Eine Generation erinnert sich an ihre Zeit   

erstellt am
13. 09. 12

Widmann: Der Arbeitskreis Seniorenbildung des Salzburger Bildungswerkes startet Zeitzeugenprojekt
Salzburg (lk) - Ein Sprichwort besagt: Wenn ein alter Mensch stirbt, dann ist es, als ob eine ganze Bibliothek verbrennt. Traditionen, Rituale, Sitten und Bräuche verblassen. "Es ist daher wichtig, Erlebtes zu erhalten und zu dokumentieren, im konkreten Fall besonders jenes der Jahrgänge vor 1933", betonte Landesrätin Dr. Tina Widmann am 13.09. bei einem Informationsgespräch. Das Salzburger Bildungswerk startet mit Unterstützung aus dem Ressort von Landesrätin Widmann im Herbst 2012 das umfangreiche Projekt "Das war unsere Zeit! Eine Generation erinnert sich". Im ganzen Land Salzburg werden im Laufe des nächsten Jahres Geschichten, die das Leben schrieb, in Form von Interviews und Videoaufzeichnungen zusammengetragen.

"Der Fokus liegt auf den Geburtsjahrgängen vor 1933. Keine Generation davor hat so viele Veränderungen miterlebt wie die der jetzt über 80-Jährigen", so der Initiator des Projektes, Dr. Alfred Berghammer, Leiter des Arbeitskreises Seniorenbildung. Wie sah es in der Gemeinde aus? Welchen Schulweg mussten Kinder um 1935 zurücklegen? Was erlebten sie im Unterricht? Wie wurde Weihnachten gefeiert? Und was hat sich in den vergangenen siebzig Jahren verändert? Antworten auf diese Fragen liefern subjektive Erinnerungen, die ein besonderes Stück Salzburger Geschichte dokumentieren und für nachkommende Generationen Identität stiftend sind.

Mehr als 200 Seniorinnen und Senioren sollen befragt werden
Das Projekt zielt darauf ab, flächendeckend in jeder der 119 Gemeinden des Landes Salzburg mindestens zwei Zeitzeugen/innen zu befragen. Zudem wird das Projekt dokumentiert und wirkt somit langfristig weiter.

"Die Lebensgeschichten älterer Menschen sind sehr spannend und bereichernd", so die für Familien, Senioren und Gemeindeentwicklung ressortzuständige Landesrätin Widmann. "Sie bringen uns und vor allem die Jugend mit einem Teil der Geschichte unseres Landes in Berührung. Es sind diese Geschichten, die ermutigen und beeindrucken. Es sind fröhliche und traurige Geschichten, sie erzählen von Geschehnissen und einem Alltag, den wir uns kaum vorstellen können. Sie lassen oft nur erahnen, was die Menschen aus dieser Zeit geleistet haben, und sie vermitteln Traditionen und Werte, die nicht alt oder verstaubt sind, wie etwa Freiheit, Verantwortung, Zusammenhalten, Füreinandereinstehen, Ehrlichkeit und Glauben."

Die Gestaltung der privaten und sozialen Gemeinschaften baue wesentlich auf der Solidarität zwischen den unterschiedlichen Generationen auf, dem Prinzip der gegenseitigen Zuwendung und Unterstützung, so Widmann weiter. "Diese Solidarität bleibt nur dort selbstverständlich und spontan lebendig, wo Jung und Alt einander täglich begegnen, miteinander diskutieren, zusammen Dinge erarbeiten und teilen, sich gegenseitig zuhören und sich gegenseitig bereichern. Solche Erfahrungen sind besonders heute relevant und unverzichtbar. Das Projekt trägt dazu bei, den älteren Menschen Respekt und Wertschätzung zu zollen und ihnen die Würde, die sie uneingeschränkt verdienen, zu geben", sagte Widmann, die sich bei Projekt-initiator Dr. Alfred Berghammer, bei Projektkoordinatorin Stefanie Walch, den Zeitzeugen/innen sowie den Partnern Salzburger Landesarchiv, Landesschulrat, ORF Salzburg und Salzburger Nachrichten bedankte.

Stefanie Walch, Projektkoordinatorin und Bildungswerkleiterin aus Hof, setzt damit einen Impuls, der die ältere Generation wachrüttelt, aber auch die jüngeren Generationen anspricht. "Möglichst viele ältere Menschen sollen hinsichtlich ihrer Biografien aktiviert, das Erzählte durch örtliche Archive, Chroniken, Stadt- und Landesarchiv dokumentiert und diese Art der örtlichen Wissens- und Geschichtsspeicherung in Gemeinden als Fixeinrichtung verankert werden", so Walch.

Erstes Erzählcafé am 23. September in Pfarrwerfen
Um in den Gemeinden das Bewusstsein für die Wichtigkeit dieser mündlich überlieferten Geschichte zu wecken, sollen den Befragungen öffentliche Erzählcafés vorangehen. Alle Interessierten sind eingeladen, daran teilzunehmen, zuzuhören oder zu erzählen. Hauptaugenmerk soll dabei nicht auf die gesamte Lebensgeschichte einer Person gelegt werden, sondern auf die Lebensumstände wie zum Beispiel Schule, Arbeit, Wohnen, Kleidung, Nahrung, Krankheit, Feste und Bräuche, Religion etc. Bei dieser ungezwungenen Veranstaltung kommen vielleicht außergewöhnliche Erlebnisse oder Persönlichkeiten, die sich für eine Dokumentation besonders anbieten, zum Vorschein.

