Wittgenstein-Preis 2013 an die Physikerin Ulrike Diebold

 

erstellt am
17. 06. 13
14.00 MEZ

Neun Spitzen-NachwuchsforscherInnen in das prestigeträchtige START-Programm aufgenommen.
Wien (bmwf) - Wissenschafts- und Forschungsminister Karlheinz Töchterle, Jan Ziolkowski, Vorsitzender der Internationalen Jury für das START-Programm und den Wittgenstein-Preis sowie FWF-Präsident Christoph Kratky gaben am 17.06. im Rahmen einer gemeinsamen Pressekonferenz die diesjährige Wittgenstein-Preisträgerin sowie die neun dieses Jahr in das START-Programm aufgenommenen NachwuchswissenschafterInnen bekannt. Insgesamt werden in den kommenden fünf bzw. sechs Jahren den zehn ForscherInnen rund 12 Mio. EUR für ihre wissenschaftlichen Arbeiten zur Verfügung stehen.

„Die Wittgenstein- und START-Preise stehen für Exzellenz und verleihen der Spitzen-forschung im besten Sinn des Wortes ein Gesicht. Ich freue mich über das vielfältige Spektrum, das auch heuer durch die Preisträgerinnen und Preisträger abgedeckt wird“, gratulierte Wissenschafts- und Forschungsminister Karlheinz Töchterle. „Für die Nachwuchswissenschafterinnen und Nachwuchswissenschafter bedeutet der START-Preis ein Sprungbrett, das sie hoffentlich bestmöglich im Sinne ihrer eigenen Entfaltung als auch der Stärkung ihrer Disziplin und des Standortes nutzen“, so der Minister.


„Neben dem Wittgenstein-Preis reflektiert insbesondere das START-Programm die überaus positive Entwicklung österreichischer Forschungsinstitutionen in den letzten Jahren. Noch nie zuvor gab es ein so großes Feld hervorragender, junger WissenschafterInnen, das sich um die Aufnahme in das START-Programm beworben hat. Wer auf so eine Bewerbungslage blickt, dem muss um den Forschungsnachwuchs in Österreich nicht bange sein“, erklärte Christoph Kratky, Präsident des Wissenschaftsfonds.

Bereits zum 18. Mal wurden heuer die START- und Wittgenstein-Auszeichnungen vergeben. Der Kreis der im Rahmen dieser Programme prämierten WissenschafterInnen wurde um zehn Personen erweitert. Der Wittgenstein-Preis 2013 geht an Ulrike Diebold, Professorin für Oberflächenphysik an der Technischen Universität Wien.

Ulrike Diebold, geboren 1961 in Kapfenberg, promovierte im Jahr 1990 an der Technischen Universität Wien und ging danach für drei Jahre an die Rutgers University, New Jersey, USA. Im Jahr 1993 wurde sie an die Tulane University berufen, wo sie im Jahr 2001 zum Full Professor ernannt wurde. Sie blieb an der Tulane University bis 2009, unterbrochen von Forschungsaufenthalten, die sie unter anderem an die Pacific Northwest National Laboratories, an das Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin, aber auch an die Princeton University sowie an die Rutgers University führten. Der Kontakt zur Technischen Universität Wien riss in all diesen Jahren allerdings nie ab. Im Jahr 2010 wurde Ulrike Diebold an den Lehrstuhl für Oberflächenphysik der Technischen Universität Wien berufen, wo sie seither – neben einer Forschungsprofessur an der Tulane University – forscht und lehrt.

Ulrike Diebold arbeitet im Schnittbereich von Physik und Chemie und hat sich weltweit einen Namen als führende Expertin für Oberflächen von Metalloxiden gemacht. Ihre Spezialität ist die Anwendung von Rastertunnelmikroskopie (scanning tunneling microscopy, STM) und Techniken der Oberflächenspektroskopie, um Oberflächenstrukturen und molekulare Prozesse von Metalloxiden – bis auf die Ebene einzelner Atome – zu beobachten, zu beschreiben und zu verstehen. Ihr wissenschaftlicher Erfolg setzt sich im Wesentlichen aus drei Komponenten zusammen: die von ihr ausgewählten Systeme, ihre Fähigkeit, exakte und bahnbrechende Experimente durchzuführen, sowie die Gabe, ihre wissenschaftlichen Teams zu Topleistungen zu führen.

Im Zentrum ihrer wissenschaftlichen Arbeit stehen oxidierte Materialien bzw. Werkstoffe.

Das ist einerseits eine logische Entscheidung, oxidieren doch letzten Endes alle Metalle und Halbleiter in der Umwelt – also studiert man deren Oxidverbindungen, wenn man an ihren Oberflächen interessiert ist. Andererseits haben diese Materialien eine faszinierende Bandbreite an physikalisch-chemischen Eigenschaften. Unter den Metalloxiden finden sich die besten Isolierstoffe genauso wie Supraleiter, einige eignen sich als besonders aktive Katalysatoren, andere sind als besonders korrosionsbeständige Materialien bekannt. Diese Vielseitigkeit, verbunden mit der Möglichkeit, ihre Eigenschaften zu beeinflussen, machen Metalloxide für eine Fülle technischer Einsatzbereiche hochinteressant.

