Nationalrat: Breite Debatte über
 Sozialpolitik der Regierung

 

erstellt am
26. 02. 15
11.00 MEZ

Opposition fordert umfassende Strukturreformen und Anpassung der Mindestsicherung
Wien (pk) - Die aktuelle schwierige Situation am Arbeitsmarkt dominierte in der Nationalratssitzung vom 25.02. Grundlage dafür war der Sozialbericht 2013-2014, der auf fast 400 Seiten nicht nur über die Tätigkeiten des Ressorts informiert, sondern auch zahlreiche Studien enthält, die u.a. die Entwicklung und Verteilung der Einkommen in Österreich, die Lebensbedingungen, die Armuts- und Ausgrenzungsgefährdung sowie die Auswirkungen der Krise zum Inhalt haben. Mitverhandelt wurden zudem acht Anträge der Opposition, in denen u.a. die Vereinheitlichung der bedarfsorientierten Mindestsicherung , die Aufstockung des Personalstands in der Finanzkontrolle , die Vereinheitlichung des Sozialversicherungssystems sowie die detaillierte Aufschlüsselung der Beiträge für die Arbeitslosenversicherung gefordert wurden; diese fanden keine Mehrheit.

FPÖ fordert verstärktes Vorgehen gegen Lohn- und Sozialdumping und Herkunftsprinzip bei Mindestsicherung
FPÖ-Abgeordneter Herbert Kickl stellte der Sozialpolitik der Bundesregierung ein vernichtendes Zeugnis aus. Obwohl die Anzeichen für eine dramatische Verschlechterung der Situation am Arbeitsmarkt schon seit langem sichtbar waren, habe der zuständige Minister Hundstorfer die Lage noch immer schön geredet und völlig falsche Prognosen abgegeben. Wer in der Analyse so daneben liegt, laufe Gefahr, dass er auch bei den entsprechenden Gegenmaßnahmen die falsche Richtung einschlägt, urteilte Kickl. Auch die neue "neue Wunderwaffe" der SPÖ, nämlich die kaufkraftsteigernde Steuerreform", wurde vom "Wiener Bürgermeister gerade zu weiten Teile zusammengeschossen". Außerdem würde ein möglicher Beschäftigungszuwachs nicht den ÖsterreicherInnen zugutekommen, sondern den Zuwanderern aus Osteuropa, die von der Öffnung des Arbeitsmarktes profitieren. Vielleicht sollte man endlich die Anträge der Freiheitlichen ernst nehmen und etwa ein Herkunftsprinzip bei der Mindestsicherung einführen, ein Maßnahmenpaket gegen die Teuerung schnüren sowie eine Anti-Lohn- und Sozialdumping-Offensive starten, schlug er vor.

Seine Fraktionskollegin Dagmar Belakowitsch-Jenewein wiederholte die Forderung nach einer sektoralen Schließung des Arbeitsmarktes, um gefährdete Branchen besser schützen zu können. Man sollte nur dann neue Leute ins Land holen, wenn sie in Mangelberufen ausgebildet sind, argumentierte sie, denn die Arbeitslosenrate unter AusländerInnen sei jetzt schon hoch genug. Sogar der ÖGB trete mittlerweile angesichts der Situation am Arbeitsmarkt für eine Beschränkung der Zuzugs ausländischer Arbeitskräfte ein.

Rupert Doppler (F) ging auf den Antrag seiner Fraktion ein, der auf ein einheitliches Sozialversicherungssystem in Österreich abzielt. Nur durch eine Zusammenführung sämtlicher Beitragsleistungen, Finanzierungs- und Steuerungsfunktionen sei gewährleistet, dass es eine schlanke, effiziente und zeitgemäße Verwaltungsstruktur im Sinne der Versicherten gebe. Obwohl die Regierung immer wieder eine Verwaltungsreform ankündigt, sei sie weit und breit nicht in Sicht. Peter Wurm (F) wies auf die starke Zunahme von BezieherInnen der Mindestsicherung hin, die z.B. in Tirol aus über 80 Nationen stammen. Unter dieser Entwicklung leiden vor allem die Gemeinden, die diese Ausgaben nicht mehr stemmen können. Außerdem fördere das System offensichtlich den Missbrauch, zeigte Werner Neubauer auf, hier müsse endlich etwas getan werden.

