Regionen sichern Europa politische
 Identität und ökonomische Dynamik

 

erstellt am
16. 02. 15
08.00 MEZ

Sonja Zwazl und Volker Bouffier: Visionen für die Regionen Europas
Wien (pk) - In Österreich spielen die Bundesländer eine zentrale politische Rolle im Aufbau der Republik. Die Bundesstaatlichkeit zählt seit 1920 zu den Grundprinzipien der österreichischen Bundesverfassung. Eine umfassende Analyse der historischen, politischen und wirtschaftlichen Bedeutung der Regionen für Europa war am 13.02. das Thema einer Vortragsreiche, zu der Bunderatspräsidentin Sonja Zwazl den deutschen Bundesratspräsidenten Volker Bouffier, den österreichischen Historiker Ernst Bruckmüller und den Ökonomen Gottfried Haber im Plenarsaal der Länderkammer begrüßte. Die Diskussion im Anschluss an die Referate moderierte der ORF-Journalist Hans Bürger. Das Klassische Quintett der Militärmusik Niederösterreich sorgte für den musikalischen Rahmen der Veranstaltung.

Zuvor hatte Bundesratspräsidentin Sonja Zwazl ihren deutschen Amtskollegen Volker Bouffier zu einem Meinungsaustausch getroffen, in dem beide die wichtige Rolle der Regionen für den wirtschaftlichen Aufschwung betonten. Nicht nur in Österreich und Deutschland, wo die Länder an der Bundesgesetzgebung mitwirken, sondern auch im Gesamtgefüge der Europäischen Union seien starke Regionen wichtig. Eingehend diskutiert wurde in diesem Zusammenhang der steigende Wettbewerbsdruck, mit dem die Bundesländer konfrontiert sind.

Ein Europa der Toleranz, des Friedens und starker Regionen
Im Zentrum der Ausführungen von Bundesratspräsidentin Sonja Zwazl stand die Vision eines vereinten Europas der Regionen und des Friedens, das sich erfolgreich den Herausforderung der Globalisierung stelle. Die Terroranschläge in Frankreich, der kriegerische Konflikt in der Ukraine und die Flüchtlingstragödie vor Lampedusa zeigten, wie verletzlich Europa sei. Das europäische Friedensprojekt brauche eine gemeinsame Flüchtlingspolitik und beim Thema Griechenland müsse es gelingen, einen Umgang miteinander auf Augenhöhe zu finden. Besorgt zeigte sich die Bundesratspräsidentin auch wegen des Erstarkens nationalistischer Gruppen, die unter dem Deckmantel des Patriotismus ein Gedankengut verbreiten, das in einem Europa der Toleranz und des Friedens keinen Platz habe. Zwazl unterstrich den Wert der Toleranz und bekannte sich zu einer Gesellschaften der kulturellen Vielfalt. Im gemeinsamen Europa sei es wichtig, dass die Regionen ihre starken Identitäten behalten und einbringen. Österreich und Deutschland haben starke Regionen, die durch ihren wirtschaftlichen Erfolg zeigen, dass Regionalität ein Erfolgsmodell für Europa und in der Welt sei, sagte Bundesratspräsidentin Sonja Zwazl.

Europa der Regionen: Grenzen überwinden, Freiheit sichern
"Deutschland hätte sich als Zentralstaat nicht so stark entwickelt wie die Bundesrepublik", sagte der Präsident des Deutschen Bundesrates Volker Bouffier und gab seiner Überzeugung Ausdruck, dass Länder wie Deutschland und Österreich im Kreis der 28 EU-Mitgliedsländer für ihre föderale Besonderheit werben müssen. "Die Bundesländer sind ein Erfolgsgarant in Deutschland". Sie müssen sich auf eine – manchmal als kompliziert kritisierte - Weise miteinander verständigen und absprechen, was aber den Vorteil biete, Fehler zu vermeiden.

