Zusehen bei der Geburt eines Elektrons   

erstellt am
15. 05. 12

Elektronische Prozesse in Atomen finden auf unvorstellbar kurzen Zeitskalen statt – Messungen an der TU Wien machen diese Vorgänge nun sichtbar.
Wien (tu) - Ein starker Laserstrahl kann einem Atom ein Elektron entreißen – ein Prozess, der auf einer ungeheuer kurzen Zeitskala abläuft. An der Technischen Universität Wien ist es nun gelungen, diesen Vorgang zeitlich aufgelöst zu untersuchen. Mit einer Genauigkeit von weniger als zehn Attosekunden (zehn Milliardstel einer Milliardstelsekunde) lässt sich beobachten, wie der Laser ein Atom ionisiert und ein freies Elektron „geboren“ wird. Dadurch kann man Informationen über die Elektronen des Atoms erhalten, die bisher völlig unmessbar waren, etwa die zeitliche Entwicklung der Quanten-Phase des Elektrons – der Takt, in dem die Quanten-Wellen schwingen. Die Forschungsergebnisse wurden nun im Fachjournal „Physical Review Letters“ veröffentlicht.

Wellenartige Quanten-Interferenz
Bei den Experimenten werden kurze Laserpulse auf Atome geschossen. Jeder Laserpuls lässt sich als Lichtwelle beschreiben: Die Wellentäler und Wellenberge des Laserpulses fegen über das Atom hinweg, am Ort des Atoms ändert sich daher ständig die Stärke des elektrischen Feldes. Dadurch wird ein Elektron aus dem Atom entfernt, doch wann das geschieht, lässt sich nicht exakt definieren: „Das Elektron wird nicht an einem Zeitpunkt während des Kontaktes mit dem Laserlicht aus dem Atom gerissen – wie in der Quantenmechanik üblich kommt es hier zur Überlagerung verschiedener Vorgänge“, sagt Markus Kitzler vom Institut für Photonik der TU Wien. Ein einzelnes Elektron verlässt das Atom gewissermaßen zu verschiedenen Zeitpunkten – und diese Vorgänge kombinieren sich zu einem Gesamteffekt, ähnlich wie sich einzelne Wellen im Wasser zu einem Wellenmuster überlagern.

„Durch diese quantenmechanischen Wellen-Überlagerungen erhalten wir Information über den Anfangszustand des Elektrons, den es während des Ionisationsprozesses eingenommen hat“, erklärt Joachim Burgdörfer (Institut für Theoretische Physik, TU Wien), dessen Forschungsgruppe bei dem Forschungsprojekt eng mit dem Institut für Photonik zusammenarbeitete.

Auf die Phase kommt es an
Wenn sich, wie in diesem Experiment, Teilchen wellenartig mit sich selbst überlagern, können sich die einzelnen Wellen gegenseitig verstärken oder auch auslöschen. Es kommt auf die Phase der Welle an – auf den Punkt im Verlauf des rasend schnell ablaufenden Wellenzyklus, an dem sich die Welle gerade befindet. „Diese Quanten-Phase ist einer Messung normalerweise kaum zugänglich“, sagt Markus Kitzler. Durch eine Kombination aus hochpräzisen Messungen und aufwändigen theoretischen Berechnungen konnte nun aber Information über die Quanten-Phase des Elektrons gewonnen werden.

Ein Laserstrahl mit zwei Farben
Entscheidend dafür war ein ganz besonderer Laserstrahl, der zwei verschiedene Lichtwellenlängen beinhaltet. Der Laserpuls, der auf das Atom einwirkt, kann genau maßgeschneidert werden. Dadurch lässt sich messen, welche Schwingungsphase (bezogen auf den Takt, den das Laserlicht vorgibt) das Elektron im Atom hatte, bevor es dem Atom entrissen wurde. „Diese Quanten-Phase, die wir nun messen können, liefert auch Information darüber, welche Energie-Zustände das Elektron vor seiner Entfernung aus dem Atom eingenommen hat und wo genau es zur Ionisation kam“, erklärt Markus Kitzler. Dazu war es nötig, die Quanten-Phase mit einer unvorstellbaren Genauigkeit von weniger als 10 Attosekunden zu messen.

Ultrakurze Zeitskalen – weit weg von jeder Alltagserfahrung
Die Zeitspanne von zehn Attosekunden (10*10^(-18) Sekunden) ist so kurz, dass es kaum möglich ist, sie durch Vergleiche nachvollziehbar zu machen. Der Zeitraum von zehn Jahren verhält sich zu einer Sekunde ungefähr wie dreihundert Millionen zu eins. Wenn man eine Sekunde um den selben Faktor verkürzt, kommt man beim bereits unvorstellbar kurzen Zeitraum von drei Nanosekunden an – in dieser Zeit legt Licht etwa einen Meter zurück. Das ist die Skala, auf der Prozesse in der Mikroelektronik ablaufen. Verkürzt man diesen winzigen Zeitraum noch einmal um einen Faktor von dreihundert Millionen, kommt man bei etwa zehn Attosekunden an.

Auf dieser Zeitskala finden viele atomare Prozesse statt – es ist etwa die Größenordnung der Umlaufsdauer eines Elektron, das um den Atomkern kreist. Will man solche Prozesse abbilden oder steuern, muss man daher auch technologisch auf diese Zeitskalen vordringen. An der TU Wien forschen experimentelle sowie theoretische Arbeitsgruppen seit Jahren mit großem Erfolg daran, den Bereich der Femto- und Attosekundenphysik technologisch zugänglich zu machen.
     
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