EU-Mitgliedschaft Österreichs 

 

erstellt am
19. 10. 12

Eine Evaluierung in Zeiten der Krise
Wien (wifo) - In Krisenzeiten wird gerne das bisher Vertraute, auch Altbewährte in Frage gestellt. Nach der weltweiten Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise 2008/09, der "Großen Rezession" 2009 und der anschließenden und andauernden Euro-Krise droht die Gefahr des Auseinanderbrechens der Währungsunion. Die anhaltende Schuldenkrise brachte nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine mentale und politische Spaltung des Euro-Raumes in Kern und Peripherie mit sich. Vielfach wurde das gesamte Projekt der gemeinsamen Währung in Frage gestellt. Auch die österreichische Bevölkerung stellt sich zusehends die Frage, ob Österreich nicht ohne EU und Euro (wie etwa die Schweiz) besser durch die Krisen gekommen wäre. Vielleicht hellt die Tatsache, dass der EU der Friedensnobelpreis 2012 verliehen wurde, die Zustimmung zur EU etwas auf. Wie eine aktuelle WIFO-Studie zeigt, schlug sich die Teilnahme an allen Integrationsschritten Europas seit der Ostöffnung 1989 für Österreich in einem zusätzlichen jährlichen Wirtschaftswachstum von 1/2 bis 1 Prozentpunkt nieder.

Vor 20 Jahren hat die EU den Europäischen Binnenmarkt verwirklicht. Österreich nimmt seit 17 Jahren an diesem Kernelement der europäischen Integration teil. Das WIFO nimmt in der soeben erschienen Studie eine Re-Evaluierung der österreichischen EU-Mitgliedschaft vor. Zum einen werden die erzielten Integrationseffekte der immer tieferen EU-Integration Österreichs (Ostöffnung, EU-Beitritt, WWU-Teilnahme, EU-Erweiterung) anhand von Modellergebnissen vorgestellt. Anhand von internationalen Vergleichen (z. B. mit der Schweiz) wird analysiert, ob die EU-Mitgliedschaft in Zeiten der Krise Vor- oder Nachteile gehabt hat und was ein Abseitsstehen von der EU-Integration bedeutet hätte. Dieses Kapitel umfasst auch eine Diskussion über die Euro-Krise, die bisherigen Lösungskonzepte und über die Zukunft der WWU.

Nach den Berechnungen des WIFO hat Österreich auf allen Stufen der Integration ökonomisch profitiert (Ostöffnung BIP-Wachstum +0,2 Prozentpunkte pro Jahr, EU-Mitgliedschaft, d. h. vor allem volle Teilnahme am Binnenmarkt, +0,6 Prozentpunkte, WWU-Teilnahme +0,4 Prozentpunkte, EU-Erweiterung +0,4 Prozentpunkte). Die aus Modellsimulationen abgeleiteten Integrationseffekte für Österreich durch die Teilnahme an allen EU-Projekten seit 1989 entsprechen insgesamt einer Beschleunigung des Wirtschaftswachstums um 1/2 bis 1 Prozentpunkt pro Jahr. In der Regel nehmen die Integrationseffekte über die Zeit ab (Abbildung 1): So brachte etwa die Teilnahme Österreichs am EU-Binnenmarkt wegen des Anpassungsschocks durch Produktivitätssteigerungen anfangs relativ starke positive Impulse, die dann allmählich abflachten.

Die Plausibilität dieser Modellergebnisse wird durch den Vergleich der Wirtschaftsentwicklung Österreichs mit Vergleichsländern in der EU und außerhalb unterstrichen. So entsprach der Wachstumsvorsprung Österreichs vor Deutschland und der Schweiz in seiner Größenordnung ebenfalls den genannten Integrationseffekten. Dieser "Wachstumsbonus" ist ohne die Integrationswirkungen der Teilnahme Österreichs an allen EU-Projekten schwierig bis gar nicht zu erklären. Daraus ergibt sich als deutliche Antwort auf die Frage: "Wäre Österreich ohne EU und Euro besser gefahren?" ein klares Nein!

Obwohl die Euro-Krise die EU-Skepsis - auch in Österreich - vergrößert hat, wünschen sich in Österreich (laut jüngster Umfrage der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik ÖGfE) lediglich 26% der Bevölkerung einen Austritt aus der EU. Zwei Drittel sind für den Verbleib Österreichs in der EU. Trotz krisenbedingter Schwankungen sind die Antworten auf die Frage "Sollte Österreich Ihrer Meinung nach Mitglied der EU bleiben oder wieder austreten?" im langfristigen Durchschnitt (1995/2012) stabil - 71% der Befragten sprechen sich für einen Verbleib in der EU aus und nur 23% für einen Austritt. Die Zustimmung zur EU ist damit sogar größer als anlässlich der Volksabstimmung zum EU-Beitritt am 12. Juni 1994, als 66,6% der Bevölkerung den EU-Beitritt befürworteten und 33,4% dagegen stimmten.

Die Umfrage der ÖGfE anlässlich der Feiern "20 Jahre Binnenmarkt" findet differenzierte, aber grundsätzlich positive Effekte durch die Teilnahme Österreichs am EU-Binnenmarkt und bestätigt damit die Simulationsergebnisse der WIFO-Studie. Auf die Frage "Glauben Sie, dass der Europäische Binnenmarkt bisher Vorteile oder Nachteile mit sich gebracht hat?" antworten die österreichischen Großunternehmen mehrheitlich (59%), dass er große Vorteile gebracht habe, nur 20% sehen geringe Vorteile. Für kleine und mittlere Unternehmen ergeben sich aus dem Binnenmarkt zu nur 17% große und zu 31% geringe Vorteile. Die Konsumenten und Konsumentinnen sehen zu 25% große und zu 34% geringe Vorteile. Für die Arbeitskräfte scheint der Binnenmarkt in Österreich zu nur 16% große, aber zu 31% geringe Vorteile zu haben.

 

 

 

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