Neue genomweite Assoziationsstudien mit Grazer Beteiligung   

erstellt am
17. 04. 12

Genetische Einflüsse auf Schädel- und Hippocampusvolumen identifiziert
Graz (meduni) - Wachstum, Größe und Schrumpfung des Gehirns sowie wichtiger Hirnregionen werden maßgeblich von genetischen Einflüssen bestimmt. Durch das Aufspüren der beteiligten Genregionen erhoffen sich Wissenschafter tiefere Einblicke in physiologische Abläufe und Krankheitsmechanismen im menschlichen Denkorgan. In zwei genomweiten Assoziationsstudien, an denen auch Forscher der Medizinischen Universität Graz beteiligt waren, gelang es nun, mehrere Genorte zu identifizieren, die mit dem Schädelvolumen und der Größe des Hippocampus, eines Gehirnabschnitts, der unter anderem für den Erwerb neuer Gedächtnisinhalte zuständig ist, in Zusammenhang stehen.

Der hypothesenfreie Ansatz der genomweiten Assoziationsstudien (GWAS) hat die molekularbiologische Forschung in den letzten Jahren revolutioniert: Der Vorteil derartiger Analysen ist, dass man nicht mehr aufwendig nach Kandidatengenen suchen muss, sondern immer wieder auch unerwartet Zusammenhänge findet. Durch Scannen des gesamten Genoms und Vergleich der Genvarianten tausender Menschen konnten bereits zahlreiche krankmachende Gene, Risikofaktoren für Erkrankungen und genetische Einflussfaktoren entdeckt werden. Um eine derart große Zahl von Datensätzen zu bekommen, werden vielfach internationale Konsortien gegründet, in die Forscher aus vielen Ländern ihre Daten einbringen. In einer der beiden nun in der renommierten Zeitschrift "Nature Genetics" veröffentlichten Studien untersuchte das CHARGE1-Konsortium Zusammenhänge zwischen Genvarianten und Schädel- bzw. Hirnvolumen. Die anfänglich enge Beziehung zwischen diesen beiden Größen vermindert sich im Laufe der Lebensspanne durch eine Vielzahl von Umwelteinflüssen und Krankheitsmechanismen, die zu einer mehr oder weniger starken Abnahme des Hirnvolumens führen. Daher spiegeln Schädel- und Hirnvolumen im späteren Leben auch unterschiedliche genetische Einflüsse wider. Analysiert wurden in der GWAS genetische Daten und Magnetresonanz-Bilder von 8.175 älteren Menschen aus sechs großen Kohortenstudien. Univ.- Prof. Dr. Reinhold Schmidt, Neurologische Universitätsklinik Graz, und Univ.-Prof. DDr. Helena Schmidt, Institut für Medizinische Molekularbiologie und Biochemie, Medizinische Universität Graz, brachten in die Studie die Datensätze aus der "Austrian Stroke Prevention Study" (ASPS) ein, in der seit 1991 Befunde aus der Grazer Bevölkerung gesammelt werden. Die Studie ist eine der Gründungskohorten von NeuroCharge, jenem Teil des CHARGE Konsortiums, der sich mit neurologischen Phänotypen beschäftigt.

Während für das Hirnvolumen keine signifikanten genomweiten Assoziationen gefunden wurden, konnten die Forscher zwei Genorte identifizieren, die mit dem Schädelvolumen verknüpft waren. Im Bereich der einen, auf dem langen Arm des Chromosoms 6 gelegenen Region befindet sich ein Gen, das bereits für seinen Einfluss auf die Körpergröße und die Entwicklung des Nervensystems bekannt ist. Der zweite Genort liegt auf einem Abschnitt des Chromosoms 17, der bei einem Teil der Europäer und Asiaten invertiert (=um 180° gedreht) ist. Der Einfluss beider Genorte auf das Schädelvolumen konnte auch in einer zweiten Studie an 1.752 älteren Personen repliziert werden. Bestätigt wurden die Ergebnisse überdies durch eine Untersuchung an über 10.000 Kleinkindern, in der ein Zusammenhang zwischen Genvarianten in der 17q21-Inversion und dem Kopfumfang nachgewiesen wurde. Die 17q21 Inversion spielt möglicherweise eine wichtige Rolle für die Entwicklung einer Reihe neurodegenerativer Erkrankungen einschließlich Alzheimer-Demenz und fronto-temporale Demenz.

Die zweite GWAS, an der die Grazer Forscher beteiligt waren, ging der Frage nach, von welchen genetischen Einflüssen die Größe des Hippocampus, eines der entwicklungsgeschichtlich ältesten Teile des Gehirns, der für die Überführung von Informationen aus dem Kurzzeit- in das Langzeitgedächtnis zuständig ist, mitbestimmt wird. Das Volumen des Hippocampus nimmt während des normalen Alterungsprozesses ab, ein Vorgang, der bei Demenz- und Gefäßerkrankungen noch deutlich beschleunigt ist. Die Hippocampus-Atrophie ist daher auch ein wichtiger biologischer Marker der Alzheimer- Erkrankung. In der ebenfalls vom CHARGE-Konsortium durchgeführten Analyse wurden wiederum genetische Daten und MR-Bilder von 9.232 älteren Menschen ohne Demenz ausgewertet. Dabei wurden vier Genorte entdeckt, die mit dem Hippocampusvolumen assoziiert waren. Zwei der gefundenen Genorte konnten in zwei weiteren Studien mit über 2.000 Teilnehmern und einer Auswertung von Daten des ENIGMA-Konsortiums, das auch Patienten mit kognitivem Abbau beinhaltete, bestätigt werden.

In den gefundenen Regionen liegen Gene, die eine Rolle bei der Apoptose (=programmierter Zelltod), der Migration von Nervenzellen, beim oxidativen Stress und in der embryonalen Entwicklung spielen. Welche engen Beziehungen es möglicherweise zwischen dem Hippocampusvolumen und anderen Krankheitsbildern gibt, lässt sich daraus erahnen, dass einer der Genorte die Produktionsstätte für DPP-4 ist, ein Enzym, dessen Hemmung zu den neuen Ansätzen in der Diabetestherapie gehört. Die Studienautoren glauben, dass die neu gefundenen Zusammenhänge wesentlich zum Verständnis der Mechanismen, die den alters-assoziierten und krankheitsbedingten Volumenveränderungen des Hippocampus zugrundeliegen, beitragen können.

"Genome-wide association studies implicate loci on 6q22 and 17q21 in intracranial volume and early life brain growth": Nature Genetics, published online 15.04.2012,
http://www.nature.com/ng/journal/vaop/ncurrent/full/ng.2245.html
"Common variants at 12q14 and 12q24 are associated with hippocampal volume": Nature Genetics, published online 15.04.2012,
http://www.nature.com/ng/journal/vaop/ncurrent/full/ng.2237.html
     
Informationen: http://www.medunigraz.at    
     
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