Koalitionsparteien bei Transatlantischem
 Freihandelsabkommen uneinig

 

erstellt am
22. 01. 15
11.00 MEZ

Faymann steht hundertprozentig zum Beschluss des Nationalrats
Wien (pk) – Beibehaltung europäischer Sozial-, Datenschutz- und Umweltstandards, Schutz öffentlicher Dienstleistungen, keine Sonderklagsrechte für Investoren sowie transparente Verhandlungen unter Einbindung der Öffentlichkeit und Ratifikation der Abkommen durch die nationalen Parlamente. So lauteten die Anforderungen, die der Nationalrat am 24. September 2014 in einer Entschließung an die Bundesregierung für Freihandelsabkommen der EU mit Kanada und USA formulierte. Am 21.01. thematisierte der Nationalrat die zwischen EU und USA sowie Kanada verhandelten Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) und CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) in einer Aktuellen Europastunde. Die Debatte ließ Auffassungsunterschiede zwischen den Fraktionen, auch zwischen den Regierungsparteien, erkennen. Im Zentrum stand die Frage, ob von Investitionsschutzklauseln in den Abkommen eine Gefahr für soziale und ökologische Standards sowie für ArbeitnehmerInnen, Gewerkschaften und KonsumentInnen in Europa ausgehen.

Freihandel ja, aber unter vernünftigen Bedingungen
Mit der genannten Entschließung vom vergangenen September hat der Nationalrat die Regierung klar beauftragt einzelne Punkte von TTIP abzulehnen, betonte Werner Kogler (G) und drängte angesichts des aktuellen Disputs in der Regierung auf ein klares und einiges Auftreten in Brüssel. Handel gehöre zu einer arbeitsteiligen Gesellschaft, die Frage sei aber, unter welchen Bedingungen, mit welchen Vor- und Nachteilen und für welche Güter. Die Grünen sind für Freihandel, aber dagegen, Lebens- und Futtermittel über den ganzen Globus zu karren, während Menschen in vielen Teilen der Welt verhungern. Investorenschutzklauseln in CETA und TTIP, wie sie von Österreich besonders gefördert werden, wie Kogler beklagte, seien zwischen entwickelten Ländern, wo ausreichender Investorenschutz bestehe, nicht notwendig. Die Entschließung des Nationalrats, von der sich der Bundeskanzler gestärkt sehe, sei nicht überholt, wie Wirtschaftsminister Mitterlehner kürzlich sagte. Die Verhandlungen sieht Kogler trotz mancher Verbesserungen in die falsche Richtung gehen. Vor allem warnen die Grünen davor, Abkommen vorläufig anzuwenden und vermuten dahinter eine perfide Taktik zur Umgehung der Parlamente.

Faymann für ein soziales, umweltfreundliches und faires TTIP
Bundeskanzler Werner Faymann bekannte sich nachdrücklich dazu, die Handelsbeziehungen zu den USA und Kanada zu fördern und diesbezügliche Vorschriften abzustimmen. Faymann begrüßte es auch, dass die zunächst intransparenten Verhandlungen nunmehr offener geführt werden. Österreich bemühe sich, bereits vorhandene Probleme in Europa nicht noch dadurch zu verstärken, indem man Konzernrechten zustimmt, die europäische Schutzbestimmungen aushöhlten. Soziale und ökologische Standards und die Qualität der Nahrungsmittel müssen gesichert werden, betonte der Bundeskanzler, der mitteilte, dass es darüber Diskussionen zwischen den Regierungsparteien gebe. Sondergerichte für Millionenklagen, Gefahr für soziale und ökologische Rechte. Er sei dagegen, Konzernen die Möglichkeiten zu geben, gegen Regierungen vorzugehen. Europa werde nicht sozialer und ökologischer, wenn große Konzerne auf kleine losgehen und Druck auf Gesetzgeber ausüben können. "Wir brauchen ein soziales, umweltfreundliches und faires TTIP", sagte der Bundeskanzler und unterstrich die NR-Entschließung vom letzten September, deren Umsetzung er als einen persönlichen Auftrag sehe und die er daher auch gegenüber der EU-Kommission und im Rat vertrete.

Er sei hundertprozentig dafür, dass Freihandelsabkommen von Parlamenten ratifiziert werden, sowie gegen Sondergerichte, weil der Investitionsschutz in USA, Europa und Kanada stark genug sei, sagte Faymann. Da jetzt darüber entschieden werde, ob über TTIP und CETA an den nationalen Parlamenten vorbei entschieden werden soll, müsse Österreich seine Interessen jetzt wahrnehmen, müsse jetzt klar sagen, was es wolle. Es gelte zu vermeiden, dass später ein Ergebnis vorliegt, über das man sich nur noch empören könne.