Das erste Erzählcafé wird am Sonntag, 23. September, bei der Eröffnung der Bildungswoche in Pfarrwerfen stattfinden. Weitere Termine für Erzählcafés sind am Dienstag, 25. September, in Salzburg-Parsch, am Donnerstag, 27. September, in Kuchl, am Samstag, 27. Oktober, in Hof und am Mittwoch, 14. November, in Göming.

Von großer Bedeutung für das Gelingen des Projektes ist die Hilfe der Bürger/innen als Kontaktpersonen zu den Zeitzeugen/innen in den Gemeinden. Interessierte können mitteilen, ob sie sich eine Mitarbeit in ihrem örtlichen Bildungswerk oder ihrer Gemeinde am Projekt "Das war unsere Zeit!" vorstellen können. Für Anregungen und Informationen steht Projektleiterin Stefanie Walch per E-Mail: stefanie@walch-partner.com zur Verfügung.

Ein Polizist – mein Freund und Helfer
Zeitzeuge Anton Huber berichtet: "Zu Weihnachten 1948 fuhr ich für einen Kurzbesuch von der Schweiz nach Hause. Ich wollte mit meiner Familie feiern, frische Wäsche besorgen und waschen. Die Rückreise gestaltete sich jedoch anders als geplant. An der Grenze in Buchs kam der Grenzpolizist in den Zugwaggon, prüfte meinen Pass und stellte fest, dass mir das Schweizer Wiedereinreisevisum fehlte. Also endete die Fahrt vorläufig für mich. Der Polizist brachte mich mit meinen 17 Jahren in eine Gaststätte zum Übernachten, befragte mich nach dem Zweck meiner Reise, erkundigte sich nach meiner Schule und ob ich über Geld verfüge, um ein Notvisum bezahlen zu können – ich bejahte. Danach verschloss er hinter mir die Zimmertür und kündigte an, mich wieder abzuholen. Ich schlief ziemlich unbesorgt, wurde wieder in die Freiheit entlassen, konnte frühstücken und wurde wieder zur Grenzpolizei gebracht. Dort teilte mir der Polizist mit, er habe alle meine Angaben überprüft, und er konnte mir die Weiterfahrt mittels Notvisum ermöglichen. Ich hatte aber das Gasthaus zu bezahlen und damit reichte mein Geld nicht mehr aus. Da streckte mir der Polizist Jakob Thaler das Geld für das Visum persönlich vor und ließ es mich per Briefmarken in entsprechender Höhe an ihn zurückzahlen. Dieses Entgegenkommen habe ich nie vergessen."

Anton Huber wurde 1931 auf dem Schüttgut in Rauris-Wörth geboren. Er besuchte die Volksschule in Wörth und begann bereits mit 14 Jahren auf dem elterlichen Bauernhof mitzuarbeiten. Zwei Jahre später verschlug es ihn in die Schweiz, wo er eine landwirtschaftliche Schule besuchte und auf einem Gutsbetrieb arbeitete. 1949 kehrte er zurück nach Wörth und schloss erfolgreich die Landwirtschaftsschule Winklhof in Oberalm ab. Anschließend arbeitete er als Lehrer in der Landwirtschaftsschule in Wörth und half am elterlichen Hof mit. 1956 heiratete er seine Frau, mit der er elf Kinder hat. Anfang der 1960er Jahre übernahm Anton Huber den Hof, den er 1998 an eines seiner Kinder übergab. Seit den 1950er Jahren bekleidete Anton Huber zahlreiche öffentliche Ämter, so war er von 1974 bis 1989 Gemeindevertreter und später Vizebürgermeister. Auch bei der Nationalpark-Gründungsphase konnte er mitwirken. Heute lebt er in der Nähe des Schüttgutes in einem Privathaus und erfreut sich bester Gesundheit.

Ausnahmsweise Eierspeis
Zeitzeugin Ilse Friedl berichtet: "Eine Kollegin aus der Dorfschule im Pinzgau und ich wurden eines Tages von einer Bergbäuerin auf ihren Hof eingeladen. Die Bäuerin hatte neun Kinder und musste schwer für den Fortbestand des kleinen Hofes arbeiten und eisern sparen. Zudem war der Hof weit oben auf dem Berg gelegen, und die einfache Wegstrecke der Kinder in die Schule betrug eine Stunde. Meine Kollegin und ich sind nach der anstrengenden Wanderung bei dem Gehöft angekommen. Dort bat uns die Bäuerin in die Stube und hat uns eine Eierspeis zubereitet, die sie in einer großen Pfanne auf den Tisch stellte. Ihre Kinder standen ebenfalls rund um den Tisch und blickten mit großen Augen sehnsuchtsvoll in die Pfanne. Wir haben daher der Bäuerin gesagt, sie möge doch die Eierspeis ihren Kindern geben. Darauf antwortete die Bäuerin: "Insane Kinda segn des gonze Johr koa Oa!" (Unsere Kinder bekommen das ganze Jahr keine Eier.)

Ilse Friedl wurde 1928 geboren und ist hauptsächlich in der Stadt Salzburg aufgewachsen. Sie besuchte die Volks- und Hauptschule in St. Andrä in Salzburg und danach die Lehrerinnenbildungsanstalt in Salzburg. Dort hat sie ihre Ausbildung 1947 mit der Matura abgeschlossen. Anschließend arbeitete sie als junge Volksschullehrerin in der Stadt Salzburg. 1948 wurde sie einem kleinen Dorf im Pinzgau als Lehrerin zugeteilt, wo sie drei Jahre lang unterrichtete. Wieder in Salzburg, gab sie nach ihrer Heirat 1952 ihren Beruf auf, um sich völlig der Erziehung ihrer vier Kinder widmen zu können. Heute lebt Ilse Friedl in der Stadt Salzburg.
     
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