Weltuntergang: Jüdisches Leben und
 Sterben im Ersten Weltkrieg

 

erstellt am
03. 04. 14
11.30 MEZ

Von 3. April bis 14. September 2014 im Jüdischen Museum Wien, Dorotheergasse
Wien (rk) - Das Jüdische Museum Wien, ein Museum der Wien Holding, zeigt mit der Ausstellung "Weltuntergang: Jüdisches Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg" eine umfassende Schau, die sich mit dem Ersten Weltkrieg und seinen gesellschaftspolitischen Veränderungen, vor allem für die Juden Österreich-Ungarns, auseinandersetzt. Sie spannt einen Bogen vom Besuch Kaiser Franz Josephs in Jerusalem 1869 bis zur Gründung des Staates Israel 1948 und thematisiert die gewaltigen Umbrüche dieser Zeit.

Zeitenwende von global-historischer Bedeutung
Der Erste Weltkrieg mit all seinen gesellschaftspolitischen Veränderungen gilt als Zeitenwende von global-historischer Bedeutung, als eigentlicher Beginn des 20. Jahrhunderts und der Moderne: Die Landkarte Europas wurde neu gezeichnet, das Habsburgerreich nach 600-jähriger Herrschaft zertrümmert, das zaristische Russland zur Sowjetunion umgebaut. Die USA etablierten sich erstmals als Global Player. Der Untergang der alten Ordnung hatte auch für die Juden Österreich-Ungarns gravierende Folgen. Sie galten als besonders loyale Untertanen von Kaiser Franz Joseph I., der den Antisemitismus verabscheute und ihnen Rechtssicherheit garantierte.

Etwa 300.000 jüdische Soldaten waren voller Begeisterung und Patriotismus für Kaiser und Vaterland im Ersten Weltkrieg im Einsatz. Feldrabbiner sorgten für ihre religiösen Bedürfnisse und die der kriegsgefangenen Soldaten. Die Frontlinien überrollten und verwüsteten jedoch das größte jüdische Siedlungsgebiet in Galizien und der Krieg brachte für die Juden vor allem Ermordung und Vertreibung. Mehr als 80.000 jüdische Flüchtlinge gelangten nach Wien und veränderten die Struktur der Gemeinde. Nach dem Zusammenbruch der Donaumonarchie und des zaristischen Russland entstanden neue Nationalstaaten und radikalisierte politische Strömungen. Die Folge war eine steigende Ausgrenzung vor allem der jüdischen Bevölkerung. Für viele, vor allem junge Juden war das Projekt der Assimilation gescheitert, sie wurden Anhänger des Sozialismus und des Zionismus.

Die Ausstellung widmet sich - auch weiblichen - Biografien von Politikern, Rabbinern, Künstlern, Soldaten, Revolutionären und Pazifisten. Historische Objekte, wie Huldigungsadressen jüdischer Gemeinden an das Kaiserhaus, Gemälde bedeutender Persönlichkeiten, Memorabilia jüdischer Soldaten oder Judaika aus Galizien und Wien werden gezeigt und durch Fotos aus Wien, Galizien und Jerusalem ergänzt. Interviews mit Historikern wie Oliver Rathkolb, Manfred Rauchensteiner, Robert S. Wistrich u.v.a. runden das Bild ab.

Gleichnamiges Buch zur Ausstellung
Die von Marcus G. Patka kuratierte Ausstellung "Weltuntergang. Jüdisches Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg" ist von 3. April bis 14. September 2014 im Jüdischen Museum Wien, einem Museum der Wien Holding, Dorotheergasse 11, 1010 Wien zu sehen. Zur Ausstellung erscheint ein gleichnamiges Buch in Deutsch bei Styria Premium (ISBN- 978-3-222-13434-0) zum Preis von 24,99 Euro. Es ist im Bookshop Singer im Museum in der Dorotheergasse und im Buchhandel erhältlich.
Die Themenschwerpunkte der Ausstellung:

Das Ende der alten Ordnung: Das Kaiserhaus und die Juden
Der Untergang der alten Ordnung hatte für die Juden
Österreich-Ungarns gravierende Folgen. Unter der Regentschaft von
Kaiser Franz Joseph I. hatten sie ihre vollständigen bürgerlichen
Rechte erhalten und waren vor Verfolgung geschützt. In Wien trugen
sie wesentlich zur Kultur der Jahrhundertwende bei. Galizien war
innerhalb der Donaumonarchie das Hauptsiedlungsgebiet der Juden mit
einer Jahrhunderte alten Tradition. Es wurde im Zuge des Krieges
ebenso wie die Zeugnisse jüdischer Kultur weitgehend zerstört. In der
Ausstellung wird dieser Verlust durch einzigartige Ritualgegenstände
und künstlerische Werke, die vom untergegangenen Glanz der jüdischen
Kultur in Osteuropa zeugen, verdeutlicht. Fotos von Flüchtlingen,
Propagandaplakate beider Parteien und Zeugnisse von
Kriegsverletzungen visualisieren die vielschichtigen Schrecken des
Krieges.

