Eine "High-Road"-Strategie für ein besseres Europa

 

erstellt am
25. 02. 15
10.00 MEZ

Wien (wifo) - "Das europäische Wirtschafts- und Sozialmodell muss weiterentwickelt werden" forderte die EU-Kommissarin Marianne Thyssen in ihrer Rede auf der heutigen Konferenz zum Thema "Sozialer und ökologischer Fortschritt: Europa in einer langfristigen Perspektive" in Brüssel. Auf dieser Konferenz präsentierten Forscher und Forscherinnen des von der EU im 7. Forschungsrahmenprogramm finanzierten Projektes WWWforEurope die Ergebnisse ihrer Arbeit Vertreterinnen und Vertretern europäischer und internationaler Institutionen, der europäischen Sozialpartner, der Wissenschaft und von NGOs. Der WIFO-Leiter und Koordinator dieses wegweisenden Projektes Karl Aiginger fasste die Ergebnisse folgendermaßen zusammen: "Die einzige Chance für Europa in einer globalisierten Welt liegt in der Verfolgung einer 'High-Road'-Strategie, basierend auf Qualität, Innovation und Qualifikation."

"Der Endzweck von Wettbewerbsfähigkeit", so Aiginger weiter, "ist die Erreichung von Wohlfahrtszielen. Internationale Wettbewerbsfähigkeit sollte nicht durch niedrigere Lohnkosten, Umwelt- oder Sozialstandards - die Elemente einer 'Low-Road'-Strategie - angestrebt werden. In dieser Hinsicht werden Schwellenländer immer wettbewerbsfähiger sein, und die Verfolgung dieser Strategie würde weg von den über das BIP hinausgehenden Wohlfahrtszielen ("beyond GDP") führen. Der Beitrag des Projektes WWWforEurope in dieser Diskussion ist die Definition von Instrumenten, die Umweltschutz und soziale Inklusion kompatibel mit wirtschaftlicher Dynamik machen. Dazu zählen innovative Strategien zur Abkoppelung des Ressourcenverbrauches vom Wirtschaftswachstum, eine Verbesserung der Ausbildung, der Einsatz aktivierender Maßnahmen auf dem Arbeitsmarkt und eine gut funktionierende Verwaltung." Jeffrey Sachs (The Earth Institute) als Mitglied des wissenschaftlichen Beirates des Projektes befürwortet diese Strategie: "Im Zeitalter nachhaltiger wirtschaftlicher Entwicklungen brauchen wir einen ganzheitlichen Ansatz, der wirtschaftlichen Fortschritt, starke Sozialsysteme und ökologische Nachhaltigkeit in sich vereint."

Rodger Liddle (Policy Network) und Atilim Seymen (Deutsche Bundesbank) diskutierten sozialpolitische Themen in kurz- und langfristiger Perspektive. Liddles Kritik richtete sich vor allem auf das Versagen der wirtschaftlichen Institutionen der EU bei der Unterschätzung der Risiken sozialer Ungleichheit für wirtschaftliche und politische Entwicklungen. Eine vertiefte Integration bei Beachtung politischer Diversität wäre für alle EU-Mitgliedsländer von Vorteil.

Atilim Seymen präsentierte seine Ideen zu notwendigen Arbeitsmarktreformen: Eine Analyse der deutschen Hartz-Reform zeigte zwar positive Auswirkungen auf den dortigen Arbeitsmarkt, aufgrund von unterschiedlichen Systemen und Überlagerungseffekten kann diese Reform jedoch nicht als Best-Practice-Modell für andere europäische Länder dienen. Allerdings kann der Schluss daraus gezogen werden, dass die mit solchen Reformen einhergehenden Verteilungswirkungen schädliche Auswirkungen auf den Ruf solcher Maßnahmen und deren Effektivität haben.

Jeroen van den Bergh (Universitat Autònoma de Barcelona), Marina Fischer-Kowalski (Institut für soziale Ökologie) und Kurt Kratena (WIFO) präsentierten ihre Forschungsergebnisse im Rahmen eines Panels zum Thema "Langfristiges Wirtschaftswachstum und Ressourcenentkopplung". Die langfristige Verknappung von Energie und Rohstoffen erfordert eine vollständige Entkopplung ihres Einsatzes von der Wachstumsdynamik der Wirtschaft. Jeroen van den Bergh nannte eine Reihe von Herausforderungen, von Rebound-Effekten bis hin zu sozialpolitischer Durchführbarkeit. Marina Fischer-Kowalski zeigte, dass die Implementierung intelligenter Umweltabgaben und/oder fiskalpolitischer Anreize eine in sozialer Hinsicht faire und ökologisch nachhaltige Entkopplung ermöglicht.

Georg Licht (ZEW Mannheim) und Reinhilde Veugelers (KU Leuven) präsentierten eine weitere Sichtweise dieser Problematik in ihren Beiträgen zu "Innovation, Beschäftigung und Umwelt". Umweltinnovationen tragen zur Emissionssenkung bei und/oder schaffen CO2-verringernde Technologien bei gleichzeitiger Verstärkung des Wirtschaftswachstums und der Widerstandsfähigkeit gegen Krisen. Im Gegensatz zur herrschenden Meinung müssen solche Umweltinnovationen keine Arbeitsplätze vernichten, sondern können sogar beschäftigungssteigernde Wirkungen haben.

An einer hochrangigen politischen Podiumsdiskussion nahmen anlässlich der WWWforEurope-Konferenz Miguel Gil Terte (Europäische Kommission), Janneke Plantenga (Universität Utrecht), André Sapir (Bruegel) und Frank Vandenbroucke (KU Leuven und früherer belgischer Minister für Soziales, Gesundheit, Pensionen und Beschäftigung) teil. Europa leidet immer noch an den Nachwirkungen der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise der Jahre 2008/09. Dennoch drängt die Zeit, den Kurs in Richtung eines sozioökologischen Wandels zu setzen, wie er auf Basis der Ergebnisse des Forschungsprojektes aufgezeigt wird. Grundlagen dafür sind eine verstärkte europäische Integration und eine Reform der gemeinschaftlichen Institutionen. Der wachsenden Euro-Skepsis sollte eine glaubwürdige Politik in Richtung eines "besseren" Europa und einer "High-Road"-Strategie zum Nutzen aller Bürgerinnen und Bürger entgegengesetzt werden.

An dieser Veranstaltung nahmen Repräsentantinnen und Repräsentanten der Europäischen Kommission, des Europäischen Wirtschafts- und Sozialkomitees (EESC) und der Europäischen Umweltagentur teil. Auch Vertreterinnen und Vertreter einiger übereuropäischer internationaler Organisationen wie der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) oder der OECD waren anwesend. Weitere Teilnehmerinnen und Teilnehmer von europäischen Universitäten, den Think Tanks Bruegel, Wuppertal Institute und Club of Rome, der Sozialpartner einzelner Mitgliedsländer und ihrer europäischen Dachorganisationen und von NGOs wie etwa Green Budget Europe oder Friends of Europe folgten der Einladung zu diesem wichtigen Diskurs.

 

 

 

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