In so gut wie allen gegenwärtig verfügbaren und zukünftig vorstellbaren Anwendungen dieser Materialien – Katalysatoren, Gassensoren, Batterien, Brennstoffzellen, neuartige elektronische Bauteile – spielen Oberflächen und Schnittstellen eine zentrale Rolle. Folglich ist Forschung, die sich grundsätzlichen Fragen nach Oberflächeneigenschaften und Prozessen an Oberflächen widmet, nicht nur für die wissenschaftlichen Disziplinen per se von Interessen, sondern hat auch große Auswirkungen auf Themen des Umweltschutzes, der Energiegewinnung und -speicherung sowie auf weite Bereiche anderer technischer Anwendungen. Ulrike Diebold hat sich bereits als junges Faculty-Mitglied an der Tulane University in New Orleans in den 1990er-Jahren mit grundsätzlichen Fragen der Oberflächenphysik bei Metalloxiden beschäftigt. Damals galten Metalloxide zwar als interessantes Forschungsgebiet, wurden allerdings als zu komplex sowie als zu „messy“ angesehen, um an ihnen sinnvolle Oberflächenforschung betreiben zu können. Ulrike Diebold hat als Erste gezeigt, dass man mittels Rastertunnelmikroskopie Materialdefekte auf einzelatomarer Ebene sichtbar machen kann und dass man chemische Reaktionen, die durch diese Fehler ausgelöst werden, Molekül für Molekül beobachten kann.

Sie hat sich mit den weltweit besten theoretischen Gruppen zusammengetan, um ihre experimentell erzielten Ergebnisse zu modellieren, um daran anknüpfend ein besseres Verständnis zu entwickeln, wie chemische Reaktionen auf Oberflächen ablaufen. Sowohl ihre hoch-zitierten Review-Artikel, als auch ihre Originalarbeiten haben das gesamte Feld der Oberflächenphysik maßgeblich (mit-)gestaltet.

Zukünftig will sich Ulrike Diebold und ihr Team darauf konzentieren, mittels neuer Methoden die Schnittstelle zwischen festen und flüssigen Phasen zu erforschen. Mithilfe des Wittgenstein-Preises wird sie ihre Anstrengungen intensivieren können, unter Verwendung eines elektrochemischen Rastertunnelmikroskops in neue Erkenntnisräume der Oberflächenphysik vorzudringen.

Der Wittgenstein-Preis ist Österreichs höchstdotierter und prestigeträchtigster Wissenschaftspreis, der seit 1996 durch den FWF vergeben wird. Wittgenstein- PreisträgerInnen stehen für wissenschaftliche Forschungsarbeiten bis zu 1,5 Mio. EUR für die Dauer von fünf Jahren zur Verfügung. Der Wittgenstein-Preis ist ein „Dry prize“, das heißt, die Gelder stehen ausschließlich für die intendierte Forschung zur Verfügung.

Der Entscheidungsvorschlag – basierend auf Fachgutachten ausländischer ExpertInnen – wurde von der Internationalen START-/Wittgenstein-Jury zusammengestellt. Die Jury setzt sich aus renommierten WissenschafterInnen aus dem Ausland zusammen, um eine bestmögliche Objektivierung der Entscheidung sicherzustellen. Die Jury tagte Ende letzter Woche unter der Vorsitzführung von Jan Ziolkowski, Professor für Latein des Mittelalters und Direktor der Dumbarton Oaks Research Library and Collection der Harvard University.
Ulrike Diebold ist nach Ruth Wodak (1996), Marjorie Matzke (1997, gemeinsam mit Antonius Matzke) sowie Renée Schroeder (2003) die vierte Frau, die den Wittgenstein-Preis erhält.

Neben dem Wittgenstein-Preis wurden neun Spitzen-NachwuchsforscherInnen aus 96 Bewerbungen in das START-Programm aufgenommen. Die START-Auszeichnung ist die höchstdotierte und anerkannteste FWF-Förderung für NachwuchsforscherInnen, die aufgrund ihrer bisher geleisteten wissenschaftlichen Arbeit die Chance erhalten sollen, in den nächsten sechs Jahren finanziell weitgehend abgesichert, ihre Forschungsarbeiten zu planen, eine eigene Arbeitsgruppe auf- bzw. auszubauen und diese eigenverantwortlich zu leiten. Nach drei Jahren haben sie sich einer Zwischenevaluierung zu stellen. Die START-Projekte sind mit jeweils bis zu 1,2 Mio. EUR dotiert.

 

 

 

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