Treue Diener der Krone
Aufgrund der strikten Haltung des Kaisers war Antisemitismus in
der k.u.k. Armee eigentlich verpönt. Daher ist es auch nicht
verwunderlich, dass es im Gegensatz zum wilhelminischen Deutschland
Juden möglich war, bis in die höchsten Offiziersränge vorzustoßen.
Ein erheblicher Teil der Ärzte in der Armee war ebenfalls jüdischer
Herkunft. Die zahlreichen jüdischen Soldaten an der Kriegsfront
wurden von etwa 100 Feldrabbinern religiös betreut. Der Kriegsalltag
wird in der Ausstellung durch Ritualgegenstände, Fotos und Dokumente
über die Tätigkeit der Feldrabbiner illustriert. Präsentiert werden
außerdem persönliche Gegenstände von (prominenten) Soldaten wie Karl
Farkas, Hugo Meisl oder Arthur Baar. Auch in der Kunst fand der Krieg
seinen Niederschlag: Der österreichisch-jüdische Künstler Uriel
Birnbaum fertigte an der Ostfront 1916 im Schützengraben zahlreiche
Bilder voller apokalyptischer Visionen an. Zeichnungen von Oskar
Kokoschka vermitteln Eindrücke von der Isonzo-Front.

Der Kampf um Jerusalem
Die Habsburgermonarchie verfolgte auch im Heiligen Land
langfristige Interessen: österreichische und ungarische Soldaten
kämpften an der Seite osmanischer und deutscher Truppen an der
Palästina-Front gegen das British Empire. Illustriert wird dieses
wenig bekannte Kapitel in der Geschichte des Ersten Weltkriegs durch
Huldigungsadressen der österreichisch-galizischen Gemeinde Jerusalems
an den Kaiser, Fahnen, Modelle von Schlachtschiffen und Fotografien
österreichisch-ungarischer Soldaten im Heiligen Land.

Die Folgen des Krieges: Revolution und Umbruchzeit
Schon während des Krieges stellte die jüdische Jugend den Sinn
der Assimilation in Frage und wandte sich dem Zionismus zu.
Unmittelbar nach dem Krieg gab es großen Zulauf zum Jüdischen
Nationalrat. Innerhalb der Israelitischen Kultusgemeinde wurde die
Einführung eines demokratischen Wahlrechts ermöglicht. In Folge der
Ausrufung der Ersten Republik am 12. November 1918, gab es Versuche
einer radikalen Veränderung des politischen Systems, die zur Spaltung
der Arbeiterbewegung und zur Radikalisierung der Politik führten: In
Wien setzte die sozialdemokratische Regierung weitreichende Reformen
durch, die als das "Rote Wien" in die Stadtgeschichte eingingen. In
Gesamtösterreich bildeten sich jene politischen Lager heraus, die das
politische Geschehen der Ersten Republik bestimmten und in den
Untergang des Systems führten - rabiater politischer Antisemitismus,
Austrofaschismus und Nationalsozialismus waren die Folge. Plakate,
Abzeichen, Dokumente, Fotos und Filme dokumentieren diese
folgenschweren Entwicklungen.

Ein eigenes Kapitel ist dem modernen Pazifismus gewidmet, der
unabhängig von der sozialistischen Bewegung entstand: Der Wiener
Alfred Hermann Fried, enger Mitarbeiter Bertha von Suttners, erhielt
1911 den Friedensnobelpreis, seine Medaille wird erstmals öffentlich
gezeigt. Angesichts des immer offensiveren Antisemitismus formierte
sich 1932 der Bund Jüdischer Frontsoldaten, der bei antisemitischen
Übergriffen aktiv einzuschreiten versuchte. Seine Mitglieder wurden
unter dem NS-Regime verfolgt und deportiert. Manchen gelang die
Flucht nach Palästina, wo sich einige der zionistischen
Untergrundarmee Hagana anschlossen, die bis 1948 für die
Unabhängigkeit Israels kämpfte.

Öffnungszeiten und Tickets
Die Öffnungszeiten in der Dorotheergasse sind Sonntag bis Freitag 10 bis 18 Uhr. Am Standort Judenplatz sind die Öffnungszeiten Sonntag bis Donnerstag 10 bis 18 Uhr, Freitag 10 bis 17 Uhr (während der Sommerzeit). Für beide Museen gibt es ein gemeinsames Ticket (gültig vier Tage ab Ausstellungsdatum) zum Preis von 10 Euro, ermäßigt 8 Euro, Gruppen 7 Euro, Kinder und Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr frei, StudentInnen (bis 27 Jahre), Zivil- und Präsenzdiener 5 Euro, Schulklassen haben nach wie vor freien Eintritt, für die Schülerführung ist ein Kostenbeitrag von 20 Euro zu leisten. Kosten Audioguide Museum Judenplatz 2 Euro, Multimedia-Guide Museum Dorotheergasse 4 Euro.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
http://www.jmw.at

 

 

 

 

 

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