Verfassungsausschuss ebnet Weg für Gesetzesbeschwerde
Wien (pk) - Verfahrensparteien in Zivil- und Strafverfahren können sich künftig direkt an den
Verfassungsgerichtshof wenden, wenn sie der Meinung sind, dass im Verfahren anzuwendende Gesetze verfassungswidrig
sind. SPÖ, ÖVP und FPÖ haben sich nach mehrmonatigen Verhandlungen auf einen Gesetzentwurf zur Einführung
der so genannten "Gesetzesbeschwerde" verständigt. Damit wollen die Abgeordneten nicht nur den Rechtsschutz
für die BürgerInnen ausbauen, sondern auch die Rechtsbereinigungsfunktion des Verfassungsgerichtshofs
stärken. Der auf Basis eines FPÖ-Antrags erarbeitete Gesetzesvorschlag ist bereits auf dem Weg ins Plenum
des Nationalrats, der Verfassungsausschuss gab am 04.06. grünes Licht.
Grüne und BZÖ lehnten den Entwurf vorläufig ab - sie sehen noch einige offene Punkte. Ausschussvorsitzender
Peter Wittmann (S) hofft aber, die Bedenken der beiden Oppositionsparteien bis zur Abstimmung im Nationalrat noch
ausräumen zu können und zeigte sich über das "Feintuning" des Gesetzentwurfs gesprächsbereit.
Gespräche sollen Anfang nächster Woche stattfinden.
Voraussetzung für die Anrufung des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) soll dem nunmehr vorliegenden Entwurf zufolge
das Vorliegen eines erstinstanzlichen Urteils sein. Damit knüpfen die Abgeordneten an einen Vorschlag der
FPÖ-Abgeordneten Peter Fichtenbauer und Harald Stefan ( 2227/A) an. Der "Parteienantrag auf Normenkontrolle"
ist demnach gleichzeitig mit der Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zu stellen, nur in Ausnahmefällen
kann man sich auch später noch an den VfGH wenden. Die Bestimmungen gelten analog auch bei vermeintlich gesetzeswidrigen
Verordnungen. Bestimmte Materien bleiben allerdings von der Gesetzesbeschwerde ausgenommen, welche das genau sind,
soll in einem einfachen Gesetz geregelt werden. Dieses noch zu erarbeitende Bundesgesetz hat auch die Folgen für
den Fall zu bestimmen, dass der VfGH der Gesetzes- bzw. Verordnungsbeschwerde stattgibt.
Wie bei Individualbeschwerden kann der Verfassungsgerichtshof bei unzureichender Erfolgsaussicht die Behandlung
einer Gesetzesbeschwerde ablehnen.
Was die geplanten Ausführungsbestimmungen zur "Gesetzesbeschwerde" betrifft, haben die Koalitionsparteien
und die FPÖ in Form einer Entschließung bereits einige Eckpunkte vorgegeben. So ist eine Viermonatsfrist
vorgesehen, innerhalb derer der Verfassungsgerichtshof über die Ablehnung einer "Gesetzesbeschwerde"
entscheiden soll. Das ordentliche Gerichtsverfahren soll während dieser viermonatigen Frist nicht unterbrochen
werden. Für offenkundig mutwillige oder in bloßer Verzögerungsabsicht gestellte Parteienanträge
auf Normenkontrolle stellen die Abgeordneten eine "angemessene" Mutwillensstrafe in Aussicht.
Als Beispiele für Ausnahmen von der Gesetzesbeschwerde führt die Entschließung ausdrücklich
Provisorialverfahren, strafrechtliche Ermittlungsverfahren und Angelegenheiten des Exekutions- und Insolvenzrechts
an. Jedenfalls soll sichergestellt werden, dass der Zweck des ordentlichen Gerichtsverfahrens nicht unterlaufen
werden kann. In Kraft treten sollen die neuen Verfassungsbestimmungen mit 1. Jänner 2015, bis dahin soll auch
das Ausführungsgesetz beschlossen sein.
Koalitionsparteien wollen Grüne und BZÖ noch überzeugen
Im Rahmen der Debatte äußerte Abgeordneter Peter Fichtenbauer (F) "große Freude" darüber,
dass das Rechtsschutzsystem in Österreich nun entscheidend ausgebaut wird. Die juristische Welt sei in Bezug
auf die Gesetzesbeschwerde ziemlich gespalten, meinte er, vor allem die Vertreter der ordentlichen Gerichtsbarkeit
hätten sich gegen deren Implementierung gesträubt. Fichtenbauer glaubt allerdings nicht, dass das neue
Rechtsschutzinstrument, wie befürchtet, zu Verfahrensverzögerungen führen wird, und zeigte sich
überzeugt, dass die Realität die kritischen Stimmen widerlegen wird.
Die Abgeordneten Daniela Musiol (G) und Herbert Scheibner (B) sehen allerdings noch nicht alle Bedenken ausgeräumt.
