Sozialstaat als Standortfaktor

 

erstellt am
03. 07. 13
14.00 MEZ

Umfang und Reformbedarf definieren – Niederländisches Modell des Poldern Anreizmodell für Europa - Funktionierender sozialer Dialog wichtige Bedingung - Sozialstaat hat Bedeutung in der Krise gezeigt
Wien (pwk) - Ein klares Ja zu einem modernen und starken Sozialstaat fiel am 03.07. von den Experten im Rahmen der Diskussionsveranstaltung der Wirtschaftspolitischen Gespräche in der WKÖ gemeinsam mit dem IHS. "Der Sozialstaat steht nicht in Frage, strittig ist aber sein Umfang", betonte Christian Keuschnigg, Direktor des IHS, in seiner Einleitung. Es sei klar, dass der Sozialstaat bestimmten Zielen folge und Kosten verursache, Kosten die auch über den Beitragszahlungen liegen würden. Für Österreich sei es prioritär, den Innovationsbereich zu stärken, denn nur durch wenn neue Produktion entstehe, sei auch das Wachstum am Arbeitsmarkt gewährleistet. Wesentlicher Bestandteil eines funktionierenden Sozialstaats sei auch die Krisenfestigkeit der Unternehmen, die quasi eine Arbeitsplatzgarantie darstelle. "Konjunktureinbrüchen kann man vorbeugen, in dem man die Eigenkapitalausstattung der Betriebe verbessert und Investitionen in Forschung- und Entwicklung sicherstellt. Dies beugt der Inanspruchnahme des Sozialstaats am besten vor", so Keuschnigg.

De Geus: Ständigen Reformbedarf des Sozialstaats vor Augen halten
Das Modell des "Poldern", also das niederländischen Modell der Reformen am Arbeitsmarkt, rückte Aart de Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann-Stiftung und ehemaliger Arbeits- und Sozialminister der Niederlande, in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. Mit den ab 2003 eingeleiteten umfassenden Reformen sei es den Niederlanden gelungen, die Arbeitslosigkeit von 14 Prozent zur Jahrtausendwende auf 4-6 Prozent zu drücken. Durch Maßnahmen etwa im Bereich der Beschäftigung Älterer oder Anreizsysteme (Verlagerung der Arbeitsvermittlung auf die lokale Ebene mit weitreichenden Befugnissen) und einer Reduktion der Bezugsdauer von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung, konnte beispielsweise die Beschäftigungsquote der 60-64jährigen von 10 Prozent im Jahr 1995 auf nahezu 50 Prozent im Jahr 2011 gesteigert werden. Gleichzeitig konstatierte de Geus aber weiteren Reformbedarf, da die Arbeitslosenquote wieder im Ansteigen sei.

"Das Modell des Poldern eignet sich deshalb so gut für Reformen im Sozialstaat, weil alle in die Entscheidungen einbezogen werden. Alle sitzen an einem Tisch, denn es dürfen keine Entscheidungen auf Kosten von Dritten getroffen werden, die nicht am Tisch sitzen", so de Geus. Gleichzeitig sei kennzeichnend für das Poldermodell, dass es sich auszahle, Gegner von Reformen immer in die Entscheidungsfindung einzubeziehen und die Frage der Kompensation der Reformverlierer sorgfältig zu erörtern. Generell, so de Geus, könne man das Poldermodell für Europa empfehlen, wo es sich sofort und leicht anwenden lasse. Das Poldermodell sei aber auch deshalb zu empfehlen, "weil es den Geist der europäischen Werte, den Geist unserer Wirtschafts- und Arbeitskultur lebt", betonte der niederländische Experte abschließend.

Beyrer: System nicht in Frage stellen, sondern richtig dimensionieren
"Die Krise hat uns die großen Unterschiede in den Mitgliedsstaaten vor Augen geführt. Sie hat uns aber auch vier Gemeinsamkeiten deutlich gezeigt, die manche Mitgliedsstaaten relativ besser haben abschneiden lassen: Erstens, der Erhalt einer starken, wettbewerbsfähigen Industrie, zweitens, das rechtzeitige Durchführen notwendiger Strukturreformen, drittens, einer im Rahmen befindlichen Verschuldungsquote und, viertens, ein funktionierender sozialer Dialog", betonte Markus Beyrer Generaldirektor von Businesseurope. In Europa gelte es zu bedenken, dass für 7 Prozent der Weltbevölkerung 56 Prozent der weltweiten Sozialausgaben getätigt werden. Es gehe nicht um das Infragestellen des Systems, sondern um die richtige Dimension. Betrachte man die beiden Beispiele Schweden und Frankreich, so zeige sich, dass der Weg "reformproblematischer Länder" wie Frankreich mit hohen Lohnstückkosten, einer Rückläufigen Industriequote und hohen Haushaltsdefiziten nicht erfolgsversprechend sei. Positiv äußerte sich Beyrer zur europäischen Sozialpartnerschaft, die wesentlich zum funktionierenden sozialen Dialog beitrage und etwa im Bereich der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit zielführende Vorschläge unterbreite.

Schieder: Sozialstaat mittel- und langfristiger Standortvorteil
Die besondere Bedeutung des Sozialstaats in der Krise, strich Finanzstaatssekretär Andreas Schieder, in seinen Ausführungen hervor: Im Jahr 5 nach Ausbruch der Krise seien Wachstum und Beschäftigung noch relativ stabil. Als wesentlichste Maßnahme charakterisierte Schieder die Kurzarbeit. Damit habe man das Schrumpfen von Unternehmen in vielen Fällen abwenden können und damit für weiterhin stabile Beschäftigung und Nachfrage gesorgt. Zudem habe man "Know-how-Effekten" vorgebeugt und damit Fachkräfte und Innovationen bei den Unternehmen gehalten. Der Sozialstaat sei jedenfalls "mittel- und langfristig ein Standortvorteil", der Dank gelte hier allen Sozialpartnern. Die künftige Herausforderung des heimischen Sozialstaates sei es umfassend und effizient angepasst alle einzubinden. Als Bereiche nannte Schieder etwa einen schlanken Föderalismus, eine Optimierung des Arbeitsmarktes für Ältere sowie Strukturreformen im Bildungsbereich.

 

 

 

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