulwechsel, unterstützen LehrerInnen bei der Ausarbeitung der Förderpläne und kooperieren z.B. mit Fördereinrichtungen.
     
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