Viele moderne StädterInnen) schätzen das Dorf in der Stadt   

erstellt am
27. 03. 12

Wien (öaw) - Trotz Zeiten moderner Informations- und Kommunikationstechnologien ist das räumliche Umfeld des Wohnviertels nach wie vor ein wichtiger Ort der gesellschaftlichen Integration. Das geht aus einem aktuellen Forschungsbericht des Instituts für Stadt- und Regionalforschung der ÖAW hervor.

Spielt das räumliche Umfeld des Wohnviertels in Zeiten moderner Informations- und Kommunikationstechnologien noch eine Rolle für gesellschaftliche Integrationsprozesse? Forscherinnen und Forscher des Instituts für Stadt- und Regionalforschung (ISR) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) haben die wahrgenommene Qualität der Nachbarschaftsbeziehungen in Abhängigkeit von der städtebaulichen und sozialen Struktur in drei verschiedenen, aber für Wien typischen Untersuchungsgebieten (Am Schöpfwerk, in der Josefstadt und in Ottakring) untersucht. Die Ergebnisse wurden im ISR-Forschungsbericht „Neighbourhood Embeddedness and Social Coexistence. Immigrants and Natives in Three Urban Settings in Vienna“ publiziert.

Lokal gebundene soziale Netzwerke entscheidend
„Unsere Ergebnisse belegen eindeutig die Bedeutung des Wohnumfeldes als ‚Ermöglichungsraum‘ für ungeplante Begegnungen und Interaktionen und liefern damit eine klare Bestätigung der sozialökologischen Annahmen über die Relevanz des räumlichen Kontextes“, sagen die Studien-Autor(inn)en Josef Kohlbacher, Ursula Reeger und Philipp Schnell. Die Forscher(innen) konnten nachweisen, dass auch moderne Städter(innen) einen klaren Bezug zu ihrem Wohnumfeld haben. Lokal gebundene soziale Netzwerke sind demnach nach wie vor entscheidend für das Ausmaß der nachbarschaftlichen Einbettung. Neben engen Sozialbeziehungen wie Freundschaften oder verwandtschaftlichen Kontakten sind auch die zufälligen und oberflächlichen Kontakte im Wohnumfeld sehr wichtig.

Größte nachbarschaftliche Verbundenheit in der Josefstadt
Im Vergleich der drei Untersuchungsgebiete zeigt sich, dass das bürgerliche Wohnviertel in der Josefstadt (Laudongasse) das höchste Ausmaß an Verbundenheit mit der Nachbarschaft aufweist – unabhängig davon, ob die Bewohner(innen) Zuwanderer sind oder nicht. In den beiden anderen Wohnvierteln ist das Ausmaß der Einbettung in die Nachbarschaft bei weitem geringer als im Grätzl rund um die Laudongasse, wobei sich rund um den Ludo-Hartmann-Platz Migrant(inn)en etwas stärker zugehörig fühlen als Nichtmigrant(inn)en. In der Wohnhausanlage Am Schöpfwerk erzeugen die spezifische bauliche und soziale Situation mit einer unausgewogenen Mischung von armutsgefährdeten in- und ausländischen Haushalten sowie die periphere Lage eher ein Gefühl der Fremdheit. Im zentraler gelegenen Wohnviertel Ludo-Hartmann-Platz, das vom gründerzeitlichen Altbaubestand dominiert wird, ist zwar der Zuwandereranteil mit 63 Prozent (Personen mit Migrationshintergrund) fast doppelt so hoch wie Am Schöpfwerk, trotzdem bewerten beide Bevölkerungsgruppen die Verbundenheit mit dem Wohnviertel und auch die Zufriedenheit mit dem Zusammenleben etwas positiver. „Die Reduktion der Bewertung der Zufriedenheit mit dem Leben vor Ort auf ein Merkmal, nämlich den lokalen Ausländeranteil, ist also eine zu simple Vereinfachung“, betonen die ForscherInnen.

Erste umfassende empirische Untersuchung zum Thema
Bislang fehlten ernsthafte empirische Untersuchungen darüber, in welchem Ausmaß das soziale und infrastrukturelle Umfeld die Integrationsprozesse der zugewanderten und der schon länger oder immer anwesenden Bevölkerung prägen. Mit ihren Ergebnissen belegen die Forscher(innen), dass das Wohnumfeld nach wie vor eine wichtige Rolle für gesellschaftliche Integrationsprozesse spielt und widersprechen damit der ebenfalls diskutierten These, dass das sozialökologische Umfeld in Zeiten, in denen moderne Informations- und Kommunikationstechnologien neue und virtuelle Räume prägen, keinen Einfluss mehr hat.

Der Forschungsbericht basiert auf dem von der EU finanzierten Projekt GEITONIES (Generating Interethnic Tolerance and Neighbourhood Integration in European Urban Spaces), an dem Projektteams aus Bilbao, Lissabon, Rotterdam, Thessaloniki, Warschau und Wien beteiligt sind. Im Rahmen des Projekts wurden 3.600 Interviews mit Personen mit und ohne Migrationshintergrund in den sechs genannten europäischen Städten durchgeführt, 600 davon in Wien. Ziel von GEITONIES ist unter anderem die Erarbeitung eines Empfehlungskatalogs für Entscheidungsträger(innen) aus der Politik.

Publikation
Josef Kohlbacher, Ursula Reeger und Philipp Schnell (2012), Neighbourhood Embeddedness and Social Coexistence. Immigrants and Natives in Three Urban Settings in Vienna. ISR-Forschungsbericht 37, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Wien
     
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