Getrübte Aussichten für Konjunktur in der Eurozone   

erstellt am
29. 06. 12

BIP der Eurozone schrumpft 2012 mit 0,3 Prozent; für 2013 Wachstum von 0,8 Prozent prognostiziert
Wien (rzbgroup) - „Selbst Spaniens Flüchten unter den Rettungsschirm und der optimalste Wahlausgang in Griechenland bringen keine wesentliche Entspannung im Schuldenkarussell. Nach der Umsetzung von Konsolidierungsmaßnahmen und der Verschlechterung der wichtigsten Wirtschaftsindikatoren ist eine Rezession in weiten Teilen der Eurozone zu erwarten“, berichtet Peter Brezinschek, Chefanalyst der Raiffeisen Bank International AG (RBI) in der quartalsweise erscheinenden Raiffeisen Research-Studie „Strategie Globale Märkte“. Brezinschek geht davon aus, dass die Eurozone 2012 mit einem BIP-Rückgang von 0,3 Prozent schrumpfen wird und erst wieder 2013 mit einem Plus von 0,8 Prozent zum Wachstum zurückfinden wird.

Die aktuellen Entwicklungen in der Eurozone haben weiterhin Auswirkungen auf die Renditen bei Staatsanleihen der peripheren Eurozone-Länder aus. „Während deutsche Staatsanleihen noch in der Sicherheitsgunst der Anleger liegen, bleibt der Renditeaufschlag für Spanien weiterhin kritisch“, so Brezinschek. Auf der Aktienseite rechnet Helge Rechberger, Leiter der RBI-Aktienmarktanalyse, mit einem Aufatmen über die temporäre Beruhigung in Griechenland und Spanien.

„Wachstum statt Sparen“ keine Lösung für Schuldenkrise der Eurozone
Brezinschek ist der Meinung, dass der Ruf einiger Politiker nach „Wachstum statt Sparen“ nicht der richtige Weg für die Eurozone ist: „Diese provokante These ist grundfalsch, weil Sparen Investitionen finanziert und damit langfristiges Wachstum erst ermöglicht.“ Der Raiffeisen-Chefanalyst geht aber davon aus, dass ungeachtet dieser Tatsache die EU mit zum Beispiel Projektbonds für Infrastruktur oder erhöhter Co-Finanzierung von Struktur- und Kohäsionsfondsprojekten in den Euro-Peripheriestaaten einen Kompromiss auf die Beine stellen wird.

Richtungskampf zwischen Deutschland und Frankreich entscheidend für Eurozone
Die Analysten von Raiffeisen Research erwarten, dass nun der spanische Finanzbedarf in den Vordergrund der Diskussionen rücken wird, nachdem ein unmittelbarer Austritt Griechenlands aus dem Euro nicht droht. Besonders spannend wird laut Brezinschek die Rolle Frankreichs: „In den kommenden Wochen wird sich herauskristallisieren, ob Präsident Hollande eine starke Achse mit Deutschland bildet, oder sich als Fürsprecher einer Allianz mit Spanien, Italien und den übrigen Peripheriestaaten etabliert. Dieser Richtungskampf wird entscheidend für die langfristige Ausrichtung der Eurozone.“ Ersteres wäre nach Meinung des Analysten Garant für die Umsetzung einer auf Stabilität und striktem Regelwerk basierenden Fiskalunion – mit Abtretung von Souveränitätsrechten sollten nationale Budgetvorgaben nicht eingehalten werden. Letzteres birgt die Gefahr, dass die Vergesellschaftung der Schulden in der Eurozone rasch vorangetrieben, die Bekämpfung der Ursachen aber tendenziell vernachlässigt wird.