Die Grünen würden sich nach wie vor grundsätzlich zur Einführung der Gesetzesbeschwerde bekennen,
sagte Musiol, es wäre aber sinnvoll gewesen "noch eine kurze Begutachtungsschleife einzuziehen",
um offene Punkte zu klären. Sowohl Musiol als auch Abgeordneter Scheibner sind der Meinung, dass die Ausnahmeermächtigung
zu weit gefasst ist, sie fürchten, dass die Gesetzesbeschwerde durch zu viele Ausnahmen ausgehöhlt werden
könnte. Für Musiol ist es außerdem nicht einsichtig, warum strafrechtliche Ermittlungsverfahren
ausgenommen werden sollen und wozu es eine Mutwillensstrafe braucht.
Ausdrücklich begrüßt wurde von Scheibner die von Ausschussobmann Peter Wittmann und ÖVP-Verfassungssprecher
Wolfgang Gerstl bekundete Bereitschaft, über das "Feintuning" des Gesetzesentwurfes Anfang nächster
Woche nochmals zu verhandeln. Nach Meinung von Wittmann führt allerdings kein Weg daran vorbei, zentrale Ausführungsbestimmungen
in einem eigenen Gesetz und nicht in der Verfassung zu verankern. In der Verfassung gebe es nirgends bestimmte
Fristen, argumentierte er. Die Gefahr, dass einfachgesetzlich zu viele Ausnahmen von der Gesetzesbeschwerde verankert
werden, sieht Wittmann nicht, darüber werde der Verfassungsgerichtshof sicher wachen.
Auf einzelne Adaptierungen am Gesetzentwurf hoffen nicht nur Grüne und BZÖ, sondern auch SPÖ-Abgeordneter
Johannes Jarolim. Es komme ihm komisch vor, dass erstinstanzliche Gerichte keinen Gesetzesprüfungsantrag an
den VfGH richten dürfen, Verfahrensparteien aber schon, meinte er. Zudem wünscht er sich eine ausdrückliche
Feststellung von Seiten des Parlaments, dass die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs über eine Gesetzesbeschwerde
vor dem OGH-Urteil vorliegen soll. Abgeordneter Fichtenbauer hielt dazu fest, er gehe davon aus, dass Gerichtsverfahren
in der Praxis erst nach einer VfGH-Entscheidung fortgesetzt werden.
Sowohl der Gesetzentwurf als auch die Entschließung wurden mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP und FPÖ
angenommen. Zuvor hatte Abgeordneter Fichtenbauer einen in der letzten Sitzung eingebrachten Abänderungsantrag
zu seinem Antrag formal wieder zurückgezogen.
Durch den Beschluss des überarbeiteten FPÖ-Antrags sind zwei ursprüngliche Fünf-Parteien-Anträge
zur Gesetzesbeschwerde miterledigt. Gleiches gilt für einen weiteren FPÖ-Antrag aus dem Jahr 2009. Die
beiden Fünf-Parteien-Anträge hatten eine Anrufung des VfGH erst nach einem letztinstanzlichen Gerichtsurteil
vorgesehen und damit Befürchtungen hervorgerufen, der Verfassungsgerichtshof könne Entscheidungen des
OGH künftig aushebeln und somit zu einer Art "Supergerichtshof" aufgewertet werden. Abstand nahmen
die Abgeordneten auch von Überlegungen, mit der Einführung der Gesetzesbeschwerde die Möglichkeit
der Bescheidbeschwerde (Art. 144 B-VG) aus der Verfassung zu streichen und damit die Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofs
in Verwaltungsverfahren zu beschneiden.
Verwaltungsgerichte: Verfahrens- und Ausführungsgesetz werden adaptiert
Einstimmig vom Verfassungsausschuss angenommen wurde ein Gesetzentwurf der Koalitionsparteien, mit dem, rechtzeitig
vor dem Inkrafttreten, diverse Redaktionsversehen in den Anfang dieses Jahres beschlossenen Ausführungs- und
Verfahrensgesetzen zur Neuregelung der Verwaltungsgerichtsbarkeit beseitigt und legistische Klarstellungen vorgenommen
werden sollen. So wird etwa die Bestimmung über die örtliche Zuständigkeit für Verwaltungsgerichtsverfahren
auf Wunsch der Länder neu formuliert. Bei der Abstimmung wurde auch eine Druckfehlerberichtigung berücksichtigt.
Ein Bericht der Bundesregierung betreffend die rechtliche Stellung von Legalparteien wurde vom Ausschuss mit den
Stimmen der SPÖ, der ÖVP und des BZÖ zur Kenntnis genommen. Im Bericht wird die Bedeutung von Legalparteien
hervorgehoben und in Zusammenhang mit der Einführung von Verwaltungsgerichten wenig Änderungsbedarf gesehen.
Die Grünen zeigten sich vom Inhalt des Berichts enttäuscht und meinten, dieser entspreche nicht dem,
was sie sich vorgestellt hätten.
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