Startsignal zum Ablesen gestresster Gene identifiziert

 

erstellt am
15. 10. 14
10.00 MEZ

Wien (meduni wien) - Was passiert in einer Zelle, wenn sie gestresst ist? Dieser Frage gingen Christian Seiser und sein Team von den Max F. Perutz Laboratories (MFPL) der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien in ihrer aktuellen Studie nach. Sie bestimmten, welche Gene einer Zelle durch Stress aktiviert werden, fanden dass über die Hälfte dieser Gene ein gemeinsames Markenzeichen tragen und beschrieben den molekularen Mechanismus, wie dieses als Startsignal zum Ablesen der Stress-aktivierten Gene führt. Ihre Ergebnisse könnten dazu beitragen, Therapeutika zur Behandlung stressbedingter Krankheiten zu entwickeln. Sie wurden im renommierten Fachjournal Genome Research veröffentlicht.

Wenn der Volksmund von Stress redet, ist meist eine zu hohe Belastung im Job oder im Privatleben gemeint. In der Biologie ist der Begriff Stress weiter gefasst: Im Jahr 1936 entdeckt und durch den Wiener Mediziner und Biochemiker Hans Selye erstmals beschrieben, bezeichnet Stress "eine durch äußere Reize hervorgerufene psychische und physische Reaktion, die am Anfang als körperlicher Ausdruck einer allgemeinen Mobilmachung der Verteidigungskräfte im Organismus" verstanden wird. Zu den Auslösern von Stress, den sogenannten Stressfaktoren, gehören hierbei nicht nur emotionale Belastung, sondern auch physikalische Faktoren wie Hitze, Kälte, oder zu viel Sonne, Infektionen, Verletzungen, und giftige Substanzen - zum Beispiel im Zigarettenrauch.
Gestresste Gene zeichnen sich durch ein Markenzeichen am Histon H3 aus

Einige der körperlichen Reaktionen auf Stress kennt jeder aus eigener Erfahrung: das Herz schlägt schneller, man fühlt sich heiß oder schwitzt. Was passiert jedoch in unseren Zellen, den Bausteinen des Körpers? Dieser Frage ging Anna Sawicka als Doktorandin im Labor von Christian Seiser an den Max F. Perutz Laboratories (MFPL) der MedUni Wien nach. "Werden Zellen gestresst, zum Beispiel durch bestimmte Chemikalien, aktivieren sie sehr schnell ein spezielles Transkriptionsprogramm. Das heißt, bestimmte Gene werden angeschaltet, und zwar nach einem genau regulierten Modus, der festlegt, wann welches Gen für wie lang aktiviert wird", erklärt Anna Sawicka. Die Experimente der ForscherInnen zeigten, dass gut die Hälfte aller sofort durch Stress aktivierten Gene ein gemeinsames Markenzeichen haben: ganz an ihrem Anfang, dem Promotor, ist das Protein Histon H3 durch einen Phosphatrest spezifisch markiert.

Das Markenzeichen gestresster Gene fungiert als Startsignal für Ablesen
Studienleiter Christian Seiser erklärt: "Es war eine riesige Überraschung, dass ein und dieselbe Markierung an fünfzig Prozent der durch Stress aktivierten Gene zu finden ist. Das macht sie zu einem Markenzeichen, denn wir finden diese spezifischen Markierung sonst nur an einem kleinen Bruchteil aller Histon H3 Proteine." Daher gingen die WissenschafterInnen den Fragen nach: Was sind das für Gene, die dieses Markenzeichen tragen, und was ist die Funktion dieser Markierung? Zur Beantwortung dieser Fragen etablierte Anna Sawicka gleich zwei Methoden, die in diesem Kontext vor ihr noch niemand zum Funktionieren gebracht hatte. Die ehemalige Doktorandin des vom FWF geförderten Doktoratskollegs "Molecular Mechanisms of Cell Signaling" fand, dass das Markenzeichen vor allem an sogenannten pausierenden Genen zu finden ist. Das sind Gene, die bildlich gesprochen wie Rennautos mit bereits laufendem Motor vor dem Start des Rennens warten. Die Markierung durch den Phosphatrest fungiert dann als Startsignal, das die Gene sofort hochreguliert. "Das Stress-Signal führt zur Markierung des H3 Proteins durch einen Phosphatrest am Promotor, dem regulatorischen Abschnitt eines Gens. Dadurch wird die Wechselwirkung von H3 mit einem Repressorkomplex, der bis dahin die Transkription blockiert hat, unterbunden und die stressregulierten Gene werden aktiviert", erklärt Anna Sawicka ihre Ergebnisse. Christian Seiser fasst zusammen: "Die Studie hat also nicht nur ein Markenzeichen aufgedeckt, durch das sich etwa die Hälfte aller Stress-aktivierten Gene auszeichnet, sondern auch wie diese Phosphat-Markierung auf molekularer Ebene zum Anschalten dieser Gene führt."
Stress macht krank

Ein detailliertes Verständnis der Stressreaktion auf molekularer Ebene könnte zur Entwicklung von Therapeutika beitragen, die zur Behandlung stressbedingter Krankheiten dienen. Während Anna Sawicka nun ihre wissenschaftliche Karriere als Postdoktorandin am Max Planck Institut in Göttingen weiterverfolgt, wollen Christian Seiser und sein Team verstehen, welche Funktion die Histonmarkierung für die längerfristige Genaktivierung durch Stress hat. Erste Hinweise haben sie schon, in diesen Fällen scheint die Phosphatmarkierung in Kombination mit anderen Histonmodifikationen eine wichtige Rolle als Teil des sogenannten Histon-Codes zu spielen.

Medizinische Universität Wien - Kurzprofil
Die Medizinische Universität Wien (kurz: MedUni Wien) ist eine der traditionsreichsten medizinischen Ausbildungs- und Forschungsstätten Europas. Mit fast 7.500 Studierenden ist sie heute die größte medizinische Ausbildungsstätte im deutschsprachigen Raum. Mit ihren 29 Universitätskliniken, 12 medizintheoretischen Zentren und zahlreichen hochspezialisierten Laboratorien zählt sie auch zu den bedeutendsten Spitzenforschungsinstitutionen Europas im biomedizinischen Bereich. Für die klinische Forschung stehen über 48.000m2 Forschungsfläche zur Verfügung.

Max F. Perutz Laboratories - MFPL
Die Max F. Perutz Laboratories (MFPL) sind ein gemeinsames Forschungs- und Ausbildungszentrum der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien am Campus Vienna Biocenter. An den MFPL sind rund 500 WissenschafterInnen in über 60 Forschungsgruppen mit Grundlagenforschung im Bereich der Molekularbiologie beschäftigt.

Publikation in Genome Research
Anna Sawicka, Dominik Hartl, Malgorzata Goiser, Oliver Pusch, Roman R. Stocsits, Ido M. Tamir, Karl Mechtler, Christian Seiser: H3S28 phosphorylation is a hallmark of the transcriptional response to cellular stress. Genome Research (August 2014) DOI:
http://dx.doi.org/10.1101/gr.176255.114

 

 

 

Allgemeine Informationen:
http://www.meduniwien.ac.at

 

 

 

 

 

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