Symposium: Auch die moderne Demokratie
 braucht Parteien

 

erstellt am
14. 10. 14
10.00 MEZ

Herausforderungen der politischen Repräsentation für Parteienstaat und Parlamentarismus im 21. Jahrhundert
Wien (pk) - Die Rede von einer Krise des österreichischen Parteienstaats sei seiner Meinung nach nicht angebracht, sagte Anton Pelinka am 13.10. in seinem Einleitungsstatement zum Symposium "Parlament und Parteien" im Hohen Haus. Vielmehr müsse man von einer Normalisierung der Rolle der Parteien im positiven Sinn des Wortes ausgehen, stellte der Politikwissenschaftlerin Pelinka fest. Auch der Verfassungsexperte Manfried Welan wollte nicht von einer Krise sprechen – das Parlament werde ein zentraler Ort der Demokratie bleiben, ist er überzeugt.

Die Politikwissenschaftlerin Birgit Sauer fragte, was es brauche, um Frauen stärker in die politischen Entscheidungsprozesse einzubinden. Erhard Busek konstatierte Demokratiedefizite in der EU und sah in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit einer Stärkung der Parlamente. Mit dem Thema Europa befasste sich auch der Politikwissenschaftler Josef Melchior, er setzte sich mit der Frage auseinander, wie repräsentativ das Europäische Parlament ist. Freda Meissner-Blau befasste sich mit der Transformation von neuen sozialen Bewegungen in Parteien.

Zentrales Thema der Tagung, die anlässlich des 90. Geburtstags von Wilhelm F. Czerny im Hohen Haus organisiert wurde, waren die Herausforderungen für Parteien und Parlamente in der modernen Demokratie. Das Diskussionspanel zu "Politik in der modernen Demokratie" wurde von Parlamentsdirektor Harald Dossi moderiert, das Panel unter dem Titel "Was sind und wozu brauchen wir politische Parteien?" von der Mitarbeiterin der Parlamentsdirektion Barbara Blümel.

Pelinka: Keine Krise des österreichischen Parteienstaats, sondern Normalisierung
Der grundsätzliche Zusammenhang von Demokratie und Parteienstaat und dem Schlagwort von der Krise der Parteien Anton Pelinka. Er ging dabei von der von Wilhelm F. Czerny nachdrücklich vertretenen These aus, dass Parteien eine notwendige Folge des politischen Pluralismus und der Funktionen des Parlaments sind. Grundsätzlich brauche die Demokratie politische Parteien, und so gesehen sei jede Demokratie ein Parteienstaat. Betrachte man die Geschichte der Demokratie in Österreich, so waren sowohl die Erste als auch die Zweite Republik Gründungen politischer Parteien. Im politischen und gesellschaftlichen Vakuum nach Ende des Zweiten Weltkriegs hätten die Parteien viele Bereiche besetzt, die sie in gefestigten Demokratien nicht einnehmen. Auch Parteimitgliedschaft spielte eine wichtigere Rolle als es heute der Fall ist. Pelinka wollte darin weniger eine Krise der Parteien erkennen als ein Anzeichen dafür, dass die Demokratie in Österreich gefestigt ist und sich der Normalität anderer demokratischer Staaten annähert.

Sauer: Wege zur stärkeren Repräsentanz von Frauen in der Politik
Die Frage, inwieweit das Parlament als Ort der Repräsentation von Frauen fungiert, stellte Birgit Sauer in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung. Sie griff dabei den Begriff der "Postdemokratie" auf, der vom britischen Politikwissenschaftler Colin Crouch geprägt wurde. Laut ihm werden durch eine fortschreitende Entpolitisierung die BürgerInnen aus den politischen Abläufen ausgeschlossen. Wähle man aber eine geschlechterspezifische Sichtweise, so war für Frauen in Österreich der Ausschluss aus den demokratischen Gremien immer der Normalfall, meinte Sauer. Seit den siebziger Jahren sei die quantitative Repräsentation im Parlament zwar auf 30 % angestiegen, stagniere aber unterdessen. Für eine bessere Repräsentation von Frauen in der Politik nannte Sauer drei zentrale Aspekte: durchsetzbare Quoten, Gremien und Institutionen, die ihre Arbeit den Gleichstellungszielen widmen, und schließlich eine Kooperation des Parlaments mit relevanten Gruppen der Zivilgesellschaft.