SPÖ: Finanzierbarkeit des guten, österreichischen Solidarsystems ist gesichert
Gerade der Sozialbericht 2013-2014 zeige sehr deutlich, welche umfangreichen Anstrengungen das Ressort unternommen habe, um rechtzeitig und effizient etwa gegen die Entwicklungen am Arbeitsmarkt vorzugehen oder um Armut weiter zu bekämpfen, entgegnete SPÖ-Mandatar Josef Muchitsch den freiheitlichen Mandataren. Österreich werde von seinen EU-Partnern auch immer wieder dafür gelobt, trotz schwieriger wirtschaftlicher Umstände die hohen Standards aufrechtzuerhalten. Es sei aber auch unrealistisch zu glauben, dass der Sozialminister ein Zauberer ist, der für alles verantwortlich sei und alles lösen könne. Muchitsch wehrte sich auch gegen den Vorwurf, dass die Vorschläge der Opposition nicht ernst genommen werden. Es werde ausführlich im Ausschuss darüber diskutiert, gab er – ebenso wie seine Fraktionskollegin Ulrike Königsberger-Ludwig - zu bedenken. Allerdings könne man nicht etwas beschließen, das rechtlich oder finanziell nicht umsetzbar sei. Die Sozialdemokraten haben hingegen eine Reihe von Vorschlägen auf den Tisch gelegt, die im Sinne der ArbeitnehmerInnen sind, betonte Muchitsch. So werde eine Steuerreform kommen müssen, die etwa auch jene entlastet, die bis jetzt keine Lohnsteuer zahlen. SPÖ-Mandatar Walter Schopf erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass es gerade die Freiheitlichen waren, die gegen das Lohn- und Sozialdumpinggesetz, das einzigartig in Europa ist, gestimmt haben.

Erwin Spindelberger (S) warf den Freiheitlichen vor, ständig Schauermärchen zu verbreiten und den Leuten einreden zu wollen, dass die Kranken- oder die Pensionsversicherung nicht mehr finanzierbar wären. In den letzten Jahren wurden wichtige Reformen eingeleitet, die u.a. zu einem Anstieg des tatsächlichen Pensionsantrittsalter sowie zu einer Umstrukturierung des Gesundheitswesens geführt haben. Johann Hechtl (S) erinnerte wiederum an die Einführung des Bildungsteilzeitgelds, der Pflege(teilzeit)karenz oder der Verbesserung des Arbeitnehmerschutzes.

Die seien die richtigen Maßnahmen und nicht etwa die Anhebung des Frauenpensionsalters, wie von manchen Parteien vorgeschlagen, urteilte Wolfgang Knes (S). Es soll auch nicht auf jenen herumgetrampelt werden, die das schwächste Glied in der Gesellschaft darstellen und von Sozialhilfe leben müssen.

Grüne: Vermögende sollen einen Beitrag zu mehr Einkommensgerechtigkeit leisten
Ein zentrales Ergebnis des Sozialberichts sei, dass es in Österreich eine enorm ungleiche Vermögensverteilung gibt, hob Judith Schwentner von den Grünen hervor. Unabhängig von Wirtschafts- und Finanzkrise sei das Einkommen aus Vermögen in den letzten drei Jahrzehnten viel stärker gestiegen als jenes aus Arbeit. Es sollten daher endlich die ArbeitnehmerInnen deutlich entlastet und vermögensbezogene Steuern eingeführt werden, forderte die Sozialsprecherin. Besorgniserregend sei auch die Tatsache, dass gerade jene Menschen, die ohnehin wenig haben, einen immer größeren Anteil ihres Gehalts für das Wohnen ausgeben müssen. Kaum verändert habe sich auch die Lohnschere zwischen Männern und Frauen, hier habe die Politik total versagt. Handlungsbedarf sah sie auch bei der bedarfsorientierten Mindestsicherung, die in der Umsetzung viele Mängel aufweise und ihrer Meinung nach eine föderale Sackgasse sei, die nicht bei den Menschen ankomme. Schwentner trat zudem für eine Harmonisierung des Sozialversicherungssystems ein, da das jetzige Modell weder sparsam noch gerecht sei.

