Mike Parr. Edelweiß   

erstellt am
17. 10. 12

7. November 2012 bis 24. Februar 2013 in der Kunsthalle Wien Museumsquartier
Wien (kunsthalle wien) - Mike Parr, einer der wohl extremsten Performancekünstler der Gegenwart, hat für seine große Retrospektive in Wien mit Edelweiß einen nur scheinbar harmlosen Titel gewählt: Edelweiß bezeichnet für ihn nicht allein die Alpenblume und damit ein Symbol für österreichisches Heimatgefühl, der Name ist darüber hinaus ein doppelsinniges Wortspiel: im Deutschen klingen die Assoziationen "edler Weißer"/"reines Weiß" an, die phonetische Ähnlichkeit im Englischen ("ideal/idle vice") beinhaltet die Begriffe "ideelles/faules Laster". Ins Zentrum kritischer Betrachtung stellt der Künstler das ideologische Vermächtnis der Moderne. Gleichzeitig äußert er einen grundsätzlichen Zweifel an exklusiven Identitätskonzepten und Denkmodellen, wobei die Kunst als Möglichkeit gilt, den Blickwinkel zu verschieben. Seine Laufbahn begann Mike Parr in den frühen 1970er-Jahren in seiner Heimat Australien. Parallel zu internationalen Bewegungen der Kunst, die den Körper zum Medium und das Ereignis zum Kunstwerk erklärten, provozierte er mit Auftritten, in denen er die Grenzen der eigenen physischen Leistungsfähigkeit bis hin zur Selbstverletzung austestete. Die Ausstellung in Wien ist die erste umfassende monografische Schau von Mike Parr in Europa. Neben einer Auswahl seiner wichtigsten Performances, die in den Medien Video und Fotografie präsentiert werden, zeigt die Kunsthalle Wien Zeichnungen, Druckgrafiken und Skripten in spannungsreichem Dialog dazu

Inspiriert von einem konzeptuellen Werkbegriff und geprägt von einer marxistischen Haltung gegenüber dem Kunstobjekt, stellte Mike Parr um 1970 erste sprachbasierte Arbeiten in der Inhibodress Gallery in Sydney aus. Dieser Offspace, den er gemeinsam mit Peter Kennedy u.a. von 1970 bis 1972 betrieb und bespielte, wurde in Folge zur Keimzelle einer extremen Ausrichtung der Body Art, die - verwandt mit künstlerischen Positionen wie Vito Acconci und Chris Burden sowie den Wiener Aktionisten - der Annäherung von Kunst und Leben im lokalen Kontext eine dynamische Ausprägung gab. Seither fordert Mike Parr ästhetische Normen und gesellschaftliche Verhältnisse kompromisslos heraus: 1977 machte er mit der Aktion Armchop auf sich aufmerksam und schockierte sein Publikum, indem er sich seinen linken Arm - eine Prothese aus Fleisch und Blut - unvermutet abhackte. Die Performance UnAustralian fand 2003 als direkte Antwort auf die Situation von Flüchtlingen in Australien statt: Mike Parr reinszenierte ihre Protesthandlungen und ließ sich den Mund zunähen.

Vom Trauma geprägt, mit nur einem Arm geboren zu sein, geht Mike Parr von der eigenen Identität aus und entfaltet eine gleichzeitig konfrontative und mystische künstlerische Sprache der Radikalität, die um die psychosozialen Dimensionen des Selbst und der Gemeinschaft kreist, um Subjektivität und Erinnerung, um die Frage des Menschseins und die Kontrolle darüber. Mike Parr arbeitet mit Schock, Schmerz, Ekel und Tabu, um das Publikum zu aktivieren und zur Diskussion über Kunst und Ethik anzuregen. Er gräbt in den Arsenalen des Unterbewussten, wo sich moralisches Unbehagen regt, wo sich traumatische Seinserfahrung manifestiert, wo die irrationalen Mechanismen der kollektiven Psyche zum Ausdruck kommen, wo Persönliches und Politisches miteinander verschwimmen.

In den 1980er Jahren wandte sich der Künstler zeitweilig von der Live-Performance ab und begann mit Zeichnung, Druckgrafik und Installation zu arbeiten. Das daraus entstandene umfangreiche Werk an bildnerischen Objekten, das er unter dem Titel The Self-Portrait Project zusammenfasst, reflektiert das Nachdenken über Performance selbst. Aus der Beschäftigung mit dem Selbstporträt, das Mike Parr als prozessuale Form der Eigenanalyse begreift, resultieren perforierte, gebrochene Abbilder, gleichzeitig expressiv und im Zustand der Auflösung

Mike Parr, geboren 1945, lebt und arbeitet in Sydney.

Kuratorin: Synne Genzmer

Begleitend zur Ausstellung erscheint eine Publikation in deutscher und englischer Sprache im Verlag für moderne Kunst Nürnberg; mit Texten von Synne Genzmer, Gregory Wilding, Anne Marsh und Gerald A. Matt. Herausgeber: Kunsthalle Wien, Synne Genzmer. Ca. 220 Seiten, ca. 250 farbige und s/w Abbildungen.
     
Informationen: http://www.kunsthallewien.at    
     
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