Die Kernprobleme der Eurozone sieht der Raiffeisen Chefanalyst vor allem darin, dass essenzielle Punkte für das Funktionieren eines gemeinsamen Währungsraums bis heute nicht umgesetzt sind. „Die wesentlichen Defizite liegen im Faktum einer einheitlichen Geldpolitik und nunmehr 17 verschiedenen Wirtschafts- und Budgetpolitiken“, erklärt Brezinschek. Er bemängelt aber auch das Fehlen flexibler Arbeitsmärkte und unterschiedlicher Wettbewerbsfähigkeit, die für die Divergenz zwischen der Kern-Eurozone um Deutschland und den Peripherieländern von hoher Relevanz sind.

Der Volkswirt erwartet, dass die Rettungsschirme und die Programme der Europäischen Zentralbank (EZB) als Feuerwehraktionen legitim bleiben, solange strukturelle Reformmaßnahmen nicht ausreichend implementiert oder noch nicht Markt wirksam sind. „Es wird jedoch über das Jahr 2013 hinaus dauern, die Reformanstrengungen fortzusetzen. Gleichzeitig sollte aber auch eine fiskalische Konsolidierung in Europa stattfinden“, so Brezinschek.

EZB wird Liquidität weiterhin hoch halten
Brezinschek geht davon aus, dass die EZB auch in den kommenden Monaten an vorderster Linie bei kurzfristigen Löschvorhaben an den Finanzmärkten stehen wird, sei es durch Senkung des Einlagensatzes für die Banken auf zumindest 0 Prozent, um die hohen Liquiditätspolster der Banken von EUR 750 Milliarden bei der EZB zu mobilisieren, über langfristige Finanzierungshilfen (LTRO) oder ein Wiederaufleben der Staatsanleihenkäufe. „Letzteres ist eine starke Option, damit die spanischen und italienischen Renditen wieder zurückgeführt werden können. Eine Änderung des Hauptrefinanzierungssatzes halten wir dagegen für wenig wahrscheinlich“, berichtet der Experte, der auch in den USA mit einer Liquiditätsschwemme rechnet.

Euro-Wechselkurs relativ stabil
Die Abnahme der Euro-Exit-Gefahr Griechenlands, die Spanien-Thematik und die US-Geldpolitik sind für Brezinschek ein Mix an Faktoren, der den EUR/USD Wechselkurs ziemlich stabil halten sollten: „Eine Bandbreite von EUR/USD 1,20 bis 1,30 mit leichter Tendenz zum oberen Ende erscheint daher im Herbst plausibel. An der EUR/CHF Schranke von 1,20 wird von der Schweizerischen Nationalbank weiterhin festgehalten.“

Deutsche Staatsanleihen bleiben gefragt
Die Renditen deutscher Anleihen liegen auf niedrigen Rekordniveaus. Quer über die Renditekurve bieten allerdings nur Laufzeiten weit über zehn Jahre eine Inflationsabgeltung. Über die Sommermonate rechnen die Analysten von Raiffeisen Research mit einer Fluktuation im Bereich dieser tiefen Renditeniveaus. Sie gehen davon aus, dass deutsche Anleihen als sicherer Hafen weiter gefragt bleiben.

Vor dem Hintergrund der im zweiten Quartal stark angestiegenen Renditeaufschläge italienischer
und spanischer Staatsanleihen ist der Blick der Marktteilnehmer einmal mehr auf die EU-Politik gerichtet. „Die trotz der Bereitstellung von EU-Hilfsgeldern zur Bankenrekapitalisierung zuletzt äußerst steile spanische Zinskurve mit 10-jährigen Renditen weit über 6 Prozent verdeutlicht, dass die bislang gesetzten Schritte der Politik und der EZB nicht ausreichen, um die Marktstimmung nachhaltig ins Positive zu drehen“, erklärt Brezinschek. Da die Politik den Hoffnungen der Investoren auf einen „Masterplan“ seiner Meinung nach auch in den nächsten Monaten nicht gerecht werden dürfte, sieht er vorerst geringes Potenzial für nachhaltig tiefere Renditen bei spanischen und italienischen Staatsanleihen.

