Die EU-Bewertung makroökonomischer Ungleichgewichte in Österreich   

erstellt am
30. 05. 12

Wien (wifo) - Die Europäische Kommission veröffentlichte im Frühjahr erstmals den Frühwarnbericht über makroökonomische Ungleichgewichte in der EU. Österreich überschreitet in diesem Bericht die Schwellenwerte für drei Indikatoren, von denen einer - Verlust von Weltmarktanteilen - auf ein externes und zwei - überhöhte Staatsverschuldung und überhöhte private Verschuldung - auf ein internes Ungleichgewicht hinweisen. Dennoch veranlasste die Kommission keine eingehende Untersuchung Österreichs in der zweiten Stufe des Verfahrens bei makroökonomischen Ungleichgewichten. Eine Analyse der drei Kennzahlen für Österreich bestätigt diese Entscheidung und legt einige Verbesserungsvorschläge für den Frühwarnbericht nahe.

Makroökonomische Ungleichgewichte wurden als eine der Ursachen der jüngsten Finanzmarkt- bzw. Staatsschuldenkrise identifiziert. Mit dem Verfahren bei makroökonomischen Ungleichgewichten entwickelte die Europäische Union ein weiteres Instrument zur vertieften Koordination der Wirtschaftspolitik, mit dem solche Ungleichgewichte frühzeitig erkannt und korrigiert werden sollen.

Das Verfahren bei makroökonomischen Ungleichgewichten besteht aus einem präventiven und einem korrektiven Arm. Im ersten Schritt des präventiven Arms wird der "Frühwarnbericht" erstellt; erstmals wurde er von der Europäischen Kommission im Februar 2012 veröffentlicht. Er enthält das "Scoreboard", das zehn makroökonomische Indikatoren für alle Mitgliedsländer der EU zusammengefasst. Für jeden Indikator gibt es Schwellenwerte, deren Über- oder Unterschreitung als Hinweis auf das Vorliegen eines makroökonomischen Ungleichgewichtes gilt. Wenn die Europäische Kommission ein Mitgliedsland aufgrund des Scoreboards als gefährdet einschätzt, wird für diese Land die nächste Stufe des Verfahrens - eine eingehende Untersuchung - eingeleitet.

Österreich verletzte im aktuellen Frühwarnbericht die Schwellenwerte von drei Indikatoren:

  • Österreichs Exportmarktanteil schrumpfte 2008/2010 um 14,8% (Schwellenwert: -6%).
  • Die Staatsschuldenquote betrug 2010 72% des BIP (Schwellenwert: 60%).
  • Die Verschuldungsquote des Privatsektors betrug 2010 166% des BIP (Schwellenwert: 160%).


Die Europäische Kommission leitete trotzdem keine eingehende Untersuchung ein, weil der Gesamteindruck des Scoreboards für Österreich keine Risikosituation anzeigt.

Wie die Analyse der drei von Österreich verfehlten Indikatoren zeigt, weisen diese Kennzahlen einige Mängel auf. Der Verschuldungsgrad der öffentlichen Hand kann z. B. durch Ausgliederungen gesenkt werden und enthält keine künftigen ungedeckten Zahlungsverpflichtungen der öffentlichen Hand (z. B. aus öffentlichen Pensionen). Dadurch wird die öffentliche Verschuldung Österreichs im Scoreboard unterschätzt. Andererseits überschätzt die Kennzahl für die Privatverschuldung wegen statistischer Unschärfen (konzerninterne Kredite, Preiseffekte von Wertpapieren, Binnenmarkteffekte) das Risiko für ein internes Ungleichgewicht in Österreich, und der Rückgang der Exportmarktanteile deckt eher den Unterschied zwischen dem raschen Wachstum in den Schwellenländern und dem langsameren in den Industrieländern auf als eine Verschlechterung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit.

Keiner dieser Mängel verschlechtert die Signalwirkung des Scoreboards substantiell, dennoch erzwingen sie eine diskretionäre Interpretation des Frühwarnberichtes und verhindern damit die automatische Überleitung in die zweite Stufe des präventiven Armes. Die Entscheidung über die Fortsetzung des Verfahrens kann erleichtert und besser kommuniziert werden, wenn die Indikatoren und ihre Schwellenwerte makroökonomische Ungleichgewichte glaubhaft

     
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