Europa sieht der deutsche Bundesratspräsident als den besten Platz auf der Welt an. Hier lebe erstmals in der Geschichte eine Generation in völligem Frieden, in Freiheit und in einem nie gekannten Wohlstand. Daher laute sein Motto "Grenzen überwinden und Freiheit sichern". Angesichts der Ereignisse in der Ukraine fordert Bouffier, die Lehren aus der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts zu ziehen und warnt davor, Grenzen mit Gewalt zu verschieben. Auch Bouffier sprach aktuelle Flüchtlingsprobleme an und unterstrich die Notwendigkeit, in Europa gemeinsam Verantwortung zu tragen. Dies setze voraus, die Menschen zu erreichen und von ihnen Unterstützung zu bekommen. Länder und Regionen können dabei die Brücke zwischen nationalen Regierungen sowie zentralen Bürokratien und den Menschen vor Ort bilden, sagte Bouffier. In einer Welt der Globalisierung bei gleichzeitiger Individualisierung suchten die Menschen Identität und Orientierung. Die Bundesländer können die Anonymität politischer Entscheidungen überwinden, weil sie näher bei den BürgerInnen sind. Sie können auch Differenzierungen in die Entscheidungen zentraler Bürokratien einbringen und dafür sorgen, dass sich regionale Unterschiede in den Regelungen wiederfinden. Es mangle nicht an Problemen, die uns noch lange beschäftigen werden, sagte Bouffier und nannte konkret die Alterung der Gesellschaft, die unterschiedliche Entwicklung der Regionen und nicht zuletzt den Islamismus.

Konkurrenz der Regionen bringt Dynamik in die Entwicklung Europas
Über die geschichtliche Bedeutung der Regionen Europas referierte Univ.-Prof. Ernst Bruckmüller (Österreichische Akademie der Wissenschaften). Gegenwärtig bezeichne der Begriff Region in der Europäischen Union Unterschiedliches: Einerseits bloße "Förderregionen", andererseits aber auch Länder, die über eine Identität, ein traditionelles Bewusstsein verfügten. Europäische Staaten wie Deutschland, Österreich oder die Schweiz seien aus dem Zusammenschluss von Ländern entstanden, während andere aus einem Einigungsprozess hervorgingen, in dem Regionen - oft auch gewaltsam – unterworfen wurden. An solche älteren Einheiten knüpften nun Zentralstaaten wie Italien in ihren Regionalisierungsbemühungen (Toskana, Venezien) an, merkte Bruckmüller an.

Im Weltmaßstab sei Europa klein strukturiert. Die europäischen Staaten seien vielfach nur kleinere Regionen. Historisch resultiere ihr Erfolg und damit der Erfolg Europas als Ganzes aus der Konkurrenz zwischen den Regionen. Diese Konkurrenz wurde im Rahmen der Nationalstaaten dysfunktional, endete mit der Integration in Nationalstaaten und ging schließlich auf den Prozess der Industrialisierung über. Heute könnte eine gesunde Konkurrenz zwischen regionalen Einheiten eine neue Funktion der Regionen in Europa sein. Die Regionen bieten politische Identifikation für Europa, sie könnten aber zugleich auch Dynamik in die europäische Entwicklung bringen, sagte der Historiker Ernst Bruckmüller.

Ökonomische Perspektiven für den europäischen Regionalismus
Auf ökonomische Perspektiven der Regionen Europas ging Univ.-Prof. Gottfried Haber (Donau-Universität Krems) ein. Die regionale Struktur besonders in Mitteleuropa sei als Stärke zu verstehen, betonte er, und müsse gerade wirtschaftspolitisch richtig genutzt werden. Die Regionen Europas sollten sich in dynamischen Netzwerken zusammenschließen, skizzierte Haber seinen Ansatz europäischer Wirtschaftspolitik, und je nach Sachbereich in wechselnden Verbünden miteinander kooperieren – etwa in Fragen der Industrie- oder der Migrationspolitik. Die Idee des gemeinsamen Europas habe nur Bestand, solange der ökonomische Zusammenschluss der Regionen funktioniere. Einige Politikbereiche, wie das Versorgungssystem, seien zwar besser von zentraler bzw. gesamtstaatlicher Ebene aus zu steuern, bei der Lösung arbeitsmarktpolitische Fragen wiederum sieht der Ökonomieprofessor eher die Regionen gefordert. "Ökonomie beginnt immer auf der Mikroebene", so Haber, die wirtschaftliche Zusammenarbeit von Regionen mit vergleichbaren Interessen stelle daher das Fundament der größeren Wirtschaftsgemeinschaft dar.

 

 

 

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