Wiener Industriebetriebe sehen Standort Wien unter Druck 

 

erstellt am
16. 11. 12

Konjunktur: Industriebetriebe mit sinkender Produktion, negativer Ausblick trotz derzeit guter Auftragslage - Umfrage: Abgaben, Lohnkosten und Bürokratie sind Probleme
Wien (wkwien) - "Der Industriestandort Wien gerät zunehmend unter Druck - Fehler in der kommunalen Standortpolitik und die schwache Konjunktur sorgen für eine angespannte Stimmung bei den Industriebetrieben. Die größten Probleme sind die behäbige und ausufernde Bürokratie, enorme Gebühren- und Abgaben sowie die Nichtberücksichtigung von Industriezonen in der Stadtplanung (Industriezonen sind innerhalb von zehn Jahren um 16 % geschrumpft)", sagte Brigitte Jank, Präsidentin der Wirtschaftskammer Wien, bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Industrie-Spartenobmann Stefan Ehrlich-Adám, bei der eine aktuelle Studie der Karmasin Motivforschung zum Industriestandort Wien präsentiert wurde.

Schwache Konjunktur wirkt auf Industrie In einer aktuellen Konjunkturumfrage warnt die Wiener Industrie vor der schwierigen Lage: Die Produktion sinkt, die Lagerbestände sind vergleichsweise groß bis zu groß - die Grundstimmung liegt deutlich im negativen Bereich. Stärkstes Signal für eine Eintrübung der Konjunktur ist die negative Einschätzung der Geschäftslage in den kommenden Monaten. Trotzdem ist die Auftragslage gut: Die Kapazitäten der Betriebe sind mit 83 Prozent derzeit gut ausgelastet. Die Produktion ist für durchschnittlich fünf Monate gesichert - in Zeiten guter Konjunktur sind es jedoch acht, neun Monate. Für die kommenden Monate kann man von einem im Großen und Ganzen stabilen Beschäftigtenstand ausgehen. Außerdem werden die Verkaufspreise in nächster Zeit leicht anziehen.

Umfrage zeigt Verschlechterung bei Standortqualität Die Umfrage zum Industriestandort Wien wird alle zwei Jahre durchgeführt. Vergleicht man die aktuellen Umfrageergebnisse mit jenen aus dem Jahr 2010 kommt man zu dem Schluss, dass die Standortvorteile bei den Industriebtrieben nicht mehr so gut ankommen:

  • Für 68 % der Industriebetriebe ist die Lebensqualität ein Standortvorteil (2010: 79 %)
  • Für 67 % ist die Hauptstadtfunktion Wiens ein Standortvorteil (2010: 67 %)
  • Für 66 % ist die Nähe zu den Ostmärkten (außerhalb der EU) vorteilhaft (2010: 68 %)
  • 61 % sehen in der generell guten Infrastruktur einen Vorteil (2010: 76 %)
  • Für 60 % ist die internationale Anbindung über den Flughafen Wien ein Vorteil (2010: 70 %)
  • Nur noch 47 % der Industriebetriebe erachten die hohe Kaufkraft als Vorteil (2010: 60 %)


Bei den Standortnachteilen überwiegen nach wie vor die hohen Betriebskosten und Abgaben gleichauf mit hohen Lohnkosten (je 66 %). Auch die hohen Grundstückspreise (60 %), die übersteigerte Bürokratie (55 %) sowie der Facharbeitermangel (46 %) sind für die Industriebetriebe entscheidende Standortnachteile Wiens.

Betriebsverlagerungen Laut Umfrage haben rund 13 % der rund 800 klassischen Wiener Industrieunternehmen in den letzten zwei Jahren zumindest Teile ihres Betriebs an einen anderen Standort außerhalb Wiens verlagert. Während rund 40 % der Unternehmen ihre Betriebsteile hauptsächlich nach Niederösterreich verlagern, gehen 60 % direkt ins Ausland. Hauptgrund für Betriebsabsiedlungen sind allgemeine Kostenvorteile gegenüber dem Standort Wien. Am häufigsten wird die Produktion verlagert, aber auch Forschungsabteilungen, Personaladministration oder IT-Services wandern aus Wien ab. In naher Zukunft können sich immerhin 8 % der befragten Industrieunternehmen eine Standortverlegung vorstellen - dabei wird neben den Kostenvorteilen auch die übermäßige Bürokratie in Wien ins Treffen geführt.

Politik muss zur Sicherung der Wiener Industrie einlenken Spartenobmann Ehrlich-Adám stellte bei der Pressekonferenz ein Arbeitsprogramm für eine starke Wiener Industrie vor, das gemeinsam mit den Industriebetrieben erarbeitet wurde. "Um den Industriestandort Wien abzusichern, sind wesentliche Verbesserungen bei Verwaltung, Bildung und Infrastruktur notwendig", sagt Ehrlich-Adám.

  • So fordern die Industriebetriebe beispielsweise einen One-Stop-Shop, der gegenüber den Unternehmen als zentraler Ansprechpartner für alle betrieblichen Fragen und Anträge agiert. Bisher ist es notwendig, seine Anliegen bei verschiedenen Stellen und Magistratsabteilungen einzubringen.
  • Die Begleichung der fälligen Betriebsgebühren und -abgaben soll künftig mittels einer einzigen Abrechnung und Überweisung möglich sein. Derzeit sind mehrere Transaktionen notwendig, um etwa Kommunalsteuer und Dienstgeberabgabe der Gemeinde Wien abzuführen.
  • Zudem muss die Politik endlich bei der Vereinfachung von Gesetze und Verordnungen einlenken. Aktuell gibt es mehr als 8000 Landesgesetze und Verordnungen, die selbst für versierte Juristen nur schwer zu überblicken sind.
  • Auch bei der Gebührenlast fordern die Industriebetriebe mehr Augenmaß: Erst Anfang dieses Jahres wurde die U-Bahnsteuer auf einen Schlag um 180 % erhöht. Das bedeutet, dass ein Industriebetrieb mit 250 Mitarbeitern schlagartig um knapp 17.000 Euro pro Jahr mehr für diese europaweit einzigartige Kommunalsteuer bezahlen muss. Dabei sind viele Wiener Industriebetriebe für die Mitarbeiter ohne Auto nur schwer oder gar nicht zu erreichen. Gleichzeitig spricht sich Ehrlich-Adám für eine industriefreundliche Gestaltung der Gebührenpolitik.
  • Immer noch kritisch ist die Lage am Arbeitsmarkt für Fachkräfte, weil viele Unternehmen Schwierigkeiten haben, qualifizierte Spezialisten zu rekrutieren. Die Industriebetriebe fordern deshalb eine Bildungsoffensive, die vor allem auf ein effizientes, realitätsnahes Schulsystem mit einheitlichen Bildungsstandards abzielt.
  • Auch der Ausbau der Infrastruktur ist rasch voranzutreiben. Dazu zählen die Fertigstellung der Nord-Ost-Umfahrung und der Ausbau der Bahn- und Schnellstraßenverbindung nach Bratislava.

 

 

 

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