WIFO warnt vor wirtschaftspolitischem
 Stillstand im Wahljahr

 

erstellt am
19. 03. 14
11.30 MEZ

Wien (wifo) - In einem offenen Brief an den Präsidenten des europäischen Rates Herman Van Rompuy und alle Ratsmitglieder warnt WIFO-Leiter Prof. Karl Aiginger gemeinsam mit dem ehemaligen Agrarkommissar Franz Fischler und dem Wirtschaftsforscher Jean-Paul Fitoussi die Europäische Kommission vor der Gefahr eines wirtschaftspolitischen Stillstandes im Jahr 2014. Angesichts der positiven ökonomischen Entwicklungen in Europa, so die Experten, sollte 2014 zu einem Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik der EU genutzt werden: weg von der hastigen Krisenreparatur hin zu einer Vorwärtsstrategie für ein dynamisches Europa mit geringerer Arbeitslosigkeit und stärkerer Nachhaltigkeit.

Europas Wirtschaft erholt sich, wenn auch zögerlich, aus der Krise. Budgetdefizite und Ungleichgewichte schrumpfen, die Exporte wachsen selbst in Krisenländern, der Euro-Kurs ist stabil. Der Fiskalpakt ist beschlossen, der Europäische Stabilitätsfonds errichtet, die Realisierung der Bankenunion absehbar. Das Urteil der Europäischen Kommission über die Erreichung der selbstgesetzten langfristigen Ziele durch die EU ist allerdings ernüchternd. Die EU wird - wenn sie ihren Kurs nicht ändert - die wichtigsten Ziele der Strategie "Europa 2020" nicht erreichen:

  • Das Ziel, die Beschäftigungsquote bis 2020 auf 75% zu heben, wird verfehlt. Heute liegt die Beschäftigungsquote um fast 7 Prozentpunkte unter dem Zielwert. Die Zahl der Beschäftigten müsste daher um rund 16 Mio. gesteigert werden.
  • Die Forschungsausgaben sollen auf 3% der Wirtschaftsleistung steigen, heute betragen sie 2,2% des BIP.
  • Das Ziel, die Zahl der Armutsgefährdeten in der EU um 20 Mio. zu verringern, scheint ebenfalls schwierig zu erreichen. Nach einem Rückgang auf 114 Mio. Personen bis 2009 stieg die Zahl der Armutsgefährdeten wieder auf 124 Mio., um 28 Mio. über der selbstgesetzten Grenze.
  • Nur auf den ersten Blick kommt die EU ihrem Ziel einer Steigerung der Energieeffizienz näher. Der Rückgang der Industriequote am BIP und die Stilllegung von Betrieben mit außerordentlichen hohen Emissionen in Osteuropa haben die Effizienz erhöht. Dennoch sieht die Kommission, dass "zusätzliche Anstrengungen" nötig sind. Gerade die Erhöhung der Energieeffizienz ist aber ein zentrales Ziel der Strategie "Europa 2020", da sie als einzige dazu beitragen würde, den Nachteil höherer Energiepreise als in den USA auszugleichen.


Angesichts dieser Entwicklungen darf laut Karl Aiginger "Europa diese Chance nicht ungenutzt lassen, auch wenn es durch den Abtritt der Kommission, durch die Wahlen und das Warten auf eine neue Führungsebene teilweise gelähmt ist".

In diesem Zusammenhang kritisieren die Autoren des Briefes die wirtschaftspolitischen Prioritäten scharf, welche die Kommission in ihrem Jahreswachstumsbericht zur Steuerung der Politik der Mitgliedsländer 2014 setzt. Die Prioritäten wären unverändert und würden eine soziale und ökologische Neuorientierung der Wirtschaftspolitik vernachlässigen. Die Experten fordern den Rat auf, nach den Jahren des Krisenmanagements wieder auf jenen Pfad zurückzukehren, der in der Strategie "Europa 2020" festgelegt ist:

  • Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in der EU schärfen und rasch umsetzen,
  • die Mobilität in der EU durch spezielle Förderprogramme erhöhen,- Steuerhinterziehung und -umgehung entschiedener bekämpfen,
  • Reformverträge umsetzen, die wichtige nationale Reformprojekte betreffen, aber von der Kommission mitfinanziert werden,
  • die Ausgaben für Forschung und Entwicklung sowie für Bildung deutlich ausweiten, statt sie nur vor Budgetkürzungen zu schützen, wie der gegenwärtige Bericht vorschlägt.


Der Europäische Rat, der am 20. und 21. März zusammentritt, hätte die Möglichkeit, den Kurs noch zu ändern. Er sollte jedes Land auffordern, die Abweichungen von den selbstgesteckten Zielen Steigerung der Beschäftigungsquote, der F&E-Quote, Verringerung der Armutsgefährdung, und Steigerung der Energieeffizienz 2014 und 2015 um zumindest ein Viertel zu reduzieren. Außerdem sollte der Jahreswachstumsbericht ein zusätzliches Prioritätsfeld "Nachhaltigkeit" berücksichtigen. Der Spielraum für Aktivmaßnahmen sollte durch Einsparungen erhöht werden, etwa durch Einschränkung der Subventionen für fossile Energieträger, Fokussierung der Agrarförderung auf die Schaffung von Arbeitsplätzen und die biologische Produktion oder Nutzung von Einsparungspotentialen z. B. im militärischen Bereich und Einsatz freiwerdender Mittel für soziale Aufgaben. Überdies sollte die Abgabenbelastung des Faktors Arbeit und für Klein- und Mittelbetriebe deutlich gesenkt werden, gegenfinanziert durch Bekämpfung des Steuerbetruges, aber auch durch die Anhebung von Steuern auf Erbschaften, Emissionen und Grundbesitz.

Wenn diese Anliegen 2014 nicht in Angriff genommen werden, verfehlt die EU ihre selbstgesteckten Ziele hinsichtlich der Wachstumsdynamik, des sozialen Ausgleiches, der Steigerung von Innovationen und Nachhaltigkeit.

 

 

 

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