Manchen US-Konzernen sind die EU-Konsumentenschützer zu stark
Die USA betrachten hohe soziale und ökologische Standards in Europa als Handelshemmnisse, sagte Josef Cap (S) und warnte zudem davor, die 370.000 heimischen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) der Klagsindustrie der Konzerne und ihrer Anwälte ausliefern. Staaten sollen nicht länger mit privaten Investitionsschutzklauseln unter Druck gesetzt werden können. Cap warnte auch davor, die Aushöhlung sozialer, ökologischer und kultureller Standards mit dem Versprechen transparenterer Verfahren und der Mitsprache bei der Auswahl der Schiedsrichter charmanter zu gestalten. Manchen Konzernen seien die Konsumentenschutzorganisationen in Europa zu stark, vor allem in Österreich. In der Frage, ob es sich bei TTIP und CETA um gemischte Abkommen handle oder nicht, gehe es um die Zustimmung der Parlamente und damit um die Demokratie, um die lange gekämpft wurde. Von diesem richtigen Entschließungsantrag dürfe keinen Millimeter abgewichen werden.

60 von 100 Jobs in Österreich produzieren für den Export
Am Entschließungsantrag und der Einbindung des Parlaments sei nicht zu rütteln, sagte Jakob Auer (V), der aber ein Schiedsgerichtssystem beim Investitionsschutz nicht vorneweg ablehnen wollte. Vorsicht bei TTIP sei angebracht, vor allem aus der Sicht der Landwirtschaft. Da aber 60% der Beschäftigung in Österreich direkt vom Export abhänge, müsse man Exportchancen nützen. "Europäische Standards dürfen aber nicht auf dem Weltmarkt verhandelt werden, Verbraucherschutzinteressen müssen ernst genommen und eine Lösung für Probleme bei den Herkunftsproblemen gefunden werden", sagte Auer. Dabei sollte man aber nicht vergessen, dass 85.000 Jobs vom Export allein in die USA abhängen.

NAFTA als warnendes Beispiel vor TTIP
Als eine Illusion bezeichnete es Johannes Hübner (F), in Freihandelsabkommen mit den USA einen Freibrief für österreichische Exporteure zu sehen. Der Redner erinnerte an das Beispiel der nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA, in der hunderttausende Kleinbauern in Mexiko zugrunde gingen, die dann illegal in die USA auswanderten. NAFTA hat Arbeitsplätze vernichtet und sein Schiedsgericht hat gegen das Verbot eines hochgiftigen Benzinzusatzes aus den USA in Kanada entschieden und von diesem Land Schadensersatz verlangt. Solche Abkommen seien klar abzulehnen. Keine Unterwerfung unter private Schiedsgerichte, verlangte Hübner und forderte die Regierungsparteien auf, Rückgrat zu zeigen und international durchzusetzen, was sie im Nationalrat beschließen.

"Die Bürger Europas wollen soziale und ökologische Standards stärken", sagte Wolfgang Pirklhuber (G). Freihandelsabkommen verbessern ökologische Standards und Arbeitsrechte jedoch nicht. Agrarkonzerne, Pharmakonzerne, Saatgutkonzerne und die US-Lebensmittelindustrien drängen auf den europäischen Markt. Deren Lobbies wollen bei den TTIP-Verhandlungen europäische Standards senken. Auf der anderen Seite will die europäische Autoindustrie den Freihandel. Unverständlicherweise unterwerfe sich der Bauernbund dem Wirtschaftsbund und mache ÖVP-Bauernpolitik unglaubwürdig, kritisierte Pirklhuber. Wirtschaftliche Integration und eine EU-Arbeitsmarktpolitik - das sind aktuelle europäische Aufgaben, nicht die Absenkung sozialer und ökologischer Standards auf Kosten von KonsumentInnen, schloss Pirklhuber.

Als europäisches Sittenbild, kommunikationstechnischen Super-GAU und als Paradebeispiel für die kollektive Entmündigung von Politikern und PolitikerInnen in Europa sah Rouven Ertlschweiger (T) die TTIP-Verhandlungen. Jetzt werde wegen des öffentlichen Drucks zurückgerudert, "weil es in Europa mündige Bürger gebe, die auf die Barrikaden steigen", schloss Ertlschweiger.

