Wettbewerbsfähigkeit ist nicht (nur) eine Lohnfrage

 

erstellt am
18. 09. 13
15.00 MEZ

Neben Einkommen und Leistungsbilanz auch gesellschaftliche Anliegen berücksichtigen
Wien (wifo) - Der Begriff "Wettbewerbsfähigkeit" wird oft einseitig interpretiert im Sinne von niedrigen Lohnkosten, während Umwelt- und Sozialausgaben als belastend gesehen werden. Ein hohes soziales und ökologisches Anspruchsniveau kann allerdings bei optimaler Gestaltung auch die Produktivkraft und Zukunftsfähigkeit von Volkswirtschaften stärken. Eine WIFO-Studie im Rahmen des Projektes "Welfare, Wealth and Work for Europe - WWWforEurope" definiert daher Wettbewerbsfähigkeit als Fähigkeit einer Volkswirtschaft, Einkommen, Beschäftigung und sozialen Zusammenhalt sowie ökologische Exzellenz zu erreichen. Anhand eines Indikatorensatzes zur Beurteilung der Wettbewerbsfähigkeit nach diesen Kriterien erweist sich die Wirtschaft der EU als wesentlich wettbewerbsfähiger als bei einer reinen Betrachtung des Pro-Kopf-Einkommens. Innerhalb der EU haben erfolgreiche Länder nie einseitig auf Lohnmoderation gesetzt ("Low-Road-Strategie"), sondern sind auch Vorreiter in einem aktivierenden Sozialsystem mit geringen Lohnunterschieden und anspruchsvollen Umweltzielen. Für den langfristigen Erfolg sind Investitionen in Ausbildung, Forschung und ein förderndes Sozialsystem sowie gefestigte politische und ökonomische Institutionen und ökologische Ambitionen (also eine "High-Road-Strategie") wichtig.

Die Wettbewerbsfähigkeit von Ländern und Regionen ist ein vieldiskutiertes Konzept, dessen Relevanz im Zuge der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise weiter zugenommen hat. Traditionell wird Wettbewerbsfähigkeit auf niedrige Lohnkosten bezogen. Dies hat etwa die wirtschaftspolitische Debatte um das Verhältnis des Nordens der EU zur Peripherie im Süden geprägt. Der Beitrag anderer Bestimmungsgründe der Exportfähigkeit (Qualifikation, Innovationen und Institutionen) wird dabei meist unterschätzt. Als Indikator für Wettbewerbserfolge werden Handels- und Zahlungsbilanzen herangezogen. Erweiterte Konzepte - etwa von der Europäischen Kommission oder dem World Economic Forum - berücksichtigen auch die Technologie- oder Innovationsintensität von Produktion und Exporten, die Höhe der Beschäftigungsquote sowie Einkommen und Lebensstandard generell.

Eine neue WIFO-Studie im Rahmen des europäischen Forschungsprojektes "Welfare, Wealth and Work for Europe - WWWforEurope" entwickelt nun das Konzept weiter und systematisiert die vorhandenen Indikatoren. Wettbewerbsfähigkeit wird dabei definiert als die Fähigkeit eines Landes oder einer Region, (für die Bevölkerung) wirtschaftliche und gesellschaftliche Ziele zu erreichen. Sie integriert auch explizit die Ziele der Beyond-GDP-Initiative (http://www.beyond-gdp.eu/de), die dafür plädiert, zur Messung des gesellschaftlichen Fortschrittes neben Einkommen bzw. Bruttoinlandsprodukt auch Sozial- und Umweltindikatoren heranzuziehen.

Das WIFO-Konzept unterscheidet zwischen Prozessen und Fähigkeiten auf der einen Seite, die den Wirtschaftserfolg generieren (Inputs), und Leistungsindikatoren andererseits, die den Erfolg (das Ergebnis, "Outcome") messen. Die Inputs umfassen neben Preisfaktoren (z. B. Löhne) auch Indikatoren zur Produktions- und Exportstruktur (z. B. Technologieintensität) sowie die Leistungsfähigkeit hinsichtlich Innovationen, Bildung, Sozialsystem, Institutionen und ökologischer Ambitionen. Als Wettbewerbsergebnis (Outcome) werden Einkommen und Indikatoren zu sozialer Inklusion (Beschäftigung, Verringerung von Armut) und ökologischer Nachhaltigkeit (Verringerung der Treibhausgasemissionen, Steigerung der Ressourcenproduktivität) gemessen.

Wie die auf diesem Konzept beruhende Analyse der Daten für 27 EU-Länder bestätigt, lässt ein Fokus auf die rein preisliche Komponente der Wettbewerbsfähigkeit wichtige Komponenten außer Acht. Eine hohe Outcome-Wettbewerbsfähigkeit beruht nicht allein auf niedrigeren Lohnkosten als preislichen Inputfaktoren. Höherwertige Produktions- und Exportstrukturen sowie eine stärkere Leistungsfähigkeit in Bezug auf Innovationen, Bildung, Soziales, Institutionen und ökologische Anreize sind dafür ebenso relevante Faktoren.

