Ärztekammer stellt sich der
 Aufarbeitung ihrer Vergangenheit

 

erstellt am
17. 04. 15
11.00 MEZ

Beispiellose Vertreibung und Vernichtung jüdischer und anderweitig „missliebiger“ Kolleginnen und Kollegen - „Der Wahrheit ins Auge sehen“
Wien (aekwien) - "Nicht nur die furchtbaren Ereignisse, an denen auch österreichische Ärztinnen und Ärzte während des Nationalsozialismus als Täter beteiligt und als Opfer betroffen waren, sondern auch deren zögernde Aufarbeitung danach haben die Medizin in unserem Land entscheidend geprägt." Darauf wies der Präsident der Ärztekammer für Wien, Thomas Szekeres, im Rahmen der am 16.04. stattgefundenen Konferenz "Austrian Physicians and National Socialism: "Historical Facts, Post-War Legacy, and Implications for Today" im Van-Swieten-Saal der MedUni Wien hin.

1938 waren in Wien fast 5000 Ärztinnen und Ärzte tätig, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren es gerade noch 450. "Das war die Folge einer beispiellosen Vertreibung und Vernichtung jüdischer und anderweitig ‚missliebiger‘ Kolleginnen und Kollegen sowie natürlich auch am Schlachtfeld gefallener Kollegen", betonte Szekeres.

Wie schwer sich die ärztliche Standesvertretung beziehungsweise die Ärzteschaft im Gesamten mit der Aufarbeitung der NS-Zeit und damit auch mit der Pflicht, "der Wahrheit ins Auge zu sehen", getan hat - und vielleicht auch noch tut -, zeigt das von Szekeres in seinem Vortrag vorgebrachte Beispiel der Kollegen Ernst Berger, Gerhard Hochwarter, Hermann Pleiger, Ferdinand Sator, Franz Sellner und Werner Vogt, die am 14. Jänner 2014 das Goldene Ehrenzeichen der Ärztekammer für Wien verliehen bekommen haben.

Allen sechs Personen gemeinsam ist, dass sie in der Vergangenheit mitgeholfen haben, Missstände beziehungsweise Verfehlungen einzelner Ärzte, auch in der NS-Zeit, aufzudecken. Einige Jahre davor waren diese Kollegen noch als "Aufrührer" und "Nestbeschmutzer" bezeichnet worden.

Am prominentesten ist wohl der Fall Heinrich Gross, der während der Zeit des Nationalsozialismus als Stationsarzt an der Wiener "Euthanasie"-Klinik "Am Spiegelgrund" beschäftigt war. 1981 sah das Oberlandesgericht Wien in einem von Gross angestrengten Verleumdungsprozess seine persönliche Beteiligung an der Kinder-"Euthanasie" als gegeben an. Trotzdem genoss er - auch in Ärztekreisen - zeitlebens hohes Ansehen. Mit der entsprechenden Distanz zu Gross tat sich die Ärztekammer stets sehr schwer.

Begründet wurde die späte Ehrung von Berger, Hochwarter, Pleiger, Sator, Sellner und Vogt damit, dass sie schon sehr früh auf die "Affäre Gross" hingewiesen und - um die Vorwürfe gegen den Ex-Kollegen publik zu machen - dafür auch ihre persönliche Existenz aufs Spiel gesetzt haben. "Man hat also, und das vor noch nicht allzu langer Zeit, seine Existenz riskiert, wenn man die Verstrickung eines Arztes in nationalsozialistische Gräueltaten und dessen Schuld öffentlich gemacht hat", so Szekeres.

Forschungsprojekt "Ärzte und Ärztinnen in Österreich 1938-1945"
Die Wiener Ärztekammer ist derzeit an einem Forschungsprojekt beteiligt, das der vertieften Erforschung der Geschichte der in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgten österreichischen Ärzteschaft dient - liegen doch einerseits überhaupt nur wenige Publikationen zu dieser Thematik vor, zum anderen lassen diese viele Fragen noch unbearbeitet.

Bislang wurde durch die Forschung nicht einmal die konkrete rechtliche Grundlage der Entrechtung und Verfolgung der als jüdisch definierten beziehungsweise politisch missliebigen Ärztinnen und Ärzte in Österreich umfassend geklärt. Dementsprechend wird im Rahmen des Projekts "Ärzte und Ärztinnen in Österreich 1938-1945. Entrechtung, Vertreibung, Ermordung" untersucht, welche der zahlreichen reichsdeutschen Vorschriften betreffend die Ärzte und Zahnärzte in Österreich eingeführt wurden. Dies betrifft insbesondere die Regelungen hinsichtlich des Entzugs der Kassenzulassung, und dabei vor allem die Frage des Kreises der Betroffenen in Österreich.

Die Untersuchung der Betroffenen und ihrer Schicksale umfasst erstmals ganz Österreich. Im Forschungsprojekt werden alle Kolleginnen und Kollegen erfasst, denen die Approbation entzogen wurde, sei es aus "rassischen", politischen oder sonstigen NS-spezifischen Gründen.

Die zentrale Zielsetzung des am Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte der Universität Wien durchgeführten Projekts ist die Publikation eines repräsentativen Gedenkbuches im Verlag der Ärztekammer für Wien - voraussichtlich im Jahr 2017 - im Umfang von geplanten 800 Seiten.

 

 

 

Allgemeine Informationen:
http://www.aekwien.at

 

 

 

 

 

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