Bures: Aus Geschichte des Reichsrats
 Lehren für die Politik ziehen

 

erstellt am
18. 02. 15
11.00 MEZ

Helden und Hochverräter des Parlaments der Monarchie im Zentrum einer Veranstaltung im Hohen Haus
Wien (pk) – Der Reichsrat der Donaumonarchie bietet ein Kaleidoskop Mitteleuropas von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis weit über das Ende der alten Welt nach dem Ersten Weltkrieg hinaus. Gerade in seinen Mitgliedern spiegelt sich die wechselvolle Geschichte des Habsburgerreiches und des mitteleuropäischen Raums – von Bregenz bis Brody, von Broumov bis Triest und Kotor. Aus Hochverrätern wurden Minister, aus Helden wieder Hochverräter, und dazwischen finden sich Papierdiebe, Millionäre, Bankrotteure, Heilige und Betrüger. Eine Veranstaltung, zu der Nationalratspräsidentin Doris Bures gemeinsam mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in den Historischen Sitzungssaal des Hohen Hauses einlud, war am 17.02. den beinahe 3.500 Mitgliedern des Reichsrats aus der Zeit von 1848 bis 1918 gewidmet und beleuchtete dabei vor allem das berufliche, gesellschaftliche und politische Leben der Parlamentarier während und nach ihrer Mitgliedschaft im Hohen Haus.

Bures erinnert an Mark Twains Wiener Parlamentsreportagen
Nationalratspräsidentin Doris Bures erinnerte an den US-amerikanischen Schriftsteller Mark Twain, der zwischen 1897 und 1899 bei seinem Aufenthalt in Wien als interessierter Beobachter des politischen Geschehens auch einige turbulente Sitzungen des Reichsrats von der Galerie aus miterlebte. Der exzessive Obstruktionismus, von dem er in seinen Reportagen wortreich berichtete, mache anschaulich, in welch ein Chaos ein unterentwickelter Parlamentarismus und politische Unkultur führen können, meinte sie. Die Erfahrungen aus dem Reichsrat der Monarchie seien jedenfalls wichtig für den heutigen Diskurs über die demokratische Kultur.

Adlgasser berichtet von wechselvollen Parlamentarierschicksalen
Aus der Geschichte des Reichsrats können wir Anregungen finden, die uns bei der Lösung von Problemen des heutigen Parlamentarismus, so etwa hinsichtlich der Notwendigkeit von Kompromissen, helfen, bestätigte auch der Historiker Franz Adlgasser, der vor allem auf die oft erstaunlichen Karrieren der Reichsratsmitglieder aufmerksam machte. So saßen im Abgeordnetenhaus von 1848 sechs Parlamentarier, die wenige Jahre zuvor noch zum Tode verurteilt wurden, vier Abgeordneten aus 1848 wiederum wurden nach ihrer Flucht in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Im Verlauf des Ersten Weltkriegs schließlich wurden fünf Abgeordnete zum Tode verurteilt, einer, Cesare Battisti, wurde tatsächlich hingerichtet. Prominente europäische Politiker wie Tomas Masaryk oder Alcide De Gasperi begannen ihre Laufbahn als altösterreichische Parlamentarier. Adlgasser erinnerte aber auch an zahlreiche Mitglieder des Reichsrats, die später Opfer des nationalsozialistischen bzw. des stalinistischen Terrors wurden.

Der Reichsrat als Modell für Europa?
Die Frage, ob nun der Reichsrat als Modell für das neue Europa gesehen werden könne, wurde im Rahmen einer Diskussion aufgeworfen. Der Botschafter Sloweniens, Andrej Rahten, attestierte dem Parlament der Monarchie zwar, den Leitgedanken der Gleichberechtigung der Völker vorangetrieben zu haben, ortete aber große Unterschiede zwischen Theorie und Praxis. So sei es nicht gelungen, über die Grenzen der Nationalitäten hinweg politische Parteien zu gründen, auch habe die deutsche Sprache trotz der prinzipiellen Gleichbehandlung aller Sprachen de facto eine hegemoniale Rolle eingenommen. Die Präsidentin der Philosophisch-Historischen Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Brigitte Mazohl, hob ebenfalls die Gleichberechtigung der Nationalitäten hervor und stellte fest, die Art, wie versucht wurde, mit einer äußerst komplexen Situation umzugehen, könne durchaus als Modell für Europa dienen. Die Spielregeln haben trotz des mitunter exzessiven Obstruktionismus funktioniert, befand der Historiker Robert Luft.

Biographisches Lexikon gibt Auskunft über 3.500 Reichsratsabgeordnete
Anknüpfungspunkt der Veranstaltung war das im Oktober 2014 am Institut für Neuzeit- und Zeitgeschichteforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erschienene zweibändige Werk "Die Mitglieder der österreichischen Zentralparlamente 1848-1918. Ein biografisches Lexikon". Franz Adlgasser rückt darin anhand von biographischen und parlamentarischen Grunddaten und Angaben zum familiären Umfeld diese politische und gesellschaftliche Führungsgruppe erstmals in den Blick der Öffentlichkeit.

Historischer "Abfall" ermöglicht Einblick in den Alltag der Abgeordneten
Im Rahmen der Veranstaltung stellte die Parlamentsbibliothek in der Säulenhalle das Februarpatent aus dem Jahr 1861 aus, das darauf abzielte, ein gemeinsames Parlament für die Gesamtmonarchie zu schaffen. Gezeigt wurden zudem auch Fundstücke aus dem Historischen Sitzungssaal, die bei Umbauarbeiten im Jahr 2013 zu Tage traten. Die Palette dieses historischen "Abfalls" umfasst Redenotizen, alte Straßenbahnfahrscheine, Ansichtskarten, Bittgesuche, aber auch eine Original-Bierflasche aus der Zeit um 1930 samt dazugehörigem Jausensackerl.

 

 

 

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