Sterbehilfediskussion: Jeder Dritte
 befürchtet Missbrauchsgefahr

 

erstellt am
01. 04. 15
11.00 MEZ

Religiosität entscheidet über grundsätzliche Einstellung
Graz (medunigraz) - Aktuelle Ergebnisse einer schriftlichen Umfrage im Auftrag des Instituts für Sozialmedizin und Epidemiologie der Med Uni Graz schaffen eine neue Grundlage für die Sterbehilfediskussion in Österreich und liefern Daten, wie sich die Mehrheit der ÖsterreicherInnen das eigene Lebensende vorstellt. Entgegen der im Frühjahr 2014 durchgeführten persönlichen Befragung, liefert die erstmals schriftlich durchgeführte Erhebung andere Ergebnisse: So sprechen sich rund 60% der Befragten für die Legalisierung der Tötung auf Verlangen aus - wenngleich auch unter der Einhaltung bestimmter Voraussetzungen. Vor allem die gelebte Religiosität bestimmt die grundsätzliche Einstellung zu diesem Thema maßgeblich. In Gedanken an das eigene Lebensende treten vor allem Angehörige und nahestehende Personen in den Vordergrund.

Sterbehilfe: 59% können sich eine Legalisierung vorstellen
1.200 Personen nahmen an der repräsentativen schriftlichen Umfrage zum Thema Sterbehilfe teil, welche das Marktforschungsinstitut Gfk Austria im Auftrag der Med Uni Graz durchgeführt hat. "59% sprachen sich für eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe unter bestimmten Voraussetzungen aus, 34% votierten für ein grundsätzliches Verbot - 7% der Befragten konnten sich nicht für oder gegen ein Verbot entscheiden", fasst Studienleiter Univ.-Prof. Mag. Dr. Willibald Stronegger, Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie der Med Uni Graz, die Ergebnisse zusammen. Unerträgliches schweres Leiden ohne Aussicht auf eine Genesung, sowie der wiederholte Wunsch nach aktiver Sterbehilfe stellen solche "Voraussetzungen" zur Legalisierung der Sterbehilfe dar. Der Anteil an unentschlossenen Personen war demnach deutlich geringer, als in der persönlichen Befragung aus 2014 (15%). Auch die anderen Ergebnisse zeigen Unterschiede: 2014 befürworteten 47,5% der Befragten die aktive Sterbehilfe im persönlichen Interview, 37,5% forderten ein generelles Verbot.

Mehrheit kann sich Sterbehilfe in Ausnahmesituationen vorstellen
Erstmals wurden den Befragten in der vom Land Steiermark geförderten Erhebung folgende Antwortalternativen angeboten: Einerseits ein ausnahmsloses Verbot der aktiven Sterbehilfe mit Bestrafung, andererseits zwar ein generelles Verbot, jedoch mit der Option auf Straffreiheit bei besonders schwer leidenden PatientInnen. Von den strikten Verbotsbefürwortern sprachen sich fast alle für die Option auf Straffreiheit aus - lediglich 3% der gesamten Stichprobe votierten für ein striktes Verbot ohne Straffreiheit.

Geringere Zustimmung für ärztlich assistierte Selbsttötung
Die Möglichkeit der selbstbestimmten Lebensbeendigung mittels Beihilfe zur Selbsttötung - dem Patienten wird ein tödliches Medikament zur Selbsteinnahme ärztlich beigestellt - wird von 39% der Befragten strikt abgelehnt. 53% der gesamten Befragten sprechen sich für eine Legalisierung dieser Methode aus. Damit ist die Akzeptanz des ärztlich assistierten Suizids im Allgemeinen niedriger als es in Bezug auf die aktive Sterbehilfe der Fall ist. Aber auch hier votieren lediglich 5% der Befragten auf ein Verbot ohne Möglichkeit zur Straffreiheit unter Berücksichtigung besonders schwerwiegender Einzelschicksale.

Religiosität und Missbrauchsgefahr bedingen Einstellung zur Sterbehilfe
Erstmals wurde in der aktuellen Studie auch die Religiosität - kirchlich als auch außerkirchlich - der Befragten mittels Religiositäts-Index erhoben. Demnach besitzt Religiosität für 25% der Befragten keinerlei Bedeutung. "In dieser Gruppe überwiegt die Zustimmung zur Liberalisierung der Sterbehilfe sehr deutlich mit 80% Zustimmung", so Willibald Stronegger. Stellt man diesen Personen die Gruppe der 25% mit der höchsten Religiosität gegenüber, so geht die Tendenz in Richtung eines strikten Verbotes der Sterbehilfe (55%). Außerdem konnte Willibald Stronegger erstmals die unabhängige Rolle von metaethischen Grundüberzeugungen nachweisen. "Personen, die ethische Maßstäbe als reine gesellschaftliche Konvention sehen, stimmen zu über 70% für eine Legalisierung. Das Verbot befürworten jene stärker, die an universell verbindliche Maßstäbe für Gut und Böse festhalten", fasst Willibald Stronegger zusammen. Ein Drittel der Befragten hegt die Befürchtung, dass eine Legalisierung der Sterbehilfe zur missbräuchlichen Anwendung bei Alten und Schwachen führen könnte. In diesem Drittel überwiegt die Zustimmung zum Verbot deutlich.

Lebensende: Sehnsucht nach Rückhalt und Schmerzfreiheit
"Schmerzfreiheit, Selbstständigkeit, Selbstbestimmung und Privatsphäre, das wünschen sich die Befragten zum Lebensende", so Willibald Stronegger. Zusätzlich spielen der Wunsch nach dem Abschiednehmen von wichtigen Personen und familiärer Rückhalt am Lebensende eine große Rolle. Die geringste Bedeutung wurde dem Wunsch, das Leben so lange wie möglich zu verlängern, beigemessen. "Etwa zwei Drittel der Befragten wünschen sich im Kreis der Familie sterben zu dürfen", berichtet Willibald Stronegger. Je nach Religiosität unterscheiden sich die weiteren Wunschpersonen: 26% aus dem am stärksten religiösen Viertel sehnen sich nach der Anwesenheit eines Priesters, alleine sterben möchte jeder Fünfte im nicht-religiösen Viertel bzw. jeder Zehnte der übrigen Befragten.

Die Ergebnisse der Studie untermauern die Rolle der Angehörigen am Lebensende. Dabei geht es vordergründig nicht um versorgungsspezifische Leistungen, sondern vor allem um Kommunikation und Beistand. Die Ergebnisse zu den Wünschen für das Lebensende weisen eindeutig darauf hin, dass die Mehrheit der Befragten gerne zu Hause im Kreise der privat nahestehenden Personen sterben möchte.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
http://www.medunigraz.at

 

 

 

 

 

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