ÖVP für Anpassung der Mindestsicherung und bessere Anrechnung von Kindererziehungszeiten
ÖVP-Sprecher August Wöginger räumte ein, dass es noch viele Herausforderungen in der Sozialpolitik gibt, man sollte jedoch nicht die Augen vor den Fakten verschließen. So könne man dem vorliegenden Bericht nicht nur entnehmen, dass nicht nur die Anzahl der armutsgefährdeten Menschen in Österreich rückläufig sei, sondern auch jener Personen, die einen sehr niedrigen Lebensstandard haben. Was die Frage der Einkommensgerechtigkeit betrifft, so müsse man auch sehen, dass Österreich im EU-Vergleich "Umverteilungs-Europameister" ist. Ansetzen müsse man aber durchaus bei den Gehaltstabellen, regte Wöginger in Richtung der Sozialpartner an: "Wir brauchen höhere Einstiegsgehälter und eine flachere Verdienstkurve". Der ÖVP-Mandatar hielt es für wichtig, dass Frauen, die sich um ihre Kinder kümmern wollen, die Möglichkeit haben, Teilzeit zu arbeiten. Allerdings sollten diese Jahre dann auch besser für die Pension angerechnet werden. Verbesserungen wünschte er sich auch in Bezug auf die Mindestsicherung, da gewährleistet sein müsse, dass diese Unterstützung nur jene bekommen, die sie auch wirklich benötigen. Wenn es nämlich kaum mehr Unterschiede zwischen den Löhnen und der Sozialhilfe gibt, dann bestehen keine Anreize, sich wieder eine Arbeit zu suchen, meinte auch Gabriel Obernosterer (V).

Elisabeth Pfurtscheller (V) zeigte sich vor allem besorgt über die überdurchschnittliche hohe Armutsgefährdung von alleinstehenden PensionistInnen. Eine Lösung für dieses Problem könnte ihrer Ansicht nach die Einführung des Pensionssplittings sein. Auch wenn die Reformen im Bereich der Pensionen greifen, brauche es noch weitere Schritte und Anreize, um die Menschen länger im Arbeitsprozess zu halten, meinten auch Johann Höfinger und Gertrude Aubauer (V). Dies hätte positive Auswirkungen vor allem auf die Frauen, die dadurch höhere Pensionen erreichen können. Handlungsbedarf gebe es nach Meinung von Aubauer in Wien, das sich noch immer weigere, die Regelungen für BundesbeamtInnen zu übernehmen.

Abgeordneter Franz-Joseph Huainigg (V) gab zu bedenken, dass Menschen mit Behinderungen zu den Verlierern am Arbeitsmarkt gehören. Er wünschte sich daher zusätzliche Angebote in diesem Bereich und eine bessere Information der Arbeitgeber. Abschließend wiederholte er mit Nachdruck seine Forderung nach einer Änderung der "eugenischen Indikation" im Fall von Schwangerschaftsabbrüchen.

NEOS: Reformstau gefährdet die Absicherung des Sozialstaats
Wie dem Sozialbericht zu entnehmen ist, funktioniere die Umverteilung im Land nicht so schlecht, zumal die Armutsgefährdung gesunken sei, erklärte Gerald Loacker von den NEOS. Dies erübrige wohl auch das ständige "Geplärre nach Vermögenssteuern". Gleichzeitig belegen die Zahlen aber deutlich, dass es einen Reformstau in der Wirtschafts- und Strukturpolitik, für den u.a. natürlich auch der Sozialminister die Verantwortung übernehmen müsse. Es fallen nämlich viele Bereiche in sein Ressort, die einen Einfluss auf die Belastung des Faktors Arbeit haben, gab Loacker zu bedenken. Auch wenn die erforderlichen Maßnahmen "keinen Spaß" machen, müsse man sie endlich angehen, um nicht dort zu landen, wo jetzt Spanien oder Griechenland angelangt sind, warnte der NEOS-Mandatar. Er brachte schließlich noch einen Entschließungsantrag ein, in dem eine schrittweise Absenkung der Arbeiterkammerumlage um jeweils 0,05 % in den kommenden fünf Jahren gefordert wird.