Busek: Die Stellung des Parlaments gegenüber Europa muss weiter entwickelt werden
Die Idee eines Vereinigten Europa habe in Politik, Parlament und Parteien Österreichs erst relativ spät Bedeutung gewonnen, befand Erhard Busek. Heute konstatiere man allgemein ein Demokratiedefizit in der Europäischen Union. Das betreffe etwa die verfassungsmäßig nicht genügend abgesicherte Stellung, die das Europäische Parlament in der EU habe. Als Mangel sah Busek auch den schwachen Austausch des österreichischen Parlaments mit den EU-Gremien. Diese demokratischen Abläufe müssten gestärkt werden, war Busek überzeugt. Er zog dabei einen historischen Vergleich. In den 1960er Jahren habe das österreichische Parlament im Unterschied zu seiner heutigen, wesentlich aktiveren Rolle noch eine relativ untergeordneten Stellung eingenommen.

Meissner-Blau: Graswurzel-Bewegungen sind nach wie vor wichtig
Freda Meissner-Blau, 1986 bis 1988 Vorsitzende der Grünen im Nationalrat, ging anhand des Aufstiegs der österreichischen Grünen der Frage nach, wie neue soziale Bewegungen zu Parteien werden. In den 1970er-Jahren habe es eine breite Aufbruchsstimmung gegeben, und in vielen sei der Wunsch entstanden, selbst Politik zu machen, schilderte sie. Die sich bildenden Initiativen und Gruppen hätten sich als Inseln des Neuen in einem Meer der traditionellen Politik verstanden. Gemeinsam sei der Frauenbewegung, der Friedensbewegung, der Anti-Atomkraft-Bewegung, den Umweltbewegten und anderen Gruppierungen gewesen, dass sie einer als gefährlich eingestuften Entwicklung entgegentreten wollten. Auch die Gefahr einer wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich sei damals schon erkannt worden.

Die ersten Versuche der Grünbewegung, in das österreichische Parlament zu kommen, seien an ideologischen Differenzen gescheitert, erinnerte sich Freda Meissner-Blau. Um Dinge zu bewegen und etwas zu erreichen, müsse man an einem Strang ziehen, so eine ihrer Lehren aus der damaligen Zeit. Als Schock und eine "unendliche Blamage" erlebte Meissner-Blau das Ergebnis der Wahl 1986, als sie allein mit sieben Männern im Nationalrat saß, und das trotz eines Reißverschlusssystems bei den Kandidatenlisten.

Kritisch äußerte sich Meissner-Blau zum wachsenden Pragmatismus der Grünen. Offenbar sei auf dem Weg zu einer normalen Parlamentspartei ein Bruch zu den "Graswurzeln" nicht zu vermeiden, bedauerte sie. Für Meissner-Blau ist jedenfalls klar, dass sich gewisse Ziele nicht ohne Graswurzel-Bewegungen erreichen lassen, da helfe auch eine Partei mit 20%igem Stimmenanteil nichts.

Welan: Weg in die Politik führt über Parteien
Der Verfassungs- und Demokratieexperte Manfried Welan, langjähriger Rektor der Universität für Bodenkultur in Wien, machte in seinem Referat zum Thema "Repräsentation durch Abgeordnete – Fiktion oder Realität" auf die Monopolstellung der Parteien beim Zugang zur Politik aufmerksam. Die Verfassung beruhe zwar auf der Vorstellung, dass das Parlament das abwesende Volk als Gemeinschaft repräsentiere und die Abgeordneten auf Basis von gesellschaftlichen Konsens bzw. Dissens Entscheidungen treffen, in der Realität führe aber kein Weg an den Parteien vorbei, skizzierte er. Ohne Parteien könne man weder politisch etwas werden, noch politisch etwas sein. Gleichzeitig würden sich die Abgeordneten durch ihren klassischen Werdegang als VertreterInnen bestimmter Interessen, seien es lokale, regionale oder wirtschaftliche, verstehen. Alle Abgeordneten seien RepräsentantInnen ihrer Herkunft und ihres Weges.

Welan hält die Parteien in diesem Sinn für die Demokratie nach wie vor für essentiell. Sie haben seiner Meinung nach auch eine besondere Verantwortung, da sie es sind, die die Auslese der PolitikerInnen vornehmen, die Suche nach dem bzw. der Richtigen obliege de facto ihnen. Es sind die Parteien, in denen PolitikerInnen sich zunächst bewähren müssen.

