Watzlawick-Ehrenring an Walter Thirring

 

erstellt am
05. 04. 13
14.00 MEZ

Der Wiener Mathematiker, Physiker und Philosoph wurde gestern Abend im Rathaus von der Ärztekammer für Wien ausgezeichnet
Wien (rk) - Walter Thirring feiert am 29. April seinen 85. Geburtstag und sprüht immer noch vor geistreichen Überlegungen über Gott und die Welt. Er zählt zu den bedeutendsten österreichischen Naturwissenschaftern der Gegenwart und hat die moderne Physik, insbesondere die Quantenphysik, stark beeinflusst. Er traf in Princeton Albert Einstein persönlich, forschte unter anderem an den Universitäten in Wien und Bern sowie am europäischen Forschungsinstitut für Teilchenphysik CERN in der Schweiz. Trotz dieses beeindruckenden Lebenslaufs gilt Thirring als bescheiden und nachsichtig. Auf ersteres weist auch der Titel seines bisher letzten Buches "Ein barfüßiger Gelehrter erinnert sich" hin, das eine Art Lebensrückblick darstellt. Dem zweiten Attribut wurde Thirring, im Rahmen der diesmal von philosophischen Fragen geprägten Wiener Vorlesung am Abend des 03.04. gerecht. Diese leitete er mit den Worten ein: "Machen Sie sich nichts daraus, wenn Sie nicht alles verstehen, es geht mir genauso". Dabei stellte er sich bemerkenswert darauf ein, dass ihm im gut gefüllten Festsaal des Wiener Rathauses "Normalsterbliche" zuhörten und keine ausgebildeten Physiker, Philosophen oder Theologen. Als solcher wurde er von der Jury des Watzlawick-Ehrenrings bezeichnet und wählte daher eine Bibelstelle aus dem Johannes-Evangelium, an der Pontius Pilatus von Jesus wissen wollte, was denn die Wahrheit sei. Diese Frage schlug für Thirring die Brücke zu Paul Watzlawick, der wiederum fragte, wie wirklich die Wirklichkeit ist. Thirrings Antwort auf Pilatus war am Ende: "Die Wahrheit ist etwas, das auch in 2.000 Jahren seine Richtigkeit hat. Aber das konnte Jesus freilich nicht antworten.

Spannende Wanderjahre eines Gelehrten
Walter Thirring ist sich immer der Tatsache bewusst, dass Wissenschafter ständig mit der Frage nach der wirklichen Wirklichkeit konfrontiert sind, an die sie sich aber nur stückweise heran tasten können. Besonders seine "Wanderjahre" zeugen davon. "Als junger Mann arbeitete er unter Albert Einstein, Erwin Schrödinger, Werner Heisenberg und Wolfgang Pauli. Er leistete Pionierarbeit in der Quantenfeldtheorie, schrieb das erste Lehrbuch über Quantenelektrodynamik und ein maßgebendes Werk zur Mathematischen Physik. Walter Thirring ist der bedeutendste österreichische Gelehrte auf dem Gebiet der Theoretischen Physik", so die Begründung der Jury des Paul Watzlawick-Ehrenringes der Ärztekammer für Wien, die Walter Thirring einstimmig zum nunmehr fünften Preisträger gekürt hat. In den Jahren zuvor wurden der Architekturexperte Friedrich Achleitner,der Kulturphilosoph Rüdiger Safranski, die Kulturanthropologin Aleida Assmann und der Soziologe Peter L. Berger mit dem Ehrenring der Wiener Ärztekammer bedacht. Für die Stifterin ist es "Zeichen unseres Engagements für den Dialog zwischen Medizin und Ethik, und eine Humanisierung der Medizin". Der Paul Watzlawick Ehrenring wird alle zwei Jahre vergeben und ist eine der renommiertesten Wissenschaftsauszeichnungen im deutschen Sprachraum.

"Ein Vorbild für alle"
Walter Dorner, ehemaliger Präsident der Wiener Ärztekammer, betonte seine tiefe, persönliche Freude über den Ehrenring-Preisträger 2013: "So wie sich Walter Thirring Gedanken über die Schöpfung und die Geheimnisse des Schöpfers macht, so müssen wir Ärzte uns überlegen, was wir wie tun und welche Erkenntnisse wir der Menschheit geben können." Vor allem beeindruckten Dorner "Thirrings tiefer theologischer Ansatz, seine Humanität und die Schärfe seiner naturwissenschaftlichen Erkenntnis: Ein Diagnostiker, wie er auch für uns Ärzte ein Vorbild ist." Im Geiste Paul Watzlawicks, des großen österreichischen Psychoanalytikers und Kommunikationswissenschafters werden damit herausragende Wissenschafter ausgezeichnet, die über "den Tellerrand der Disziplinen hinaus denken, sich in ihrem Leben für eine humane Gesellschaft einsetzen und Forschung und Wissenschaft an ein breites Publikum mitteln können." Eine Brücke zwischen diesen beiden bedeutenden Denkern, die "Vorbilder für uns alle und die nächste Generation sind", schlug auch Laudator Helmut Rauch, seines Zeichens Kernphysiker. Thirring habe die Mathematische Physik als Disziplin etabliert und versucht, mit rein mathematischen Mitteln unsere Existenz verständlich zu machen. Aber Thirring habe auch, ebenso wie Watzlawick, seine Ideen effizient und verständlich kommuniziert.

Wiener Denker
"Er ist einer der wenigen, die ständig die Grenzen ihres Faches ausgelotet haben, interdisziplinär forschten und nachhaltigen Einfluss auf die moderne Physik ausüben, insbesondere in der Quantenphysik", so der Vorsitzende der Jury, Hubert Christian Ehalt.

Konstruktivisten wie Watzlawick würden dazu auffordern, im Moment, in der Gegenwart zu sein. Das Motto der Wiener Vorlesung "Faust hat die falsche Frage gestellt" bezieht sich darauf. Denn es müsse nicht gefragt werden, was die Welt im Innersten zusammen hält, sondern es sei zu hinterfragen, was das Geheimnis sei, dass sie nicht auseinanderbricht. "Vor allem Persönlichkeiten wie Watzlawick und Thirring sind es, die dazu beitragen, dass Wien zur ersten Innovationsstadt gewählt wurde", so Ehalt, der mit den Worten schloss: "Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann".

 

 

 

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