Auch bei Unternehmensanleihen ist laut Brezinschek nur für starke Bonitäten ein attraktives Marktumfeld zu erwarten. Darüber hinaus muss mit deutlichen Renditeunterschieden zwischen Anleihen aus den Eurozone-Kernländern und der Peripherie gerechnet werden. „Da wir mit einem Anstieg der Ausfallsraten rechnen, raten wir hier nur zu einer selektiven Vorgehensweise“, erklärt Brezinschek. In Anbetracht des negativen Ratingtrends und erwarteter steigender Ausfallsraten geht der Chefanalyst in den kommenden Monaten nicht von starken Spreadrückgängen aus. „Für das dritte Quartal rechnen wir bei den Spreads von Investment Grade und High Yield Unternehmensanleihen mit stabilen beziehungsweise nur geringfügigen Anstiegen und geben daher eine Neutral-Empfehlung ab“, so Brezinschek. Auf Sicht der nächsten zwölf Monate erwartet er moderate Rückgänge der Risikoprämien und spricht auf Spreadbasis für beide Segmente eine Kaufempfehlung aus.

Kaufempfehlung für Aktien
„Auf den Aktienmärkten konnten sich zwischen Oktober 2011 und April 2012 besonders die US-Aktienindizes behaupten und haben sich deutlich stabiler entwickelt als ihre europäischen oder japanischen Pendants“, erklärt Rechberger. Er erwartet für das dritte Quartal 2012 durch eine tendenzielle Beruhigung der Krise in der Eurozone, weitere liquiditätsstützende Maßnahmen der Notenbanken und eine beginnende Stabilisierung der Konjunkturindikatoren ein Umfeld, das für freundliche Börsen sorgen sollte. „Erst nach den Wahlen wird eine neue, oder vielleicht auch alte, US-Regierung dann mehr in Richtung Haushaltskonsolidierung tun müssen, was das Potenzial der Aktienmärkte dann doch wieder beschneiden dürfte“, so Rechberger, der damit eine Kaufempfehlung für US-Aktien ausspricht.

Aufgrund der nach wie vor angespannten Situation in der Eurozone erwartet der Experte über die kommenden Wochen hinweg noch keinen überproportional starken Anstieg der Aktienmärkte der Eurozone. Er geht allerdings aufgrund der oben genannten Faktoren von einer sichtbaren Erholung bei den wichtigsten Indizes aus.

In Bezug auf Branchen, setzt der Experte klar auf eine zyklische Positionierung und empfiehlt daher eine Übergewichtung des Energie-, Finanz-, Grundstoff-, Industrie- und IT-Sektors, sowie des zyklischen Konsumsektors.

Asset Allocation: Ausgewogene Positionierung von Aktien und Anleihen
„Unser Portfolio setzt sich aus 50 Prozent Aktien, 5 Prozent Immobilien und 45 Prozent Anleihen zusammen“, erklärt Rechberger. Grund dafür ist ein recht ausgeglichenes Verhältnis zwischen Erholungstendenzen und ausstehenden Risken, wodurch er auf eine ausgewogene Positionierung zwischen Aktien und Anleihen setzt.

„Die ausstehenden Risken sind primär in Europa zu finden. Hier sind wir damit konfrontiert, dass sobald ein Krisenherd der Eurozone vorübergehend gelöscht ist – ich denke hier an einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone – schon ein anderer, wie zum Beispiel das spanische Bankenproblem, in den Vordergrund rückt. Daraus ergibt sich ein schwerfälliger Weg aus der Krise, der mit zahlreichen Stolpersteinen gepflastert ist“, analysiert Rechberger. Die womöglich nur vorübergehende Schwäche des US-Arbeitsmarkts und das erwartete Wirtschaftswachstum von real 2,2 Prozent in Japan, das relativ hoch ausfällt, lassen aber ausgehend von diesen Märkten in der zweiten Jahreshälfte auf eine zumindest vorübergehende Beruhigung des Marktsentiments hoffen.
     
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