Melchior: Europäisches Parlament ist nicht in jeder Hinsicht repräsentativ
Mit der Repräsentationsfunktion des Europäischen Parlament (EP) setzte sich der Politikwissenschaftler Josef Melchior auseinander, wobei er einleitend einräumte, dass es schwierig zu definieren sei, was eine gelungene Repräsentation ist. Formal gesehen schneidet das Europaparlament seiner Meinung nach jedenfalls recht gut ab, auch wenn bei den Europawahlen der Grundsatz "one man, one vote" nicht zu hundert Prozent gelte. Auch die einzelnen EU-Mitgliedsländer sieht er an und für sich als angemessen im EP repräsentiert an. Bemerkenswert ist für ihn auch, dass der Frauenanteil im Europäischen Parlament mit 36% deutlich höher ist als im Durchschnitt der nationalen EU-Parlamente mit 21%.

Was die substantielle Repräsentativität des Europäischen Parlaments anlangt, ortet Melchior allerdings Defizite. Die Zusammensetzung der Europaabgeordneten spiegle nicht in jeder Hinsicht den Anspruch der WählerInnen wider, machte er geltend. Zwar bestehe etwa hinsichtlich der links-rechts-Positionierung eine recht hohe Korrelation zwischen den MandatarInnen und den WählerInnen. EU-kritische Abgeordnete waren hingegen sehr lange unterrepräsentiert.

Dass die Wahlbeteiligung bei Europawahlen stetig sinkt, hat laut Melchior auch damit zu tun, dass die Bedeutung des Europäischen Parlaments sowohl von den Parteien als auch von der Öffentlichkeit als gering geschätzt wird. Zudem gebe es mit dem Ministerrat und dem Europäischen Rat auch andere EU-Gremien, die den Anspruch erheben, die nationalen Völker zu repräsentieren. Um die Repräsentationsqualität des EP zu verbessern, hält er es unter anderem für erforderlich, dass Europaabgeordnete in der nationalen Öffentlichkeit sichtbarer und präsenter und im Wahlkampf europäische Themen stärker hervorgehoben werden.

 

 

 

Parlamentarismus zwischen Streitkultur, Klubzwang und Öffentlichkeit
Soll im Parlament eher der Streit um Positionen und Ideen oder der einhellige und oft vorab errungene Konsens demonstriert werden? Sind parlamentarische Klubs wichtige Wegweiser und zugleich Orientierung für politische Neuankömmlinge im Parlament oder wirken sie doch eher einschränkend, wenn es um die politische Individualität von Abgeordneten geht? Und wie steht es um den schmalen Grat, auf dem sich JournalistInnen oft befinden, wenn sie in der Berichterstattung einerseits zwischen der Verantwortung gegenüber der Institution und damit jener der Demokratie sowie andererseits ihrer ureigenen Aufgabe, nämlich kritisch zu hinterfragen, stehen? Darüber reflektierten im Rahmen des Symposiums im Parlament aus Anlass des 90. Geburtstags des früheren Parlamentsdirektors Wilhelm F. Czerny mit dem Titel "Parlament und Parteien: Ein Blick auf Österreich seit 1989" die Politikwissenschaftlerin Marion Löffler, der ehemalige Zweite Präsident des Nationalrats Heinrich Neisser sowie der stellvertretende Chefredakteur und Innenpolitik-Chef der Salzburger Nachrichten Andreas Koller. Das Diskussionspanel wurde von Parlamentsvizedirektorin Susanne Janistyn-Novák moderiert.

