"Wenn ich nur aufhören könnte!"

 

erstellt am
07. 10. 13
15.00 MEZ

Fachtagung österreichischer JugendamtspsychologInnen zum Thema Suchtverhalten als Ausdruck von Mangelempfinden
Wien (rk) - Jugendamtspsychologinnen und -psychologen aus ganz Österreich treffen einander von 10. bis 11. Oktober zu ihrer jährlichen Fachtagung im Wiener Rathaus. Stadtrat Christian Oxonitsch eröffnet die Veranstaltung am 10. Oktober um 9:15 Uhr.

Kinder und Jugendliche können durch eine Suchterkrankung der Eltern in ihrer Entwicklung gefährdet werden. Manche greifen auch zur Bewältigung von familiären Konflikten, bei Versagen in der Schule, mangelhafter sozialer Unterstützung oder Sinn- und Orientierungskrisen selbst zu psychoaktiven Substanzen. Legale oder illegale Drogen und die damit verbundene Hoffnung auf Stabilisierung und innere Balance, erscheinen mitunter verlockend. Der Begriff Sucht wurde lange Zeit vor allem mit körperlicher, substanz-gebundener Abhängigkeit gleichgesetzt. Heute werden darunter auch psychische und soziale Abhängigkeiten, vor allem aber auch Verhaltenssüchte (Spielsucht, Fernsehsucht, Fettsucht, Magersucht) verstanden.

Kurzer Überblick über ReferentInnen und Themen

  • Klinische PsychologInnen beschäftigen sich bei der Tagung mit Fragen wie:
  • Welche Faktoren begünstigen die Entstehung einer Sucht und wie kann man letzteres verhindern?
  • Welche Behandlungsformen sind im Kontext der Jugendhilfe erfolgreich umzusetzen?

Univ.-Prof. Dr. Michael B. Buchholz, Lehranalytiker der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft (DPG) aus Göttingen
In diesem Vortrag geht es um Transformationen und Wandlungen. Der Fokus liegt darauf wie etwas anfängt, wie dann darüber gesprochen wird, und wie es sich zuletzt auch wandelt. Außerdem wird erörtert, wie Verständigung mit den Betroffenen möglich ist und sie dazu gebracht werden können ihre Sucht zu überwinden. Denn Neues wird erst möglich wenn die Sucht beendet ist

Michaela Huber, Psychologische Psychotherapeutin aus Göttingen
Studien zeigen, dass Suchtmittel häufig eingesetzt werden, um Spannungszustände und Traumata zu vermeiden. Zuerst muss ein Vertrauensverhältnis zu den Betroffenen aufgebaut werden. Dann werden sie ermutigt zu lernen, ihren Stress aus eigener Kraft zu bewältigen und haben damit die Möglichkeit ihr, Selbstwertgefühl zumindest ansatzweise aufzubauen. Wesentlich sind hier Netzwerke von Beratung, Betreuung, Begleitung sowie ambulanter und stationärer Psychotherapie. Dabei sollen möglichst auch Angehörige einbezogen werden, wobei auf Misshandlungs-Beziehungen geachtet werden muss.

Prim. Univ.-Prof. Dr. Michael Musalek, Anton Proksch Institut Wien
Noch immer gibt es in unserem Land Menschen die glauben, Sucht sei nichts anderes, als selbstverschuldete Verhaltensauffälligkeit bzw. eine "Willensschwäche". Viele wissen nicht, dass sie dabei mitunter ein ganzes Jahrhundert hinter dem weltweit anerkannten Fachwissen hinterherhinken. Suchterkrankungen sind sehr schwere, in ihrem Wesen hochkomplexe Erkrankungen, die dementsprechend auch einer komplexen, meist langen und aufwendigen Behandlung bedürfen.

Prof. Dr. Gerhard J. Suess, Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften - HAW - Fakultät Wirtschaft und Soziales
So unterschiedlich wie die Wege hin zu einer Suchtkrankheit sein können, so unterschiedlich können auch ihre Auswirkungen sein. Sind Eltern davon betroffen, sollten professionelle Kinderschützer und Anbieter früher Hilfen alarmiert sein - selbstverständlich unter Berücksichtigung unterschiedlicher Formen und Schweregrade von Sucht. Kinder sehen ihre Eltern, die sie kurz vorher noch als Garant der Sicherheit erlebt haben, plötzlich im Rausch und als Quelle des Schreckens. Gerade Kinder unter drei Jahren werden dadurch vor ein unlösbares Paradox gestellt. Bindungsforscher sprechen dann von "desorganisierten Bindungen", die sich aufgrund solcher Beziehungserfahrungen entwickeln und ein Risiko für die weitere Entwicklung von Kindern darstellen.

Prof. DDDr. Felix Tretter, Professor am Klinikum München Ost
Die akademische Psychologie mit ihrer Verhaltensorientierung und Symptomfixierung ist nötig und sinnvoll, aber unzureichend. Ziel der Ausführungen ist zu zeigen, dass ein Klient/Patient nicht nur Symptomträger sondern gewordener Mensch in der Welt ist. Und er ist nicht nur Produkt seines Gehirns, wie es uns die Biopsychiatrie erklärt. "Nicht-aufhören-können" kann als exzessive Bindung an ein lustorientiertes Verhalten aus anthropologischer Sicht eine "Leidenschaft" sein (Helmuth Plessner). In dieser Sicht zeigt sich das Verhalten des Menschen als Produkt der vorgängigen Umweltbeziehungen, also als "Ökologie der Person".

Univ.-Prof.in Dr.in Ute Ziegenhain, Professorin an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie / Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm
Frühe und sichere Beziehungserfahrungen sind wichtig für die Fähigkeit zur Selbstregulation. Außerdem entwickeln wir damit die Fähigkeit mit mehr oder weniger schwierigen Situationen umgehen zu können. Die neuere Forschung untersucht Zusammenhänge mit der Entwicklung sogenannter "exekutiver Funktionen". Darunter versteht man grundlegende kognitive und emotionale Handlungskompetenzen und Steuerungsprozesse. Diese sind wichtig für flexible und zielgerichtete Verhaltensweisen wie etwa die Fähigkeit zu beschreiben, sich zu konzentrieren, Impulse zu kontrollieren und Frustrationen zu tolerieren oder vorausschauend zu denken und Handlungen entsprechend zu planen. Ebenso wie sichere Bindungsentwicklung werden sie durch ein feinfühliges und strukturierendes Elternverhalten gefördert.

 

 

 

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