Der Freihandel bietet Chancen, er hat nicht nur Risiken
Für Rainer Hable (N) fehlte die Ehrlichkeit in der Diskussion um TTIP. Es sei unredlich, von der Regierungsbank gegen ein Handelsabkommen zu wettern, für das die Regierung der EU-Kommission eben ein Verhandlungsmandat erteilt habe. Die Kommission habe sich bewegt, habe Positionspapiere veröffentlicht. Die NEOS werden weiterhin für entsprechende Transparenz sorgen. Die NEOS sind grundsätzlich für den Freihandel, weil Freihandel Wohlstand bringt, vor allem in einem Exportland wie Österreich.

Gegen die Aufnahme nicht notwendiger Sonderklagsrechte im Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada trat auch Christine Muttonen (S) ein. Es drohe eine Verschlechterung von Standards im Sozialsystem, im Umweltschutz, im Arbeitsrecht und beim Konsumentenschutz. Bleiben die Sonderklags-Klauseln im Vertragsrecht, stimme das österreichische Parlament nicht zu, sagte Muttonen und nannte Beispiele für Druck auf gewerkschaftliche Organisationen in US-Firmen. TTIP würde den Wettbewerb zwischen US- und EU-Unternehmen verschärfen, europäische Firmen unter Druck setzen und die Regierungen zwingen, Standards aufzuweichen. Auch in der Kunst- und Kulturpolitik soll Europa nicht dem amerikanischen Mainstream ausgeliefert werden.

Österreich verdankt seinen Wohlstand der Exportwirtschaft, sagte Angelika Winzig (V) und warnte davor, Ängste zu schüren. Europa müsse sich auf Überseemärkte konzentrieren und brauche dazu ein qualitativ hochwertiges Handelsabkommen. Die Verhandlungen zum Investitionsschutz wurden bereits ausgesetzt, für die Lösung dieses Problems liegen Vorschläge vor. Es gehe um den Abbau bürokratischer Hürden und um die Wahrung guter Chancen für die Exportwirtschaft. Ein gut ausgehandeltes TTIP könne die Konjunktur unterstützen, zeigte sich Winzig überzeugt.

Abnehmendes Vertrauen der Menschen in die Bundesregierung und in die Entscheidungsabläufe der EU registrierte Axel Kassegger (F), der seinerseits vor dem Abbau von Standards unter dem Titel "Überwindung von Handelshemmnissen" und vor Investitionsschutzklauseln warnte. Er rechne nicht mit zusätzlichen Arbeitsplätzen, sondern mit der Vernichtung von Existenzen. Keine Aushöhlung von Schutzstandards und Bestbieterprinzip, keine Aushöhlung der Standards bei öffentlichen Ausschreibungen - das gelte es in Brüssel deutlich zu machen, darauf haben die Regierungsparteien bislang verzichtet, kritisierte Kassegger.

Judith Schwentner (S) befasste sich mit Problemen, die TTIP bei der Erhaltung der Qualitätsstandards in der Agrarproduktion, bei Lebensmitteln sowie beim Schutz der Umwelt mit sich bringen werde. Schwentner begrüßte die Aussagen des Bundeskanzlers und sah seine Aufgabe darin, zu verhindern, dass Wirtschaftsminister Mitterlehner bei TTIP in die falsche Richtung galoppiere. Dazu gehöre die Umsetzung der Entschließung des Nationalrat vom September 2014, der auch die ÖVP zugestimmt hat, erinnerte Schwentner.

TTIP sei ein hübsch verpacktes Geschenk, dessen Inhalt die ÖsterreicherInnen mehrheitlich ablehnen, meinte Ulrike Weigerstorfer (T). Sie warnte vor dem Import genetechnisch veränderter Organismen, vor fehlender Transparenz der Verhandlungen und vor einem Vertrag, der es zulassen soll, auch nach der Ratifizierung schleichend und permanent ohne parlamentarische Zustimmung verändert zu werden.

Abschließend wandte sich Michael Pock (N) gegen Antiamerikanismus und Panikmache. Die Sorgen der Landwirtschaft seien ernst zu nehmen, man müsse aber nicht befürchten, dass durch TTIP Produkte verschlechtert würden. Kultur sei nicht Gegenstand des Vertrags, Genmais dürfe nicht angebaut und Chlorhühner nicht importiert werden – man sollte nicht versuchen, mit solchen Argumenten ein Freihandelsabkommen zu verhindern. Die NEOS treten für einen gemeinsamen Wirtschaftsraum EU-Nordamerika ein – das schafft Wohlstand und Arbeitsplätze und stärkt Europa in seinem Engagement für Frieden, Demokratie und Toleranz.

 

 

 

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