Löffler: Moderne Streitkultur braucht lebendige Debatten
Die Politikwissenschaftlerin Marion Löffler ging in ihrer Auseinandersetzung auf die politische Kultur beziehungsweise Streitkultur im Nationalratsplenum ein. Das Parlament befinde sich dabei, so Löfflers Feststellung, in einer problematischen Spannung. Kann doch Demokratie in ihrem definitorischen Kern einerseits durch erreichten Konsens, andererseits, und das betone der aktuelle demokratietheoretische Diskurs, durch Widerstreit von unterschiedlichen Positionen definiert werden. Ziel demokratischer Verfahren sei damit nicht die Herstellung von Einigkeit, sondern der Umgang mit Uneinigkeit. Dabei habe sich der Parlamentarismus in Österreich von einem "Legitimationsparlament" über ein "Kontrollparlament" hin zu einem "Arbeitsparlament" gewandelt. Richtig gearbeitet werde jedoch hinter den Kulissen in den Ausschüssen, denn die medialen Darstellungen von Plenardebatten würden oft nicht nach Arbeit aussehen, so die Politikwissenschaftlerin. Deshalb gebe es eine Diskrepanz zwischen der tatsächlichen politischen Arbeit und dem, was öffentlich sichtbar ist. "Das Plenum wird zunehmend zur Bühne, wo Politik nicht stattfindet, sondern inszeniert wird", konstatierte sie. Geht es nach Löffler, ist eine moderne Streitkultur charakterisiert durch lebendige Debatten, die auch humorvoll sein können, ohne zum sogenannten Kasperltheater zu werden. Lebendige Debatten würden Streit und Konflikt zulassen, es müsse aber auch Grenzen geben, betonte sie. Diese Grenzen zu bestimmen, sei aber nicht Aufgabe der Wissenschaft, sondern die einer demokratischen Rede- und Streitkultur.

Neisser spricht sich für autonome Abgeordnete aus
Aus der Sicht des Mandatars beleuchtete der ehemalige langjährige Abgeordnete und Zweite Präsident des Nationalrats Heinrich Neisser die Praxis des Parlamentarismus. Ein Mandatar, der zum ersten Mal ins Parlament gewählt wird, betrete völliges Neuland, berichtete er. Ein Parlamentsklubs biete wesentliche Orientierung, er bestimme aber auch über die politische Existenz wie etwa die Zuteilung zu den Ausschüssen. Seine Erfahrung habe gezeigt, dass sich Abgeordnete relativ rasch ergeben und sich für den parlamentarischen Betrieb einteilen lassen. In der Praxis sei die Möglichkeit, unter Berufung auf das verfassungsmäßig verankerte freie Mandat, eigene Wege zu gehen, stark eingeschränkt. Es sei eine persönliche Herausforderung, ein individueller Abgeordneter zu sein, wenn Inhalte durch die parlamentarischen Klubs vorgegeben werden, so Neisser. Dennoch gebe es die Chance, einen innerfraktionellen Diskurs zu nützen und zu beleben. Aus seiner Sicht brauche es einen autonomen Abgeordneten, der zur selbstkritischen Reflexion fähig ist. Nur so könne das Bild einer Fraktion und damit gleichzeitig das Bild des Parlaments ein anderes werden.

Koller: Parlament steht nicht auf Augenhöhe mit der Regierung
Es sei ein Dilemma, in dem ParlamentsredakteurInnen stecken, subsumierte der Präsident des Presseclubs Concordia Andreas Koller die Situation von JournalistInnen, geht es um die parlamentarische Berichterstattung. Denn wer das Parlament beschädige, und sei es durch kritischen Journalismus, laufe Gefahr, die Demokratie insgesamt zu beschädigen, so die Überlegung. Neben diesem Zwiespalt sei eine weitere schwer lösbare Frage, welche Aspekte des Parlamentarismus dargestellt werden sollen, warf Koller ein. Denn die Berichterstattung aus dem Plenum sei nicht nachhaltig und würde nur der "Showberichterstattung" dienen. Vielmehr habe sich die Parlamentsberichterstattung dorthin verschoben, wo Entscheidungen fallen, nämlich zu den Ausschüssen. Problem sei hier aber auch die fehlende Transparenz, sagte der Innenpolitik-Chef der Salzburger Nachrichten, der beim Ruf nach mehr Transparenz aber auch das Risiko in den Raum stellte, dass unter dem Beisein von JournalistInnen keine politischen Entscheidungen getroffen werden. Zudem habe es das Parlament nicht geschafft, auf die neue Art des Journalismus hinsichtlich Online-Angeboten zu reagieren. Im Umkehrschluss darauf hätten es aber auch die JournalistInnen nicht zu Wege gebracht, den Parlamentarismus in die neue Art des Journalismus zu inkorporieren. Er selbst glaube nicht, dass das Parlament als wirkliches "Machtzentrum der Republik" auf Augenhöhe mit der Regierung stehe, sagte Koller. Durch den Journalismus gebe es aber die Möglichkeit, dem Parlament den Status zu geben, den es haben sollte.

 

 

 

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