Diese Betrachtung unterstreicht die Wettbewerbsfähigkeit der EU. Pro-Kopf-Löhne und Produktivität sind um ein Drittel niedriger als in den USA (im Euro-Raum um 20%). Die Lohnstückkosten sind daher mit jenen in den USA vergleichbar. Die Bestimmungsfaktoren der Leistungsfähigkeit fallen für die USA hinsichtlich Forschung und tertiäre Ausbildung besser aus, für Europa hinsichtlich der aktivierenden Sozialpolitik und ökologischer Produkte. Im Export hat die EU den Strukturvorteil der USA mehr als kompensiert und weist heute Handelsbilanzüberschüsse in technologie- und skillintensiven Branchen auf, während die USA hier hohe Importüberschüsse verzeichnen. Die EU-Länder investieren auch mehr in die aktive Arbeitsmarktpolitik sowie in die vorschulische und Berufsbildung und erzielen im Gegensatz zu den USA eine ausgeglichene Leistungsbilanz.

Allerdings bestehen innerhalb der EU erhebliche Unterschiede. Gerade die Hochlohnländer in der EU wie Dänemark, Niederlande, Schweden und Österreich weisen durchwegs sehr gute Werte im Wettbewerbsergebnis (Outcome) auf. Die Länder mit den niedrigsten Lohnkosten (nach "Low-Road-Konzepten" die "wettbewerbsfähigsten Länder) können ihre Kostenvorteile aber mangels Leistungsfähigkeit in Bildung, Innovationen und Sozialsystem kaum in Outcome-Wettbewerbsfähigkeit umsetzen. Gleichzeitig schneiden die Länder der südlichen Peripherie hinsichtlich der Sozialindikatoren trotz höherer Wirtschaftskraft schlechter ab als die Länder Osteuropas.

Diese empirischen Befunde untermauern, dass für die hochentwickelten EU-Länder die Definition von Wettbewerbsfähigkeit im Sinne von "kostengünstig" kein guter Kompass ist. Die mit ihr verbundene wirtschaftspolitische Strategie der Lohnmoderation ("Low-Road") stärkt die Exportfähigkeit bestenfalls kurzfristig, während Innovationen, Ausbildung, Verbesserung der Institutionen das langfristig tun. Um als führendes Industrieland in der globalisierten Wirtschaft langfristig erfolgreich zu sein, gilt es vielmehr, Investitionen in Ausbildung, Forschung und ein förderndes Sozialsystem zu forcieren, politische und ökonomische Institutionen zu festigen sowie ökologische Ambitionen zu stärken - sich also einer "High-Road-Strategie" zu verpflichten.

Clusterpolitik unterstützt Strategie "Europa 2020"
Wie eine Studie des schwedischen Think-Tanks "Ivory Tower" im Rahmen von WWWforEurope zeigt, ist auch eine konsequente Clusterpolitik ein Instrument für eine nachhaltige Industriepolitik als Element einer High-Road-Strategie. 1.000 europäische Clusterinitiativen wurden auf ihre Auswirkungen auf die sozioökonomische Entwicklung von Regionen untersucht. "In Regionen, in denen Clusterinitiativen vorhanden sind, ist auch der Zielerreichungsgrad hinsichtlich eines ökologischen und sozial ausgewogenen Wachstumspfades höher. Außerdem ist in diesen Regionen in der Regel auch das Lohnniveau höher."

Die EU-Regionen weisen bei der Umsetzung des von der Strategie "Europa 2020" propagierten sozialen und ökologischen Wachstumspfades sehr unterschiedliche Ausgangslagen auf. Unter den reichen Regionen Nord- und Mitteleuropas gelingt es den skandinavischen und österreichischen Regionen am besten, einen ökologisch und sozial ausgewogenen Wachstumspfad umzusetzen. Die deutschen Regionen fallen hingegen hinsichtlich der Nachhaltigkeitsziele zurück. Unter den ärmeren Regionen Süd- und Osteuropas erreichen die osteuropäischen Länder ein relativ hohes Maß an sozialer Inklusion, hinsichtlich der Umweltziele aber höchstens durchschnittliche Werte.

WWWforEurope: Forschung zur sozioökologischen Transition in Europa
Das Forschungsprojekt "Welfare, Wealth and Work for Europe - WWWforEurope" startete im April 2012 und wird in seiner Laufzeit von vier Jahren die analytische Basis für ein neues europäisches Wachstumsmodell legen, das eine sozioökologische Transition zu hoher Beschäftigung, sozialer Integration und ökologischer Nachhaltigkeit ermöglicht. Karl Aiginger, Leiter des WIFO, ist Koordinator des Projektes, das Wissenschafter und Wissenschafterinnen aus 33 Forschungsinstitutionen versammelt. WWWforEurope wird von der Europäischen Kommission im 7. Rahmenprogramm gefördert.

 

 

 

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