Internationale Forschung zur Bluterkrankheit mit
 Grazer Beteiligung im NEJM veröffentlicht

 

erstellt am
19. 02. 13
14.00 MEZ

Kein Unterschied in der Hemmkörperbildung zwischen plasmatischen und gentechnischen Präparaten
Graz (medunigraz) - Das Forschungsnetzwerk PedNet ist ein Zusammenschluss der führenden Zentren Europas, die sich mit der Bluterkrankheit beschäftigen, zu denen auch die Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der Medizinischen Universität Graz zählt. Eines der größten Probleme, mit denen sich die Forscher beschäftigen liegt darin, dass die Patienten während der Behandlung Antikörper gegen die verabreichten Gerinnungsfaktoren entwickeln. Die Bedeutung dieser Thematik unterstreicht nun eine Veröffentlichung im renommierten New England Journal of Medicine, in der die Wissenschafter der Frage nachgingen, ob die Immunogenität der für die Blutgerinnung verantwortlichen Faktor VIIIPräparate von deren Herstellungsprozess abhängt.

Die Hämophilie A ist eine angeborene Störung der Blutgerinnung, die fast ausschließlich das männliche Geschlecht betrifft. Ursache ist ein Mangel an Faktor VIII, einem essentiellen Bestandteil des endogenen Gerinnungssystems. Unbehandelt kommt es bei den Patienten nicht nur zu verlängerten Blutungen nach Verletzungen, sondern auch zu Spontanblutungen in Muskulatur und Gelenken, die über kurz oder lang zu irreversiblen Schäden und Bewegungseinschränkungen führen.

Die Erkrankung lässt sich heute durch die intravenöse Substitution des fehlenden oder defekten Faktors VIII sehr gut behandeln. Für die Prophylaxe wird das Faktorkonzentrat in der Regel dreimal pro Woche verabreicht, bei Bedarf werden zusätzliche Dosen gegeben. Die Gerinnungsfaktoren werden entweder aus menschlichem Plasma gewonnen oder gentechnisch erzeugt. Obwohl mittlerweile ein Infektionsrisiko durch Plasmapräparate praktisch ausgeschlossen werden kann, entscheidet sich die überwiegende Zahl der Patienten oder deren Eltern in Österreich heute für rekombinante (=gentechnisch hergestellte) Faktor VIII-Konzentrate. In Schwellen- und Entwicklungsländern bilden aber nach wie vor plasmatische Faktorkonzentrate das Rückgrat der Versorgung. Die schwerwiegendste Komplikation der Behandlung ist die Entwicklung von Antikörpern gegen die verabreichten Gerinnungsfaktoren. Die Hemmkörper, die bei etwa 25% der Patienten auftreten, führen dazu, dass die Substitutionstherapie unwirksam wird. Meist ist es zwar möglich die Hemmkörper durch Erzeugung einer Immuntoleranz wieder zu eliminieren, diese Therapie, bei der über Monate zweimal täglich sehr hohe Dosen Faktor VIII verabreicht werden müssen, ist allerdings sehr teuer und für die Patienten ziemlich belastend. Umso wichtiger ist die Frage, ob die Entstehung von Hemmkörpern durch das therapeutische Vorgehen beeinflusst werden kann.

Da es sich bei der schweren Hämophilie um eine seltene Erkrankung handelt (Häufigkeit 1:10.000 im männlichen Geschlecht), ist es für einzelne Forschergruppen oft schwer, die für aussagekräftige Studien erforderlichen Fallzahlen zu erreichen. Aus diesem Grund haben sich die führenden Hämophilie-Forschungszentren Europas vor zehn Jahren zum Exzellenznetzwerk PedNet (European Paediatric Network for Haemophilia Management) zusammengeschlossen. Teil dieses Netzwerks ist auch die Klinische Abteilung für allgemeine Pädiatrie der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde an der Medizinischen Universität Graz. Das Team um Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Muntean hat sich vor allem mit der Erforschung der biochemischen Grundlagen der Hämophilie und der Neugeborenen-Blutstillung international einen Namen gemacht.

Eines der wichtigsten Projekte von PedNet ist die vor acht Jahren ins Leben gerufene Forschungsdatenbank. Im PedNet Registry werden die Daten von 29 Hämophilie-Zentren aus 16 Europäischen Ländern, Kanada und Israel gesammelt und ausgewertet. Die großen Datenmengen sollen helfen, bisher ungelöste Fragen in der Hämophiliebehandlung zu klären. Ein erstes Ergebnis wurde nun im New England Journal of Medicine veröffentlicht. "In unserer Studie sind wir der Frage nachgegangen, ob die Art der Behandlung eine Auswirkung auf die Hemmkörperbildung hat", berichtet Koautor Prof. Muntean. "Sind gentechnisch erzeugte Faktorpräparate tatsächlich immunogener, wie von manchen Forschern postuliert wurde? Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang der in Plasmapräparaten enthaltene von-Willebrand-Faktor? Erhöht der Wechsel zwischen verschiedenen Präparaten die Wahrscheinlichkeit der Hemmkörperbildung?" Ausgewertet wurden in der Arbeit die Daten von 574 Kindern, die in den Jahren 2000-2010 geboren wurden. Im Untersuchungszeitraum entwickelten 177 Patienten Faktor VIII-Antikörper, davon 116 einen klinisch relevanten hohen Hemmkörper-Titer. Das wichtigste Ergebnis: Gentechnische Faktorkonzentrate führten nicht häufiger zur Hemmkörperbildung als Plasmapräparate. "Damit können wir uns bei der Wahl der Therapie erstmals auf umfangreiche Daten berufen", unterstreicht Prof. Muntean die Bedeutung dieser Studie. "Die positive Nachricht für Schwellenländer ist, dass Plasmapräparate in dieser Hinsicht nicht schlechter abschneiden." Gezeigt werden konnte auch, dass der unterschiedliche Gehalt des von-Willebrand-Faktors in den verschiedenen Plasmapräparaten keine Auswirkungen auf das Hemmkörperrisiko hat. Eine weitere gute Nachricht ist, dass der Wechsel zwischen verschiedenen Präparaten die Wahrscheinlichkeit einer Hemmkörperbildung offensichtlich nicht erhöht.

Warum manche Patienten Antikörper gegen Gerinnungsfaktoren bilden, ist nach wie vor ungeklärt. Die Wahl des Präparates scheint kein entscheidender Faktor zu sein. Spielt die Behandlungsstrategie in diesem Zusammenhang eine Rolle? Sollen die Kinder früher oder später therapiert werden, anfänglich nur einmal oder gleich dreimal pro Woche? Diese und ähnliche Fragen wollen die Forscher nun in weiteren Studien mit Daten aus dem PedNet Registry beantworten.

 

 

 

Informationen: http://www.medunigraz.at

 

 

 

 

 

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