Michael Pock befasste sich vor allem mit der Beschäftigungssituation von Frauen und brachte diesbezüglich auch zwei Entschließungsanträge ein. Ansetzen müsse man nach Ansicht der NEOS u.a. bei der Einkommensschere, der generellen Erwerbsquote, die deutlich niedriger sei als in skandinavischen Ländern, dem Problem der Altersarmut sowie der hohen Anzahl an teilzeitbeschäftigten Frauen (45 %). Die NEOS sprechen sich auch für Zusammenlegung der derzeit 22 Sozialversicherungsträger aus, erinnerte Nikolaus Alm. Es sei nicht einzusehen, dass verschiedene Berufsgruppen für dieselbe medizinische Behandlung unterschiedliche Beiträge und Selbstbehalte zahlen. Ein ungelöstes Problem seien auch nach wie vor die Mehrfachversicherungen .

Team Stronach beklagt standortfeindliche Politik, unerträgliche Bürokratie und viel zu hohe Steuerlast
Es sei "viel zu billig", die Rekordarbeitslosigkeit in Österreich auf die europäische und internationale Konjunktur zur schieben, meinte Kathrin Nachbaur vom Team Stronach. Sie befürchtete, dass sich die Lage nicht bald bessern werde, da die ihrer Meinung nach standortfeindliche Politik fortgesetzt werde. Sozialismus habe aber noch in keinem Land funktioniert, urteilte sie, und missverstandene Fürsorge führe in den finanziellen Ruin. Es sei nur zu hoffen, dass die Wähler nicht auf die "roten Umverteilungsfantasien" reinfallen. Nur eine funktionierende private Wirtschaft, die im Rahmen eines schlanken und verlässlichen Rechtsstaates agiert, könne Arbeitsplätze und Wohlstand schaffen, war Nachbaur überzeugt. In Österreich finden die UnternehmerInnen aber sehr schwierige Bedingungen vor und können sich die MitarbeiterInnen aufgrund der viel zu hohen Lohn- und Arbeitskosten oft nicht mehr leisten. Der Sozialforscher Bernd Marin rechnet etwa vor, dass die Frühpensionen und Beitragslücken dem Staat ca. 15 Mrd. € pro Jahr kosten. Statt über neue Steuern zu diskutieren, sollte man einfach die 595 Vorschläge des Rechnungshofs umsetzen, schlug Leopold Steinbichler (T), dadurch könnte man ausgabenseitig sehr viel einsparen.

Neben einer Kürzung der Lohnnebenkosten fordere ihre Fraktion daher auch eine Schaffung von Anreizen für jene ArbeitnehmerInnen, die länger arbeiten wollen, erklärte Nachbaur. Dringend korrigieren müsse man zudem die verfehlte Einwanderungs- und Integrationspolitik, die sich u.a. in der hohen Arbeitslosenrate von AusländerInnen niederschlage. Analog zum kanadischen System sollten Kriterien erarbeitet werden, um jene Arbeitskräfte ins Land zu holen, die wirklich gebraucht werden, erläuterte Abgeordnete Waltraud Dietrich. Nicht hinnehmen könne man auch die Tatsache, dass fast jeder Fünfte als armutsgefährdet gilt, wobei vor allem Frauen und Mehrkindfamilien betroffen sind; dies sei eine Schande für Österreich.

Sozialminister Rudolf Hundstorfer zeigte sich offen gegenüber konstruktiven Vorschlägen, diese müssen aber auch umsetzbar sein. Die Freiheitlichen wies er u.a. darauf hin, dass Österreich das einzige Land in der EU war, dass anlässlich der Öffnung des osteuropäischen Arbeitsmarktes die maximalen Übergangszeiten genutzt habe. Außerdem seien 40 % der Menschen, die in den letzten sechs Jahren zugewandert sind AkadamikerInnen oder FH-AbsolventInnen.

Bei der Abstimmung wurde der Sozialbericht mehrheitlich zur Kenntnis genommen; die Anträge der Opposition fanden keine Mehrheit. Abgelehnt wurden die im Laufe der Sitzung eingebrachten Anträge der NEOS (schrittweise Absenkung der Arbeiterkammerumlage, frühere Anpassung des Frauenpensionsantrittsalters, Pensionssplitting), der FPÖ (Maßnahmenpaket gegen sektorale Arbeitslosigkeit und Herkunftslandprinzip bei der Mindestsicherung) sowie des Team Stronach betreffend Einführung eines transparenten Pensionsmonitorings im öffentlichen Dienst.

 

 

 

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