Tabak und Billard statt Coffee-to-go

 

erstellt am
12. 08. 13
14.00 MEZ

Dissertantin der Uni Graz beleuchtet erstmals Geschichte der Grazer Kaffeehäuser
Graz (universität) - Gediegene Atmosphäre mit einem Hauch von Welt, ein reiches Angebot an Zeitschriften, intellektuelle Größen, die sich dort austauschen: Die typischen Ingredienzien der Wiener Kaffeehäuser fand man bis zum Zweiten Weltkrieg auch in Graz. Welche Prachtcafés es ab 1800 in der Murstadt gab und warum nur ein einziges bis heute überlebt hat, untersucht Mag. Sarah Schimeczek im Rahmen ihrer Dissertation am Institut für Volkskunde und Kulturanthropologie der Karl-Franzens-Universität.

Bereits 1704 sind die ersten „Kaffeeausschanken“ in Graz registriert, ausgestattet mit Billardtischen und einer großen Auswahl an Zeitungen. „Diese waren als Pflichtinventar vorgeschrieben“, hat Sarah Schimeczek recherchiert. Ansonsten waren die Lokale sehr zweckmäßig eingerichtet – der flüssige Muntermacher wurde damals ausschließlich auswärts konsumiert. „Am Ende des 18. Jahrhunderts war das Heißgetränk bereits weit verbreitet, der Gang ins Kaffeehaus gehörte dann besonders für das Bürgertum zum guten Ton“, erzählt die Wissenschafterin.

In den folgenden Jahrzehnten vermehrten sich die Cafés rasant – man traf sich zum Tabakrauchen, Zeitunglesen und Billardspielen. „Manche Lokale boten bis zu 300 Zeitschriftentitel an“, berichtet Schimeczek. Kurz: Das kulturelle Leben der Stadt spielte sich in Kaffeehäusern ab. Folglich waren sie auch prunkvoll ausgestattet, mit stilvollen Polstermöbeln, Lustern und Gemälden. Bis heute erhalten ist von diesen Prachtcafés in der ursprünglichen Form allerdings nur noch das Weitzer.

Gründe des Niedergangs
„In den 50er-Jahren kamen US-amerikanische Werte in Mode. Trend aus Musik und Tanz wurden ebenso übernommen wie die Austattung von Kaffeehäusern“, fand die Dissertantin heraus. Dementsprechend tauschten traditionelle Lokale ihre Einrichtung aus. Cafés nach „Wiener Art“ überlebten nur an viel befahrenen Straßen beziehungsweise verloren durch Umbaumaßnahmen nach und nach ihren Charme und damit ihre Gäste.

Manche Lokale versuchen heute, den früheren Trend wieder aufzunehmen. „Das wirkt aber nicht authentisch“, urteilt Schimeczek. Außerdem entsprechen nüchterne italienische Kaffeehäuser oder überhaupt „Coffe to go“ eher dem Zeitgeist.

Familiengeschichte als Motivation
Die Inspiration zum Thema der Dissertation kam für die Jungwissenschafterin nicht zuletzt aus der eigenen Familiengeschichte: Ihr Urgroßvater war selbst Cafetier und Besitzer des Café Humboldt, das 1949 zusperren musste. Übrig ist bis heute das Porzellan von damals, eine Kaffeemaschinensammlung und – besonders wichtig als wissenschaftliche Quelle – eine private Sammlung von Postkarten mit rund 150 Innen- und Außenansichten von Kaffeehäusern in ganz Europa.

 

 

 

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